Autorin und Sprecherin: Susanne Giger
Regie: Giuseppe Maio
Ton: Christiane Neumann
Redaktion: Martin Mair
Der Zauber von Davos
31:36 Minuten
Weltirtschaftsforum im Bergidyll: Alljährlich treffen sich in der Schweiz hochrangige Politik- und Wirtschaftsvertreter, um die drängendsten Fragen der Zeit zu diskutieren. Initiator Klaus Schwab blickt zurück auf eine bewegte Geschichte.
Davos. Mitte Januar. Der traditionelle Skiort in den Schweizer Bergen hat sich in eine Festung verwandelt. Alle 100 Meter stehen Polizisten, Helikopter kreisen. Auf der Hauptstrasse promenieren nicht Skitouristen, sondern Banker wie Axel Weber, Tech-Größen wie Mark Zuckerberg oder Autoren wie Paolo Coelho. Die meisten tragen aufgrund der Kälte eine Mütze. Man geht wegen des Schnees vorsichtig und grüßt sich mit einem Lächeln.
Ziel der prominenten Gäste: Das Kongresszentrum. Auch dort muss man durch diverse Sicherheitschleusen und ohne Zutrittskarte, den berühmt-berüchtigten Batch, kommt niemand hinein.
Illustres Publikum aus aller Welt
Drinnen findet die Eröffnungsfeier des Weltwirtschaftsforums statt. Wie jedes Jahr begrüßt der Gründer und Präsident des WEFs, Klaus Schwab, das illustre Publikum aus aller Welt: Majestäten, königliche Hoheiten, Regierungs- und Wirtschaftsführer, Wissenschaftler und Nobelpreisträger, Nichtregierungsorganisationen und Religionsführer, Freunde. Speziell die junge Generation heißt er willkommen, ist doch die Hälfte der Weltbevölkerung unter 27 Jahre alt und es gelte, auf sie zu hören.
Sie alle kommen, wenn der heute 81-jährige Professor Schwab ruft. Auch Kanzlerin Angela Merkel, die im Hauptsaal des Kongresszentrums referiert.
Wie lässt sich nach der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder Vertrauen gewinnen? Oder: Wie gehen wir mit der Digitalisierung um? Oder – wie in diesem Jahr – eine solidarische und nachhaltige Welt. Es sind die ganz großen Themen, die als Motto über einem Jahrestreffen schweben. Einst rief an gleicher Stelle der südafrikanische Präsident Nelson Mandela zum Aufbau eines besseren Lebens auf.
Doch es wird nicht nur im Hauptsaal referiert: In vielen kleineren Räumen debattieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit zum Beispiel prominenten Ökonomen - wie Nouriel Roubini. Er warnt vor dem Zusammenbruch der Euro-Zone und bezeichnet diese als Eisenbahnwrack in Zeitlupe.
Breites Angebot an Veranstaltungen
Die Anwesenden sollen nicht nur diskutieren und zuhören, sondern auch selber erleben. Wer mutig ist, begibt sich in die Situation eines Flüchtlings. Etwa 20 Teilnehmer sitzen auf dem Boden in einem engen Kellerraum, plötzlich fällt der Strom aus. Menschen rufen wild durcheinander, es herrscht Chaos. "Aufstehen! Los!", rufen vermummte Soldaten mit Gewehren und treiben die Menschen durch düstere Gänge zu einem Grenzposten. Abfall, Stacheldraht – es ist eng, es ist stickig. Soldaten greifen wahllos nach den Teilnehmern, verhören und beschimpfen sie. Wer etwas zu essen will, muss zahlen. Die Frau am Essenstand verlangt Schmuck oder Geld.
Nach rund einer Viertelstunde Willkür, Chaos und Rücksichtslosigkeit ist es vorbei. Die speziell eingerichtete Simulation einer Flucht lässt ungewohnte und unangenehme Gefühle im Schweizer Luxusort aufkommen.
