"Der Bedarf an Kommunikation ist enorm"
In München treffen sich Sicherheitsexperten aus der ganzen Welt. Politische Akteure können im Dialog Missverständnisse ausräumen, sagt Tilman Brück, Direktor des Friedensforschungsinstituts SIPRI. Er verweist außerdem auf "viele erfolgreiche Friedensmissionen", die aber weniger Beachtung finden.
Hanns Ostermann: Alle Konflikte in einem Hotel, in einer Stadt – allzu häufig kommt das auch nicht vor, sieht man vom Sitz der Vereinten Nationen in New York vielleicht ab. Die Münchener Sicherheitskonferenz feiert ab heute ihr 50. Jubiläum. Aber nicht nur deshalb ist der Ansturm, das politische Interesse so groß wie nie zuvor. Denkt man an Afghanistan, Syrien, an Teile Afrikas oder auch bei uns an die Ukraine – es gibt zahlreiche Krisen in der Welt, über die dringend gesprochen werden muss.
Das machen wir gleich. Zunächst ein kurzer Blick zurück: Wer hatte die Idee, ein solches Treffen zu organisieren? Michael Watzke zur Geschichte der Münchener Sicherheitskonferenz.
Am Telefon ist jetzt Professor Tilman Brück, Direktor des Friedensforschungsinstituts SIPRI in Stockholm. Schönen guten Morgen, Herr Brück!
Tilman Brück: Guten Morgen!
Ostermann: Friedlich, gewaltfrei leben zu können, das ist Ihre auch persönliche Motivation. Warum machen wir auf allen möglichen technischen oder medizinischen Gebieten immense Fortschritte, und hier stecken wir in den Kinderschuhen?
Brück: Ich glaube, das ist eine der größten Herausforderungen, die sich die Menschheit stellen kann, friedlich miteinander umzugehen. Das ist einfach sehr, sehr schwierig, das zu erreichen. Es gibt immer noch die niederen menschlichen Instinkte in uns, die wir versuchen müssen zu kontrollieren, durch Institutionen, staatliche Institutionen, aber auch informelle Institutionen, zwischen den Menschen und zwischen den Gesellschaften, die unsere Handlungen in die richtige Bahn lenken.
Ostermann: Die Sprache spielt bei gewaltfreier Kommunikation die entscheidende Rolle. Wolfgang Ischinger, der Leiter der Konferenz, äußert sich jetzt sichtlich stolz über den illustren Teilnehmerkreis; er spricht in diesem Jahr sogar von einem tsunamiartigen Andrang. Ein glückliches Bild?
Brück: Ja, ob jetzt der Tsunami immer was Positives ist, das sei vielleicht dahingestellt, aber der Andrang ist sicherlich hoch. Ich glaube, der Bedarf an Kommunikation ist enorm, und der Austausch und der Dialog zwischen Menschen, aber natürlich vor allen Dingen auch zwischen den Politikern und anderen Akteuren der politischen Bühne ist besonders wichtig für ein friedliches und sicheres Miteinander. Und von daher erfüllt die Münchener Sicherheitskonferenz eine sehr wichtige Funktion.
Ostermann: Sie stehen deshalb auch regelmäßig auf der Gästeliste und sind derzeit auch in München. Aber diese gigantischen Treffen, wie wichtig sind die wirklich für einen nachhaltigen Friedensprozess?
Es treffen Israelis und Iraner aufeinander, Amerikaner und Russen
Brück: Ich glaube, sie sind eine notwendige Voraussetzung. Sie können den Frieden selber nicht schaffen. Darum geht es nicht in München. Die Friedensverhandlungen zu Syrien laufen ja zurzeit woanders, in Genf, aber ich glaube, dass es viel zu wenig Foren gibt und Möglichkeiten gibt in der Welt, dass sich Menschen unterschiedlicher Ansicht austauschen, gerade die wichtigsten Akteure, die Politiker. Hier in München treffen Israelis und Iraner aufeinander, Amerikaner und Russen, Syrer und Saudi-Arabier. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass es informelle, vielleicht auch von der Öffentlichkeit nicht so stark beobachtete Treffen gibt am Rande der Konferenz, im Hintergrund, in den Hinterzimmern, dass die Akteure anfangen, den Dialog aufzunehmen, um Missverständnisse auszuräumen, um Verständnis für die jeweilige Position zu haben, um Kommunikationswege zu eröffnen. Ich glaube, das ist die besondere Bedeutung der Münchener Sicherheitskonferenz.
Ostermann: Stört es Sie, dass auch Vertreter der Rüstungsindustrie dabei sind?
