Der Philosoph des Dialogs
Martin Buber gehörte zu den prägenden Gestalten des deutschen Geisteslebens im 20. Jahrhundert. Er entwickelte die Philosophie des Gesprächs. Der 1938 nach Jerusalem emigrierte Religionsphilosoph untersuchte das jüdisch-palästinensische Verhältnis und stieß damit in Israel auf heftige Kritik.
Die Geschichte von Martin Buber, geboren 1878 in Wien, aber aufgewachsen im galizischen Lemberg, heute Lviv in der Ukraine, ist ohne seinen Großvater nicht zu erzählen. Durch diesen Talmud-gelehrten Mann, der polnisch, hebräisch, jiddisch und deutsch sprach, kam Martin Buber mit dem Chassidismus in Berührung, der im 18. Jahrhundert entstandenen religiösen Bewegung des Judentums Osteuropas. Buber studiert Philosophie, Germanistik und Psychologie. In seinen jungen Jahren hat sich Buber zu einer esoterischen Mystik hingewendet, doch später wieder davon abgewendet.
Hans-Joachim Werner ist der Vorsitzende der Martin-Buber-Gesellschaft:
"Was kann denn zu dieser Wende, wenn wir sie einmal so nennen wollen, beigetragen haben? Oder was kann sie veranlasst haben? Wenn man nach äußeren Anstößen sucht, so findet man sie sicher in der Beziehung zu seinem Freund Gustav Landauer, der Buber auf Fehlentwicklungen hinwies, die Buber gegangen war. Gustav Landauer benutzte einen scharfen Ausdruck. Er spricht vom 'Kriegsbuber' 1916."
Begeisterung im Kriegstagebuch
Während seines Italienaufenthalts 1914 schreibt Martin Buber in sein Kriegstagebuch ganz begeistert über Aufopferung, über Taten in dieser Zeit. Er glaubt, dass mit dem Krieg eine "Reinigung des Geistes", wie er das nennt, möglich sei. Doch mitten im Krieg ändert sich Bubers Haltung. Zu dieser Zeit, 1916, schrieb Buber sein Hauptwerk über die Philosophie des Gesprächs "Ich und Du". Von 1924 bis 1933 lehrte er als Professor für Allgemeine Religionswissenschaft in Frankfurt am Main. 1938 emigrierte er nach Jerusalem und entkam damit dem nationalsozialistischen Deutschland. Später hat Buber auch Schriften zum jüdisch-arabischen, jüdisch-palästinensischen Verhältnis herausgegeben und wurde in Israel deshalb sehr kritisch aufgenommen. Er wurde einmal gefragt, warum er in Israel nicht wie ein Prophet gefeiert werde, sondern auch angegriffen werde.
Hans-Joachim Werner: "Martin Buber antwortet: Das habe vor allen Dingen zwei Gründe. Erstens, dass er seit 1911 oder 1912 konsequent für eine Verständigung mit der arabischen Bevölkerung eingetreten sei und das auch weiterhin tue, und der zweite Grund liegt daran, dass er nach dem Krieg sehr früh wieder das Gespräch mit den Deutschen suchte. Das war natürlich ein Angriffspunkt aus der Perspektive des damaligen Israel."
Martin Buber spricht in seinem Buch "Ich und Du" von der Philosophie des Dialogs, der Ich-Du-Beziehung und im Weiteren von der Ich-Es-Relation, die kennzeichnend sei für die Trennung eines Ichs von dem Du des Gegenübers. Die Ich-Du-Beziehung könne nur mit ganzem Wesen gelebt werden, die Ich-Es-Relation – Buber nennt das nicht Ich-Es-Beziehung, sondern Ich-Es-Relation – könne nicht mit ganzem Wesen gesprochen werden. Nur wer mit dem ganzen Wesen spreche, würde in Beziehung stehen zu dem Menschen. Dafür werde die dialogische Disziplin gebraucht. Martin Buber:
"Da galt es, den Partner in seiner Sprache und innerhalb der Grenze seiner Sprache zu erwidern, damit der Dialog nicht zuschanden werde und die zuweilen zwei Menschen gewährte gemeinsame Einsicht in eine Wahrheit sich, wie begrenzt auch, vollziehen könne."
Hans-Joachim Werner: "Das ist für Buber ein ganz wichtiges Element in der Ich-Du-Beziehung. Das Wahrnehmen des Anderen in seiner Andersheit oder wie Buber lieber sagt: 'Anderheit'."
Die "Anderheit" wahrnehmen
Das Wahrnehmen des Anderen in seiner "Anderheit" – was heißt das konkret?
Hans-Joachim Werner: "Das Wahrnehmen des Anderen in seiner 'Anderheit'. Dazu gehört nicht nur Hinwendung, Hinwendung ist die dialogische Grundbewegung, dazu gehört auch eine gewisse Distanz. Bei Buber ist das immer ganzheitlich gemeint."
1953 erhielt Buber den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In Israel war die Entgegennahme des Preises umstritten. Buber unterstrich damit seine Bereitschaft zur Verständigung mit dem deutschen Volk und seinen Wunsch, neues Vertrauen zwischen den Völkern zu schaffen. Ihm ging es darum, zu vermitteln zwischen der kaum noch vorhandenen jüdischen Welt im Osten Europas und der westlich modernen, aufgeklärten jüdischen Welt. Er wollte die Beziehung zu den Arabern verbessern. Die Gegner dieses Dialogs mit den Arabern kritisierten ihn damals in Israel scharf.
Hans-Joachim Werner: "1953 – das ist die Rede in der Paulskirche. "Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens". Wenn man diese Rede heute liest, dann könnte sie heute genauso gesprochen sein. Davon ist, glaube ich, heute nichts überholt."
Zwiesprache zwischen Gott und Mensch
Eine prägende Grundlage für das Wirken Martin Bubers ist der 1923 entstandene Band "Ich und Du" über die Beziehung und den Dialog, oder den nicht zustande kommenden Dialog, zwischen Schöpfung und Schöpfer, über die Zwiesprache zwischen Gott und Mensch, über die Fragen, die auch das Verhältnis Mensch zu Mensch betreffen. Reden und Hören, Schweigen und Antworten. Bubers Thema, eine lebendige Beziehung zu einer "Anderheit" auszuhalten und sich von dem Anderen auch emotional berühren zu lassen, ist heute genauso aktuell wie 1923 oder in den 50er-Jahren, als Buber über den Dialog sprach.
Hans-Joachim Werner: "Nur dann übrigens kann man sich ja auch selber weiterentwickeln, wenn man offen ist für das Andere, das auf mich einwirkt, dem ich gegenüberstehe und mit dem ich in Beziehung stehe. Was speziell das Verhältnis zur arabischen, zur palästinensischen Bevölkerung angeht, so sieht man deutlich, dass Buber seine Prinzipien von Dialog, von Wahrheit, von Gerechtigkeit, hier anwendet. Wenn er zum Beispiel die jüdische Bevölkerung daran erinnert, was sie in ihrer Geschichte zu leiden hatte und sie quasi zur Sensibilität auffordert, nun auch ein Gespür für das Leiden der Anderen, der ansässigen Bevölkerung, zu entwickeln und es nicht noch zu vermehren."
"Gott wird nur durch die Tat erfasst", sagt Buber. Der Glaube soll im Leben Gestalt annehmen. Bubers ganzes Werk ist als Lebenszeugnis so zu verstehen.