500 Jahre Thesen zu Wittenberg

Martin Luther: Reformator, Rebell und Judenhasser

Ein Denkmal Luthers auf dem Wittenberger Marktplatz
Ein Denkmal von Martin Luther auf dem Wittenberger Marktplatz © Hendrik Schmidt / dpa
Von Michael Lösch · 04.09.2015
Im Jahr 2017 hat der Theseanschlag von Martin Luther in Wittenberg ein rundes Jubiläum, schon jetzt bereiten sich die Deutschen landauf, landab darauf vor. Doch was genau werden wir dann feiern?, fragt der Schriftsteller Michael Lösch. Denn für ihn ist Luther weniger der gute Reformator als vielmehr ein Theologe der Angst.
Seine Thesen werden bald Jubiläum haben. Wittenberg und andere Orte, an denen Martin Luther einst wirkte, bereiten sich schon lange auf dieses historische Großereignis vor. Und alle, die das Datum im Kalender haben, werden sich vorab gefragt haben: An wen wollen wir uns eigentlich 2017 erinnern?
An Antworten mangelt es nicht. Luthers Persönlichkeit gibt viele Facetten und Themen her: den abtrünnigen katholischen Mönch, den aufrüttelnden evangelischen Reformator, den volksnahen Prediger, den Familienmenschen und Künstlerfreund, den Wanderer, der bis ins angefeindete Rom kam.
Mich persönlich jedoch reizt der touristische Weg durch Museen und Ausstellungen, durch biedermeierliche Behaglichkeit wenig. Ich halte es mit Heinz Schilling, dem Historiker und Biographen, der von Martin Luther schrieb, er sei ein Fundamentalist gewesen, wenn es um Glaubensfragen ging. Und nachdenklich fügte er hinzu, der Weg, Andersgläubige ohne Dünkel zu respektieren, sei lang und steinig.
Das ist mein Pfad. Ich rebelliere gleichsam gegen ein unkritisches Erinnern an einen Rebell.
Luther kritisierte die Prunksucht der Katholischen Kirche
Luther sah den Menschen in einer Art Sippenhaft für Adams Vergehen. Was immer er anstelle, er werde sündig bleiben. Schon seine Existenz als solche sei eine Sünde und erst recht, das Heil mit guten Werken erlangen zu wollen. Das liege nämlich allein in den Händen eines allmächtigen, alles steuernden Gottes. Daran und an der Bibel habe sich der Mensch zu orientieren.
Historisch ist dies leicht zu verstehen. Martin Luther begehrt dagegen auf, einfache Leute vor den Karren religiöser Perversion zu spannen, prangert den schwungvollen Handel mit Ablässen, Reliquien und Ämtern an, kritisiert die Prunksucht der römischen Kirche.
Für mich ist allerdings fragwürdig, wie er stattdessen den Abendländern, die in dieser Zeit schüchtern im Aufbruch begriffen sind, eine fast schon orientalische Gottesfurcht predigt. Er setzt auf eine Theologie der Angst. Seine Art der Freiheit besteht allein darin, ein guter Christ, ein Rechtgläubiger und nichts anderes zu sein.
Denn wie urteilt er über die Juden? Er verhöhnt die rabbinische Bibelexegese, bezeichnet die jüdische Religionsausübung als Gotteslästerung und verlangt, Synagogen, jüdische Schulen und Häuser zu zerstören.
Und wie verhält er sich gegenüber den protestantischen "Schwärmern", die ihm, zugegeben überidealistisch, nacheifern? Er empfiehlt den Militärs, die Bauern zu zerschmeißen, zu würgen, zu stechen.
Gesellschaftlicher Fortschritt interessierte Luther nicht
Martin Luther wehrte sich, aber provozierte zugleich die Gegenreformation. Hätte es ohne ihn die Inquisition gegeben, die blutigen Hugenottenkriege oder den Dreißigjährigen Glaubenskrieg, der ganze Landstriche verwüstete? Was also zählt in der Rückschau: der Held des "Hier-stehe-ich-ich-kann-nicht-anders" oder ein Revolutionär, der rückwärtsgewandt nicht unbedingt das wollte, war er auslöste?
Er war ein Schüler des Mittelalters, mittelalterlicher Mystik, der Unterwerfung unter eine gottgewollte Ordnung. Gesellschaftlicher Fortschritt, wie ihn die Ideenwelt eines Erasmus von Rotterdam verkündet, interessierte ihn nicht. Selbst Kopernikus' neue Sicht auf die Gestirne lehnte er als gottlos ab. Bereits vor ihm gab es reformatorische Streiter wie Wilhelm von Ockham, John Wyclif und Jan Hus. Und seine Theologie verträgt sich wenig mit der Renaissance oder dem Humanismus.
Ich wage die These, ohne Martin Luther hätte es keine Gegenreformation gegeben, zumindest aber wäre die Blutspur, die Religionen und Konfessionen hinterlassen haben, nicht so unfassbar tief gewesen. Also, an welchen Martin Luther wollen wir heutzutage erinnern, wenn wir freiheitlich, pluralistisch und tolerant denken?
Michael Lösch lebt und arbeitet in München - als Schriftsteller und DJ. Derzeit schreibt er an einem Buch mit dem Titel "Wäre Luther nicht gewesen", das 2016 erscheinen wird.
Michael Lösch
Michael Lösch© Stephan Paul Stuermer
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