Auch wenn viele Manager der ganz großen Unternehmen nur wenig Zeit für solche Programmpunkte haben und oft von Termin zu Termin eilen, so versucht der eine oder andere doch, andere Inputs aufzufangen. Etwa der ehemalige Lufthansa-Vorstandsvorsitzende und heutige Präsident des Pharmakonzerns Roche, Christoph Franz:
"Ich glaube, die Attraktivität am Weltwirtschaftsforum beziehungsweise World Economic Forum liegt daran, dass man sich trifft nicht nur innerhalb der Wirtschaft, sondern auch mit vielen Politikern und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und tatsächlich so eine Art Bestandsaufnahme macht: Wo stehen wir in dieser Welt, was wird in den nächsten ein, zwei, drei, fünf Jahren als Herausforderungen auf uns zukommen und man so ein Gefühl entwickeln, wie zuversichtlich geht man in dieses Jahr. Manchmal ist es so, dass hier im Programm Veranstaltungen sind zu ganz anderen Themen. Das kann ein Archäologiethema sein, ein Thema von Stressbewältigung sein, das nichts mit der Firma zu tun hat. Das finde ich das Spannende, das Attraktive."
Seit einigen Jahren bietet das World Economic Forum jeweils um acht Uhr eine halbe Stunde Meditation an. Sie ist – es mag erstaunen – sehr gut besucht.
Auch dieses Jahr reisen wieder über 3.000 Menschen aus aller Welt in die Schweizer Berge. Das WEF ist heute eine viertägige Großveranstaltung – rund 10 Millionen Euro betragen allein die Sicherheitskosten.
Vor 50 Jahren nahm man sich noch ausgiebig Zeit
Doch: Das war nicht immer so! Vor 50 Jahren begann alles ganz klein, mit 400 Teilnehmern - ausschließlich Wirtschaftsvertretern. Der Anlass fand ab 1971 offiziell in Davos statt und hieß European Management Forum. Der Gastgeber - Klaus Schwab - eröffnete damals noch in deutscher Sprache. Fast zwei Wochen leisteten sich die Wirtschaftsführer, zweistündige Referate und Podien waren kein Einzelfall. Irgendwann gehörte auch ein Skirennen am letzten Tag dazu.
All das ist heute anders: Das Forum ist kürzer und kompakter. Gründer Klaus Schwab blickt etwas wehmütig auf die Anfänge zurück: Zweiwöchige Veranstaltungen wären heute nicht mehr möglich. Die Welt sei "wesentlich komplexer und viel schnelllebiger geworden."
Bekannte Schweizer Unternehmer und europäische Politiker waren damals schon dabei. Aber wirklich unvergesslich beim ersten Mal war für Schwab, dass er damals seine Frau, Hilde Schwab, kennengelernt hat, die bis heute tatkräftig an seiner Seite arbeitet.
Begegnungsstätte für Unternehmungsleiter und Stakeholder
Die Idee zu einem solchen Wirtschaftsforum war alles andere als eine spontane Schnapsidee:
"Die Idee kam, als ich ein Buch schrieb, in dem ich zum ersten Mal das sogenannte Stakeholderkonzept beschrieben habe: dass ein Unternehmen nicht nur den Aktionären, sondern all denen, die ein Stake, eine Beteiligung irgendeiner Art im Unternehmen haben, dienen soll. Dann kam die Idee: Warum nicht eine Begegnungsstätte zu gründen, bei der Unternehmungsleiter mit ihren Stakeholdern, das heißt Regierungen, NGOs, Gewerkschaften usw. zusammentreffen."
Klaus Schwab, geboren in Ravensburg als Sohn eines Deutschen und einer Schweizerin, studierte in den 60er-Jahren Maschinenbau sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in der Schweiz und in Harvard. Schon damals knüpfte er Kontakte zu verschiedenen Wirtschaftsführern und in die Politik, etwa zu Vertretern der europäischen Kommission. Der Grundstein für seine geplante Begegnungsstätte war gelegt.
