60 Jahre deutsche Länder
Föderalismus in Deutschland - damit assoziieren heute viele nur noch Blockadepolitik, Reformstau, eitle Landesfürsten und überholte Kleinstaaterei. In Vergessenheit geraten ist, dass die deutschen Länder so etwas wie die Geburtshelfer der Bundesrepublik waren, in der Zeit nach der Kapitulation 1945. Der Länderreport zeichnet die Geschichte der deutschen Länder nach, vom schwierigen Neuanfang im besetzten Deutschland bis zu den Versuchen, das föderale System zu entwirren und zu reformieren.
Deutschland in der Stunde Null: Nach der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 liegt die staatliche Gewalt in den Händen der Sieger.
Fritz Schäffer: "Meine lieben bayerischen Landsleute, die amerikanische Besatzungsbehörde für Bayern hat mich zum Ministerpräsidenten bestimmt."
Die ersten, von den Siegermächten eingesetzten Ministerpräsidenten sind zunächst nicht viel mehr als Befehlsempfänger. Vollzugsorgane ohne nennenswerte eigene Entscheidungsbefugnisse.
Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Demokratisierung – über die Leitlinien sind sich die Siegermächte einig, über das Modell der staatlichen Organisation nicht. Die Sowjets wollen einen zentralistischen Einheitsstaat errichten, die Amerikaner einen föderalen Bundesstaat.
19. September 1945. Mit der Proklamation Nr. 2 gründen die Amerikaner in ihrer Besatzungszone wieder deutsche Länder: Bayern, Württemberg-Baden und Hessen. Bis 1947 folgen die Briten und Franzosen in ihren Zonen.
Nur Bayern, Hamburg und Bremen entstehen in den alten Grenzen vor 1933, alle anderen Länder sind künstliche Gebilde. Das Saarland bildet zunächst eine eigene Verwaltungseinheit.
Bereits seit Juli 1945 bestehen in der sowjetischen Zone die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen sowie, als Neuschöpfungen in Folge der Auflösung Preußens, Sachsen-Anhalt und Brandenburg.
Berlin war im April 1945 von der Roten Armee erobert worden. Bis August 45 übernehmen Amerikaner, Briten und Franzosen ihre Sektoren in der von Bomben schwer getroffenen Stadt.
Westberlin ist unter dem Vier-Mächte-Status formal nicht integraler Bestandteil der Bundesrepublik, kann aber Vertreter in den Bundesrat entsenden, die allerdings kein Stimmrecht haben. In der Verfassung der DDR von 1949 wird Berlin zur Hauptstadt erklärt. Seit dem Tag der Wiedervereinigung, dem 3. Oktober 1990, bilden beide Stadthälften gemeinsam das Land Berlin.
Juni 1947. In München soll die erste gemeinsame Konferenz der Ministerpräsidenten aller Zonen stattfinden. Geladen hat der bayerische Regierungschef Hans Ehard. Die Konferenz scheitert, bevor sie richtig begonnen hat. Am 6. Juni erklärt Ehard:
"Trotz der Aufteilung, Spaltung Deutschlands in vier Zonen geben wir keinen Teil unseres deutschen Vaterlandes auf."
Die Vertreter der ostdeutschen Länder sind bereits abgereist. Sie hatten die von den West-Ministerpräsidenten vorformulierte Tagesordnung nicht akzeptiert. Als ersten Tagesordnungspunkt wollten sie über die "Bildung einer deutschen Zentralverwaltung … zur Schaffung eines deutschen Einheitsstaates" sprechen. Die Westvertreter lehnen diese Forderung ab.
"Trotz des Weggangs der Ministerpräsidenten der Ostzone, bleiben wir auch diesem Teile Deutschlands zutiefst verbunden."
Das Scheitern der Konferenz zeigt, wie tief die Spaltung Deutschlands bereits geht. Beide Seiten weisen einander die Schuld zu.
Es wird für mehr als 40 Jahre das letzte gemeinsame Treffen aller deutschen Ministerpräsidenten sein.
1. Juli 1948. Eine gesamtdeutsche Lösung erscheint kaum realisierbar. Die westlichen Besatzungsmächte zitieren die Ministerpräsidenten ihrer Zonen nach Frankfurt am Main.
Wochenschau / 1948: "Die Militärgouverneure wiesen die Ministerpräsidenten an, bis spätesten 1. September eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, um wenigsten Westdeutschland zu einer politischen Einheit zusammenzuschließen."
Die Alliierten legen fest, dass die beteiligten Länder eine "Regierungsform des föderalistischen Typs" schaffen sollen, mit einer "angemessenen Zentralinstanz" und Grundrechten.
Wochenschau / 1948: "Die Ministerpräsidenten trafen bereits eine Woche später in Koblenz zur Erörterung der Alliierten Vorschläge zusammen."
