57 Millionen Kinder haben keine Chance auf Bildung

Peter Krämer im Gespräch mit Nana Brink |
Bildung sei "wirklich der Schlüssel für eine bessere Welt", sagte Peter Krämer, Gründer der Initiative, und erinnerte damit an die Worte des ehemaligen südafrikanischen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Nelson Mandela. Nach Krämers Erfahrungen saugen Kinder das Wissen auf "wie kleine Schwämme".
Nana Brink: Vielleicht erinnern Sie sich noch an das pakistanische Mädchen namens Malala? Vor einem Jahr wurde die damals 15-Jährige von der Fahrt aus der Schule von Taliban angeschossen und schwer verletzt. Schon mit elf Jahren berichtete Malala auf einer Website der BBC in Form eines Blogtagebuchs über Gewalttaten der terroristischen pakistanischen Taliban im Swat-Tal, wo Mädchen seit der Machtübernahme durch die Terrororganisation von der Schulbildung ausgeschlossen waren.

Malala überlebte und bloggte weiter. Und gestern, an ihrem 16. Geburtstag, hat sie vor den Vereinten Nationen eine ziemlich ergreifende Rede gehalten mit der Forderung: Alle Menschen haben ein Recht auf Bildung. Und sie weiß wirklich, wovon sie spricht. Heute haben laut UNICEF 57 Millionen Kinder keine Chance, auch nur eine Grundschule zu besuchen. Der Hamburger Reeder Peter Krämer ist Gründer der Initiative Schulen für Afrika, zusammen mit UNICEF Deutschland und der Nelson Mandela Stiftung. Schönen guten Morgen, Herr Krämer!

Peter Krämer: Schönen guten Morgen!

Brink: Sie kennen die Situation in Angola, Mosambik, Südafrika, Ruanda. Wer und was verhindert denn den Schulbesuch von Kindern, vor allem von Mädchen, zum Beispiel in Afrika?

Krämer: Also, schlicht die Tatsache, dass es dort keine Schulen gibt. Zwei Drittel der Bevölkerung im südlichen Afrika leben ja auf dem Lande, nicht in Städten. Und es gibt einfach in diesen vielen, vielen Dörfern keine Schule, auch keine Schule in irgendwelcher Nähe. Und das hat zunächst mich und dann eben auch UNICEF und Nelson Mandela und seine Stiftung veranlasst, dort Schulen zu bauen.

Brink: Wie schafft man es, mehr Kindern dann den Schulbesuch zu ermöglichen? Nur durch den Bau von Schulen, ist das ausreichend?

Krämer: Nein, natürlich ist das nicht ausreichend. Man muss die Unterstützung der lokalen Regierungen haben, ohne die geht es überhaupt nicht. Wir bezahlen ja nicht die Lehrer, das könnten wir gar nicht, und wir wollen ja auch keinen Staat im Staat bilden. Aber mit welcher Begeisterung die Kinder zur Schule gehen, ist wirklich für einen, der hier aus dem Westen kommt, der vergleichsweise doch sehr, sehr saturiert ist trotz seiner eigenen sozialen Probleme, ergreifend.

Die Kinder, die freuen sich auf ihre Schule, sind bereit, fünf, sechs Kilometer zu Fuß teilweise zu gehen, und nehmen am Schulunterricht teil, sind mucksmäuschenstill und saugen das Wissen auf wie kleine Schwämmchen, die das lernen dürfen, was lernen dürfen. Das wird also wirklich als Privileg gesehen.

Brink: Ja, diese Begeisterung, die hat ja auch Malala geschildert in ihrem Blog, also gerade die Begeisterung auch von Mädchen, zu lernen. Ich würde Sie gerne noch mal konkret fragen, wie Sie das denn angestellt haben, weil Sie gesagt haben, Sie müssen mit den Leuten vor Ort zusammenarbeiten, auch mit der Regierung. Ich stelle mir das schwierig vor zum Beispiel in einem Land wie zum Beispiel Ruanda?