Und wegen seiner Kontakte konnte Schwab schon in den ersten Jahren bekannte Größen gewinnen, wie den italienischen Politiker und Vordenker der Europäischen Integration, Altiero Spinelli, Frankreichs späteren Premierminister Raymond Barre oder Bundesminister Franz Josef Strauss. Der musste schon 1975 Stellung nehmen zur Frage: Wie stark soll die Politik in die Wirtschaft eingreifen? Dazu Strauß:
"Man spricht allgemein davon, dass es sich nur um vorübergehende Eingriffe, Eingriffe die aus besonderen Anlässen, Ölboykotte, Ölpreise entstanden sind. Aber oft kommt mit dem Essen der Appetit. Und wenn man staatliche Macht zu erweitern beginnt, dann ist die Versuchung sehr groß und die Verlockung sehr süß, immer weiter zu machen und man verfällt dem Aberglauben, man könne durch Protektionismus nationale Interessen besser berücksichtigen. Das hat sich erfahrungsgemäß immer als falsch herausgestellt. Die Weltwirtschaftskrise 1929,1930 und die folgenden Jahre sollte uns wirklich ein ernstes Zeichen der Warnung sein."
Guter Riecher für langfristige Trends
In der Rückschau fällt auf, dass Schwab von Anfang an einen guten Riecher hatte für die langfristigen Trends. Schon 1974 wurde Nachhaltigkeit thematisiert wurde und Experten machten sich für Solarenergie stark. Das erste Motto eines Jahrestreffens lautete: "Sich der amerikanischen Herausforderung stellen". Europa beobachtete in den 70er-Jahren mit Sorge den rasanten Aufstieg der US-Großkonzerne. Der damals 35-jährige Klaus Schwab spürte, dass die Globalisierung und neue Informationstechnologien die Welt grundlegend verändern werden. Im Programm war dann auch ein Workshop angesetzt zum Thema: "Der Einfluss von Computern auf das Leben jedes Einzelnen".
Schon in den 80er-Jahren besucht der junge Bill Gates Davos. Der Microsoft-Gründer gibt sich als Visionär und schildert bereits damals, wie sich Kommunikation revolutionieren wird. Man werde sich beim Telefonieren anschauen und einander Pläne oder Landkarten zeigen können.
Früher als die meisten Unternehmen erkennt Klaus Schwab auch, welche starke Rolle China und Indien für die globale Wirtschaft spielen werden. Bereits 1979 - also drei Jahre nach dem Tod von Mao Zedong - reist erstmals eine Delegation aus China nach Davos. Längst schon war es kein Europa-Forum mehr, sondern ein Weltwirtschaftsforum.
Und in Davos deutet sich Weltgeschichte an: 1987 etwa kommt die erste sowjetische Abordnung. In dieser Zeit herrscht in der UdSSR ein Machtkampf zwischen traditionellen Kommunisten und Reformern. Michael Gorbatschow selber ist nicht in Davos - er erhält jedoch aus Davos viel Unterstützung, zum Beispiel vom deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher:
"Wer Gorbatschows Erklärung beim Wort nehmen will, muss zu einer solchen Zusammenarbeit bereit sein. Wer Zusammenarbeit verweigert, versündigt sich an den eigenen Interessen. Der Westen hat keinen Anlass, kleinmütig die Zusammenarbeit zu scheuen. Unsere Devise kann nur lauten: Nehmen wir Gorbatschow ernst, nehmen wir Gorbatschow beim Wort. Dankeschön."
Zwei Jahre später fällt der eiserne Vorhang.
Die einflussreichsten Persönlichkeiten
1992 erlebte Davos einen der ganz großen Höhepunkte: Der Besuch Nelson Mandelas, des damaligen Anführers der Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika, war ein großer Coup für das WEF. Und an diesem Beispiel zeigt sich auch, wie es Klaus Schwab immer wieder schafft, Größen aus Politik und Wirtschaft in die Schweiz zu locken. Er hat die einflussreichen Menschen früh im Visier und besucht sie so rasch wie möglich. Dabei fällt er beim Gespräch nicht mit der Tür ins Haus, sondern konstruiert es bewusst, um seine Vorstellungen anzubringen. Mit Härte das Verhalten ändern, das ist nicht sein Ding, viel mehr möchte er dies über Anreize und den Dialog erreichen.
Und so gehören bis heute auch US-Präsidenten wie Bill Clinton oder Donald Trump zu den Gästen in Davos.