Die Länderchefs sträuben sich. Sie wollen nicht mit einer Verfassung die Teilung Deutschlands besiegeln. Schließlich einigen sie sich mit den Militärgouverneuren auf einen Kompromiss: Einberufung eines "Parlamentarischen Rates", der keine Verfassung, sondern ein "Grundgesetz" zu erarbeiten hat.
65 Abgeordnete aus den elf Ländern bilden den Parlamentarischen Rat. Karl Arnold, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen mahnt an:
"Denken Sie bei jedem Wort daran, das sie in das Grundgesetz schreiben, ob es einer sachlichen Kritik aus gesamtdeutscher Schau standhalten kann."
Die Beratungen ziehen sich über Monate hin. Für Konflikte sorgt vor allem die alliierte Vorgabe eines föderalen Staatsaufbaus. Die Frage ist, welche Kompetenzen die Länder erhalten sollen, welche der Bund. Die SPD bezieht eine eher zentralstaatliche Position. Bayerns Ministerpräsident Hans Ehard dagegen tritt für einen starken Bundesrat ein, ausgestattet mit möglichst vielen Mitspracherechten. Ehard am 17. November 1948:
"Wenn man einen bundesstaatlichen Aufbau will, dann muss man die Länder, das heißt die Glieder des Bundes, die Bundesstaaten, auch entscheidend an den Dingen des Bundes mitwirken lassen."
Am 23. Mai 1949 setzen die elf Ministerpräsidenten ihre Unterschrift unter das Grundgesetz. Vor dem Gebäude wehen die Flaggen der Länder sowie die schwarz-rot-goldene Bundesflagge, die der Rat am 8. Mai beschlossen hatte. Die Länder waren damit aus ihrer Rolle als Geburtshelfer der Bundesrepublik entlassen.
7. September 1949. Noch vor der ersten Sitzung des Bundestages tritt der Bundesrat zu seiner ersten Sitzung zusammen:
Reportage: "Die Geburtsstunde der neuen deutschen Bundesrepublik hat begonnen, dieses ist der erste Akt, der sich heute Vormittag um 11 Uhr hier im Saale der früheren Pädagogischen Akademie im Bundeshaus in Bonn abspielt."
Im Grundgesetz ist die föderale Ordnung festgeschrieben: ein System von "Checks and Balances". Es ist die Lehre aus der Zeit des Drittes Reiches und soll eine gefährliche Machtkonzentration verhindern. Das System haben die Westmächte vorgegeben. Und es greift eigene historische Traditionen auf – auch wenn die meisten Bundesländer vor 1945 nicht in dieser Form existierten.
Mit der Gründung der Bundesrepublik ist die staatliche Zweiteilung faktisch vollzogen.
In den Anfangsjahren der Republik ist die Länderkammer damit beschäftigt, ihre eigene Rolle zu finden:
"Der Bundesrat hatte, um auch die Erinnerung daran wieder ins Leben zu rufen, anfangs einen sehr schweren Stand gegenüber den anderen Bundesorganen."
Erinnert sich Albert Pfitzer, Bundesratsdirektor von 1951 bis 1978. Besonders Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler, versucht, den Einfluss der Länderkammer klein zu halten.
"Die politische Mitsprache im eigentlichen Sinne war nicht gewünscht."
Die Arbeit im Bundesrat verläuft meist in sachlicher und kollegialer Atmosphäre. Erst 1969, als die SPD und Willy Brandt im Bund regieren, entdeckt die CDU die Länderkammer als Oppositions- und Blockadeinstrument. Die Arbeit des Vermittlungsausschusses wird immer wichtiger. Albert Pfitzer 1978:
"Auf Länderseite bestand früher vielleicht ein stärkeres Solidaritätsgefühl, das heute von parteipolitischen Zwängen überlagert wird."
Das Solidaritätsgefühl ist wiederholt schweren Belastungen ausgesetzt. Die Länder streiten um den Länderfinanzausgleich. Er verpflichtet die finanzstarken Länder, den schwachen Ländern zu helfen. Die sozialen Verhältnisse sollen laut Grundgesetz in allen Bundesländern annähernd gleich sein.
Die westlichen Alliierten hatten eine zentrale Finanzverwaltung abgelehnt – und sich durchgesetzt, gegen die Mehrheit im Parlamentarischen Rat.
Maier: "Wir sind beim Geben dabei, beim Zahlen, wenn aber verteilt wird, wenn empfangen wird, sind wir nicht dabei."
Das Bundesland Württemberg-Baden ist 1951 ein Geberland und wird es auch ab 1952 als Bundesland Baden-Württemberg bleiben. Bayern ist - wie andere Länder - Nutznießer. Erst in den 80er Jahren wird der Freistaat vom Empfänger- zum Geberland.