Brück: Ich glaube, man muss akzeptieren, dass die Rüstungsindustrie Teil unserer Welt ist, und sie kann ja auch einen wichtigen Beitrag leisten. Wenn wir uns überlegen, dass zur Selbstverteidigung, Deutschland hat sicherlich das Recht, zum Beispiel sich selber zu verteidigen, für Bündnispartner. Ich glaube, der Waffenhandel zwischen Deutschland und Frankreich ist wahrscheinlich jetzt nicht das größte Risiko für den Weltfrieden. Wie der Rüstungshandel und die Rüstungsproduktion kontrolliert werden, wie die Regierungen damit umgehen, das ist ein ganz wichtiges Thema, mit dem sich auch die Vereinten Nationen zum Beispiel beschäftigen, indem der Waffenhandelsvertrag letztes Jahr abgeschlossen wurde. Das sind ganz wichtige politische Herausforderungen. Und auch da ist eben die Rüstungsindustrie ein Akteur, den es gibt und den man wahrnehmen sollte und mit dem man im Dialog stehen sollte.
Ostermann: Sie wollen die Welt nicht verbessern, das müssen andere tun, wir wollen nur beschreiben, wie sie ist, das haben Sie einmal gesagt. Dazu gehört ja auch: Wer verdient an Kriegen wie in Syrien oder in afrikanischen Staaten?
An Konflikten verdienen Firmen oder Länder
Brück: Ja, es verdienen eben leider immer Menschen oder Firmen oder Länder an einzelnen Konflikten, sonst gäbe es diese Konflikte ja nicht. Das heißt, das, was der große Verlust für viele ist, ist eben oft der große Gewinn auch für einige Wenige, die dann zu Kriegstreibern und zu Kriegsakteuren werden. Das lässt sich im Fall von Syrien jetzt zum Beispiel gar nicht beziffern. Das ist sehr schwer, das aktuell für einen laufenden Konflikt auszurechnen. Aber es gibt sicherlich Menschen, die ideell oder psychologisch oder eben auch materiell an solch einem – selbst wenn es ein brutaler Krieg ist – davon profitieren. Und da geht es nicht nur um den Präsidenten Assad, der seine Macht versucht zu sichern, sondern es geht eben auch um die Waffenhändler, aber auch um die Schmuggler. Auch ganz kleine Akteure vor Ort, die in der Nähe der Grenze wohnen und einfach versuchen, zu überleben, indem sie Sachen tun, die leider den Krieg dann auch weiter befördern.
Ostermann: Nichts ist gut in Afghanistan, hatte Margot Käsmann einmal gesagt als Ratsvorsitzende der EKD. Gibt es nicht doch auch erfolgreiche Friedensmissionen?
Brück: Ja, es gibt sicherlich sehr viele erfolgreiche Friedensmissionen, nur leider haben wir die Kriege dann immer mehr und die schlechten Nachrichten immer mehr Aufmerksamkeit als die guten Nachrichten, sodass unsere Sicht auf die Welt leider auch oft verzerrt ist und getrübt ist. So wichtig es ist, sich mit den Konflikten auseinanderzusetzen, so wichtig ist es, glaube ich, auch wahrzunehmen, wo Frieden geschaffen werden kann. Allerdings muss Frieden auch immer geschützt werden. Frieden ist nicht etwas, das, wenn man es einmal erreicht hat, das man dann so abhaken kann und dann bleibt es friedlich. Ich glaube, das gilt selbst auch für Deutschland, wo wir ja nun viele Jahrzehnte Frieden nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Man muss immer wieder reflektieren, wie kann man Frieden erhalten, wie kann man ihn schützen, wie kann man ihn ausbreiten. Das ist eine ständige Auseinandersetzung mit dem Thema.
Ostermann: Sie haben eben gesagt, gute Nachrichten gehen manchmal unter. Was war für Sie zuletzt die beste gute Nachricht?
In Afrika haben Stabilität und Sicherheit zugenommen
Brück: Ich glaube, dass in vielen Ländern Afrikas zum Beispiel Stabilität und Sicherheit stark zugenommen haben. Natürlich gibt es die Konflikte im Südsudan, zum Beispiel im Norden Ugandas ist ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg in den letzten Jahren zu Ende gegangen und wir sehen eine Stabilisierung der Region, was auch positive Auswirkungen auf die Nachbarregionen haben kann. In Südamerika gibt es deutlich weniger kriegerische Auseinandersetzungen und Gewalt als noch vor wenigen Jahren. Also, eigentlich ist fast ganz Südamerika mittlerweile sehr, sehr friedlich. Das ist ein toller Fortschritt. In Kolumbien zum Beispiel ist der Bürgerkrieg deutlich zurückgegangen. Ich glaube, das sind Fortschritte, die wir uns stärker vor Augen führen müssen. Oder in Myanmar, das auch massive gewalttätige Auseinandersetzungen hat, gibt es einen gesellschaftlichen Dialog. Auch da ein Fortschritt, der Hoffnung macht.
Ostermann: Tilman Brück, der Direktor des Friedensforschungsinstituts SIPRI in Stockholm. Er ist in München bei der 50. Sicherheitskonferenz. Herr Brück, ich danke Ihnen für das Gespräch!
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