Enttäuschungen und Krisen
Das alles tönt schon fast nach einem Märchen. Doch blieben in den vergangenen 50 Jahren die Krisen nicht aus. Es gab Enttäuschungen, die Klaus Schwab und seine Frau und Beraterin Hilde immer wieder zutiefst prüften.
Anfangs der 70er-Jahre zogen zum ersten Mal dunkle Wolken auf. Klaus Schwab besuchte die brasilianischen Favelas und wollte den Armen eine Stimme geben. So lud er den Erzbischof Helder Camara, den "roten Bischof" nach Davos ein. Für viele Teilnehmer war er zu links und sie kündigten ihre WEF-Mitgliedschaft. Das war ein harter Schlag. Doch die Schwabs gaben nicht auf, sondern fühlten sich in ihrer Mission bestärkt:
"Ich glaube, es ist sehr wesentlich, auch wenn wir eine offene neutrale Organisation sind, es gibt gewisse Werte für die wir geradestehen, und wo wir wir keine Kompromisse eingehen."
Diese Werte wurden zum Credo: Menschen mit verschiedenen Ansichten zusammenbringen, den Dialog führen und damit die Welt verbessern. Schwab postuliert und wiederholt diese Worte gebetsmäßig an jedem WEF mehrmals.
Tatsächlich bringt er die Persönlichkeiten nach Davos, nicht alle betreten aber miteinander die Bühne, was eigentlich dem Wunsch von Klaus Schwab entspricht.
Arafat hielt eine Brandrede
1994 schien der ganz große Coup zu gelingen. Der israelische Außenminister Shimon Peres und PLO-Chef Jassir Arafat betraten Hand in Hand das Podium - ein unglaubliches Bild der beiden Kontrahenten. Shimon Peres hielt auch wie abgemacht eine Friedensrede.
Dann die große Enttäuschung. Yassir Arafat hielt nicht die abgemachte Friedens-, sondern eine Brandrede. Und Peres meinte daraufhin: Er habe gehofft, hier zu einer Hochzeit zu kommen, doch nun sehe er, er nehme an einer Scheidung teil.
Klaus Schwab konnte es nicht fassen: So sehr hatte er auf Frieden gehofft und dann diese historisch verpasste Chance.
Die Proteste radikalisieren sich
Viel Zeit zum Trauern und Grübeln blieb allerdings nicht, schon zogen die nächsten Wolken auf: Die Welthandelskonferenz 1999 in Seattle scheiterte, in der Bevölkerung wuchs der Unmut gegen die Globalisierung - und das WEF diente als perfekte Zielscheibe. In der Schweiz versammelten sich vielerorts Kritikerinnen und Kritiker. In Bern, Zürich und an verschiedenen Bahnstationen Richtung Davos gingen alt und jung auf die Straße - zunächst noch friedlich. Demonstranten warfen dem WEF vor, ein geschlossener Club von Kapitalisten zu sein.
Tatsächlich ist das WEF nur für Auserlesene: Die Teilnahmegebühr für ein Unternehmen plus ein Eintrittsticket beträgt umgerechnet rund 80.000 Euro. Eine Mitgliedschaft kann bis zu einer halben Million kosten. Es gehe in Davos nur ums Geschäft, so der Vorwurf. Der exklusive Zirkel treibe die Globalisierung auf Kosten der Armen voran.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends wurden die Proteste gewalttätig. Um die Teilnehmer von einer geplanten unbewilligten Kundgebung abzuhalten, wurden die Kontrollen bis an die Schweizer Grenze ausgedehnt und umfangreiche Verkehrssperren angeordnet. Das massive Auftreten der Sicherheitskräfte provozierte Reaktionen. Die Polizei konnte eine Eskalation der Gewalt nicht verhindern.
Drinnen im hinter Stacheldraht abgeschirmten Kongresszentrum wurde es auch lauter. Die Nichtregierungsorganisationen haben gar einen Ausstieg aus dem Dialog mit Vertretern von Regierungen und Wirtschaft erwogen. Die indische WEF-Teilnehmerin und Globalisierungskritikerin Vandana Shiva kritisierte, dass sie den Dialog suchten, doch er werde ihnen verweigert. Der echte Dialog, so Shiva, finde hier statt! Im Davoser Schneegestöber!