Krämer: Überhaupt nicht. Gerade Ruanda, die ja einen zwar sehr strengen, aber sehr demokratischen, völlig unbestechlichen Regierungschef haben, fördert Bildung, wo immer es nur möglich ist. Die haben es geschafft, innerhalb der letzten fünf Jahre die Zahl der Primärschüler, also der Grundschüler zu verdoppeln. Also, die örtlichen Regierungen arbeiten voll mit uns, mit UNICEF zusammen und das klappt hervorragend.

Brink: Nun ist ja Ruanda von der Staatsform her nicht unbedingt unproblematisch für unser Demokratieverständnis. Ich denke da zum Beispiel auch an Simbabwe, das sind ja doch weitgehend, sagen wir, autoritäre Staatsformen. Aber Sie sagen, Sie müssen mit denen auch zusammenarbeiten?

Krämer: Ja, wir dürfen ja die Kinder von Simbabwe nicht dafür bestrafen, dass es einen Herrscher namens Mugabe gibt, dessen Vorstellungen wir nun weiß Gott in vielen Fällen nicht teilen. Ich muss hier vorsichtig sein, weil ich nicht nur Partner von UNICEF bin, sondern auch Mitglied des Vorstandes, und UNICEF sich ja verpflichtet hat, unparteilich zu sein. Das heißt, dass wir versuchen, auch in diesen Ländern, wo uns die Staatsform nicht passt, wenn die Regierung es zulässt und wenn nicht gerade Bürgerkrieg ist, eben halt der Bevölkerung zu helfen.

Brink: Wie machen Sie das dann, noch mal nachgefragt: Sie gehen also ganz konkret dorthin und setzen meinetwegen an dem Bildungsministerium, so es gibt, an?

Krämer: Ja, es geht so, dass die Zusammenarbeit ja inzwischen so weit gediegen ist und auch staatlich gefördert wird, dass die uns – uns heißt jetzt UNICEF Nairobi, die wiederum zuständig sind für das südliche Afrika – Bedarfspläne durchgeben und sagen, hier bräuchten wir noch bitte, bitte Schulen, und hier bräuchten wir noch bitte, bitte Schulen. Und dann schaut sich UNICEF das vor Ort an und stellt fest, ja, meistens stimmt es. Und dann wird dort eine Schule gebaut. Und da gibt es eben ein paar Vorarbeiter und ansonsten hilft die gesamte Bevölkerung mit.

Brink: Nun sind Sie auch ausgesprochen jemand, der in der Wirtschaft unterwegs ist, ein Reeder, Sie kennen auch die wirtschaftlichen Verhältnisse. Wieso muss man dann eigentlich in Angola helfen, einem Land, das ja sicherlich einen schlimmen Bürgerkrieg hinter sich hat, aber jetzt Milliarden aus dem Erdölgeschäft verdient, das Land mit dem größten Wirtschaftswachstum in Afrika? Leuchtet Ihnen das ein?

Krämer: Es gibt Dinge, die versteht man, und Dinge, die kann man nicht ändern, obwohl man sie versteht. Natürlich gibt es in Afrika – wobei, Afrika ist weiß Gott nicht Afrika, es gibt inzwischen Regierungen, die sehr verantwortlich sind, sehr –, aber es gibt eben auch noch Regierungen, die korrupt sind, die in die eigene Tasche wirtschaften. Und da ist eben die Frage, soll man die Kinder in diesen Ländern allein lassen oder soll man nicht sehr kontrolliert – ich betone: sehr kontrolliert – dort Geld für Schulen verwenden, weil Bildung ist wirklich, wie Nelson Mandela es so wunderbar formuliert, the key for a better world, der Schlüssel für eine bessere Welt!

Brink: Der Hamburger Reeder Peter Krämer, Gründer der Initiative Schulen für Afrika. Herr Krämer, herzlichen Dank für das Gespräch!

Krämer: Bitte schön!


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