Auch der Ökonom und Gentechnikkritiker Jeremy Rifikin sagte, dass es ihm sehr schwer falle, im Sinne des berühmten Geistes von Davos weiter zu diskutieren. Nämlich dann, wenn die Schweizer Regierung und die Organisatoren das grundlegende Recht der freien Meinungsäußerung und das der Versammlungsfreiheit missachteten.
Raus aus dem Kongressbunker
All diese Vorwürfe kamen nicht aus heiterem Himmel. Klaus Schwab war eigentlich von langer Hand darauf vorbereitet: 2001 hätte das WEF des Dialogs zwischen den Vertretern der Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik werden sollen. Die Geschäftsleute sollten nicht nur unter sich bleiben, sondern das Gespräch mit der Welt außerhalb des Forums suchen. Dafür tat sich das WEF mit schweizerischen Hilfswerken zusammen: Raus aus dem Kongressbunker, hinein in den Gemeindesaal und sich in einem sogenannten "Open Forum" den kritischen Fragen der misstrauischen Bevölkerung stellen - doch es wurde zum Open fight.
Vielleicht war die Aktion zu spät? Oder vielleicht musste diese neue Art von Dialog zuerst noch geübt werden? Auf jeden Fall gibt es das Open Forum für die Öffentlichkeit bis heute. Mittags und abends debattieren Manager, Politikerinnen, Wissenschaftler und Vertreterinnen der Nichtregierungsorganisationen und stellen sich den Fragen der Bevölkerung. Bis vor kurzem wurde zudem regelmäßig der Public-Eye-Award vergeben. Eine Ehre, die keine ist: Wer den Award erhält, ist der Schweizer Nichtregierungsorganisation durch besonders unethisches Geschäften ins Auge gestochen, etwa der Ölmulti Chevron, die Bank Goldman Sachs oder den Rohstoffhändler Glencore.
Auch wenn ein Schweizer Magazin zu Beginn des Jahrtausends titelte: "Das WEF vor dem Aus", hat das Weltwirtschaftsforum diese Krise überstanden. Und plötzlich stand ein neues Thema im Brennpunkt: Terror! Nach den Anschlägen vom 11. September fand das WEF das einzige Mal nicht in Davos, sondern in New York statt.
Die Partyhölle der Stars
Klaus Schwab schien noch mehr bestrebt zu sein, einflussreiche Persönlichkeiten in den Dialog zu involvieren. Er holte Hollywood-Stars nach Davos - wie Angelina Jolie oder den Musiker Bono. Zuerst schien die Rechnung aufzugehen, das Medienecho war groß.
Doch dann kippte die Situation. Für Aufregung sorgte etwa Sharon Stone, die im Kongresszentrum Manager dazu nötigte, Geld für Moskitonetze in Tansania zu spenden. Eine fragwürdige Aktion, die vorerst zwar beeindruckte, in der Ausführung jedoch scheiterte. Die Netze wurden später für den Fischfang zweckentfremdet.
Es hagelte nur noch Kritik und die Medien gingen mit dem WEF hart ins Gericht: Die Stars führten die Weltverbesserung ad absurdum. Man sehe die Teilnehmer mehr an den Bars als in den Kongresshallen, hemmungslose Feiern in den Hotels, Davos als Partyhölle.
Der neue Ernst der Lage
Doch dann nahte das Ende der Party: 2008. 2009. Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Schuldenkrise, Eurokrise.
Wieder muss man sich in Davos der Realität stellen und hören, was nicht gerne gehört wird: Der prominente Investor und treue WEF-Besucher George Soros gibt zu bedenken, dass niemand die neuen Produkte auf den Finanzmarkt, wie etwa Derivate, durchblicke. Und die damalige Chefin des Internationalen Währungsfonds und heutige Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, sorgt sich, dass sich Zentralbanken und Regierungen nach der harten Arbeit zurücklehnen wollen - es sei aber noch nicht Zeit zum Entspannen. 2013 warnt der englische Premier David Cameron die EU vor zu viel Zentralismus, das sei nichts für ihn und nichts für Grossbritannien.
Schließlich lauert eine Sozialkrise. Migration, Klimawandel und besonders die Folgen der Digitalisierung: Mehr oder weniger Arbeitsplätze? Chancen und Gefahren der neuen Technologien? "Die vierte industrielle Revolution", wie Klaus Schwab das Phänomen nennt, steht fortan ganz oben auf seiner Themenliste.
"Ich finde, Greta muss gehört werden"
Bemühungen an allen Fronten, eigentlich könnte der Gründer nach 50 Jahren WEF zufrieden sein. Doch das ist Schwab nicht.
"Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben uns seit den 70er-Jahren immer für Umweltfragen eingesetzt. Wir hatten immer Leute in Davos, um aufmerksam zu machen, dass wir auf unsere Natur Rücksicht nehmen müssen. Ich habe immer bedauert, dass wir in diesem Bereich nicht schneller Fortschritte gemacht haben. Ich bedaure es auch heute. Wir haben Greta in Davos eine große Bühne gegeben. Ich finde, sie muss gehört werden, aber es ist nicht genug, sie nur zu hören. Wir müssen endlich handeln, um eine größere Katastrophe für ihn unsere Kinder und Großkinder zu verhindern."
"Es genügt nicht, dass man sich gegenseitig die Schuld zuweist, wie das zum Teil im Moment der Fall ist. Ich glaube, es braucht sehr viele Aktionen. Für uns sind Initiativen der wesentliche Bestandteil der Existenz des Forums. Zum Beispiel: Am nächsten Jahrestreffen in Davos werden wir eine Initiative lancieren, um in den nächsten zehn Jahren 1000 Milliarden Bäume zu pflanzen, um damit die CO2-Ausstöße in der Luft wieder in die Erde zurück zu bringen."
Wann wird wirklich gehandelt?
Es braucht offensichtlich viel, um die Einflussreichen dieser Welt zum Handeln zu bewegen. Und doch versucht es Klaus Schwab immer wieder. Um die Jahrhundertwende unterschrieben bedeutende multinationale Unternehmen den Global Compact in Davos. Der damalige Uno-Generalsekretaer Kofi Anan hat diesen Verhaltenskodex ins Leben gerufen, der die Globalisierung sozialer und ökologischer gestalten soll. Braucht es auch in Sachen Klima wieder so eine Unterschrift der großen Unternehmen?
"Ja und nein", meint Klaus Schwab. Er ist dafür, "dass es wirklich eine von innen heraus gestaltete Selbstverantwortung wird. Das echt aus dem Innern kommt und nicht, irgendeine Unterschrift leistet, nur weil man unter Druck steht oder weil es im Moment angemessen ist oder weil man von der Öffentlichkeit dafür honoriert wird, die dann vielleicht doch nicht eingehalten wird. Ich glaube, was wichtig ist, ist, dass wir wirklich unsere Einstellung, unser Verhalten grundlegend ändern."
Seit den 90er-Jahren veröffentlicht das Weltwirtschaftsforum Forschungsberichte, regt Mächtige mit Absichtserklärungen zu ethischem Handeln an, organisiert WEFs in Afrika, Südamerika und Asien. Es unterstützt Projekte wie Impfkampagnen, die durchaus erfolgreich sind. Doch trotz allem haftet dem WEF der Vorwurf an, dass viel zu viel geredet und zu wenig gehandelt wird.
Einer der ähnlich dachte, kam zurück und hat seine Meinung revidiert: der legendäre Unternehmer und Gründer des chinesischen Konzerns Alibaba, Jack Ma. Er wurde 2003 erstmals als junger Unternehmenschef nach Davos eingeladen. Er habe gelernt, was Globalisierung und was soziale Verantwortung heiße. Er habe so viele großartige Führungskräfte kennengelernt und von ihren Ideen profitieren dürfen. Als 2008 die Finanzkrise ausbrach, habe er sich jedoch gedacht, es sei besser, wenn er zurück an die Arbeit gehe. Mit Reden allein könne man die Welt nicht retten.
Doch jetzt - 7 Jahre später - sei es Zeit zurückzukommen und etwas zurückzugeben: An junge Manager.
Im Übergang in eine komplett neue Welt
Und so kommen sie immer wieder nach Davos. Ende Januar, wenn noch mehr Limousinen durch die Straßen brausen als sonst, wenn dutzende Sicherheitsleute und Soldaten an jeder Hausecke stehen und ständig Helikopter am Himmel kreisen und lärmen - dann ist WEF-Zeit.
Es ist und bleibt ein Stelldichein der Mächtigen - Topmanager, Spitzenpolitiker und Nobelpreisträger - oft kritisiert und doch immer noch da. Für die Teilnehmenden ein Networking-Paradies und eine Informationsplattform. Für die Organisatoren eine Weltverbesserungsmaschine - natürlich auch medial inszeniert - für alle eine win-win-Sache. Auch nach 50 Jahren.
Und der Diskussionsstoff geht nicht aus. Die Welt hat nicht ein Problem, sondern derer viele: Konflikte zwischen China und den USA, Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit. Was wünscht sich Klaus Schwab in dieser heutigen Welt zum 50. WEF-Geburtstag?
"Wir sind im Übergang in eine komplett neue Welt. Natürlich, künstliche Intelligenz ist ein Faktor, dann kommen sehr bald synthetische Biologie und Quantencomputing hinzu. Mein Wunsch ist, dass wir nicht in diesem Alter denken verhaftet bleiben, wo wir uns Sorgen machen nur über die Probleme von heute, sei es Brexit oder was es ist. Sondern uns wirklich vorbereiten auf die großen Herausforderungen, die wir morgen zu bewältigen haben.
Die Mächtigen dieser Welt sorgen sich zur Zeit speziell um die Beziehung zwischen China und den USA. Es würde zum Geist von Davos passen, wenn beide Länder den geplanten Handelsvertrag während des WEFs unterschreiben. Das wäre ein schönes Geschenk zum 50. Geburtstag – oder?
Klaus Schwab sieht das anders: "Bei diesem Handelsstreit, wenn man das so nennen darf, geht es ja um viel mehr. Es geht nicht um Zölle, sondern es geht gerade um die Vorherrschaft in der vierten industriellen Revolution. Und das kann nicht kurzfristig mit einer Unterschrift gelöst werden, sondern es braucht sicher noch einen längeren Prozess, um in diesem Gebiet nicht eine Konfrontation, sondern eine echte Zusammenarbeit zu gewährleisten."
Schon ist er bei den großen Fragen und denkt an die nächsten Initiativen und Handlungsfelder. Nächstes Jahr soll zum ersten Mal eine World Technology Conference stattfinden, um ethische Grenzen bei der Anwendung von künstlicher Intelligenz zu definieren.
Bunker-Mentalität als Herausforderung
Der heute 81-Jährige mit dem guten Riecher für anstehende Herausforderungen sorgt sich zurzeit nicht am meisten um Brexit, Handelskonflikte oder Menschenrechte in China. In einem am letzten WEF geführten Interview mit dem britischen CNN-Nachrichtenredaktor Richard Quest nannte er überraschend einen ganz anderen Begriff: Egoismus. In der Zeit der Bunker-Mentalität, sprich: wegen der Komplexität, Unsicherheiten und Ängste, zögen wir uns gerne in den eigenen Bunker zurück, fürchtet Schwab. Das führe dazu, das zu schützen, was man selber habe. Ein Egoismus, der zu Populismus führe.
Viele Erfahrungen am World Economic Forum hätten ihn erfreut, manche auch enttäuscht, vor allem aber viel gelehrt. Und so fühlt sich Klaus Schwab wie am ersten Tag von seiner ursprünglichen Idee beseelt: Die verschiedenen Menschen und Ansichten zusammen bringen, miteinander reden, einander versuchen zu verstehen und damit die Welt verbessern.
Es tönt beinahe etwas naiv - und doch: Diese gelebten Werte liegen wie eine Art Schirmherrschaft über dem WEF und sind seit 50 Jahren ein Magnet.
(thg)