Ursprünglich sollten die Länder nicht wie in der Weimarer Republik von den Zuweisungen von oben abhängig sein. Sie sollten eigene Steuern erhalten, denn, so einer der Väter des Grundgesetzes, Carlo Schmid, SPD:
"Auch im staatlichen Bereich gilt die alte Bauernregel: Wer das Geld hat, schafft an."
Ein klares Trennsystem gibt es aber auch in den Anfängen der Bundesrepublik nicht. Bereits in den 50er Jahren ist die Steuergesetzgebung schwer zu durchschauen. Und es setzt ein Trend zur Zentralisierung ein. Der Bund verstärkt ihn über finanzielle Zuwendungen in Bereichen, die eigentlich Ländersache sind. In den 60er Jahren wird der Ruf nach einer großen Finanzreform immer lauter.
1966 regiert die große Koalition aus SPD und CDU. Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger erklärt 1967, das Gelingen oder Misslingen der Finanzreform entscheide über die historische Berechtigung der großen Koalition.
"Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen."
Franz Josef Strauß verteidigt im Bundestag 1968 die Reform.
"Die Eigenstaatlichkeit der Länder wird nicht gefährdet, ihre Mitverantwortung für die gesamtstaatlichen Belange aber bewusst gestärkt."
Im Frühjahr 1969 passiert die Große Finanzreform schließlich Bundestag und Bundesrat. Sie ist eine der tiefgreifendsten Reformen des Grundgesetzes.
Mit ihr werden die bisher bereits üblichen Formen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern intensiviert und verfassungsrechtlich klar definiert. Die ertragreichsten Steuern, die Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuer sind nun Gemeinschaftssteuern von Bund und Ländern.
"Dennoch ist aber nicht zu übersehen, dass es ernstzunehmende Kritiker gibt, die uns auf die Gefahren eines überstrapazierten Föderalismus hinweisen."
Erklärt Bundeskanzler Willy Brandt am 20. Februar 1973 zum Gutachten der Ernst-Kommission. Diese war Anfang der 70er eingesetzt worden. Sie sollte endlich einen Auftrag der Alliierten von 1948 umzusetzen, der Eingang ins Grundgesetz gefunden hatte. Artikel 29, Absatz 1: Die Neugliederung des Bundesgebietes in leistungsfähigere Länder.
Die "Ernst-Kommission" votiert für Zusammenlegung der zehn westdeutschen Bundesländer. Nahezu unverändert sollten nur Nordrhein-Westfalen und Bayern bleiben. Hamburg würde Hauptstadt eines Nord-Bundeslandes, "Mittelwest" bestünde aus Hessen und dem Rheinland, "Südwest" aus Baden-Württemberg, dem Saarland und der Pfalz, so eine Variante. Das Ergebnis: Selbständigkeit statt Kleinstaaterei, die finanzschwachen Länder sind nicht länger Kostgänger der finanzstärkeren.
Die Ideen der Ernst- Kommission werden über die Jahre immer wieder aufgegriffen, umgesetzt wird der Verfassungsauftrag nicht. Stattdessen wird der Grundgesetzartikel 1976 einfach umgewandelt. Der zwingende Auftrag zur Neugliederung wird aufgeweicht und in eine nicht verpflichtende Kann-Bestimmung umformuliert.
"Die eigentliche Erbkrankheit der sozialistischen Gesellschaft war der diktatorische Zentralismus, der aus stalinistischer Verblendung an die Stelle der Demokratie, an die Stelle der Selbstbestimmung der Menschen gesetzt worden war."
Erklärt DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière am 19. April 1990. In der DDR waren 1952 die Länder im Zuge einer Verwaltungsreform faktisch aufgelöst worden, an ihre Stelle traten Bezirke.
"Mit Wirkung vom 14.10.1990 werden in der DDR folgende Länder neu gegründet. Mecklenburg-Vorpommern, durch Zusammenlegung der Bezirksterritorien Neubrandenburg, Rostock und Schwerin ….."
Der SPD-Abgeordnete Volker Schemmel, am 22. Juli 1990. Ein historischer Moment. Die Volkskammer hat das "Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik" beschlossen. Vorschläge, im Zuge der Deutschen Einheit auch die Ländergrenzen neu zu gestalten, finden kein Gehör. Wieder begründet wurden die fünf Länder so, wie sie bis 1952 existiert hatten.
Dass die Einheit Geld kostet, viel Geld, ist schon vor der Vereinigung klar. Die westdeutschen Länder verhandeln mit dem Bund. Im Mai 1990 einigen sie sich auf den Fonds "Deutsche Einheit", den beide Seiten je zur Hälfte tragen wollen. Ein Erfolg der Länder, denn im Gegenzug bleiben die neuen Länder bis 1994 beim Länderfinanzausgleich außen vor. Der bayerische Ministerpräsident Max Streibl erklärt dazu am 16. Mai 1990 auf einer Pressekonferenz in Bonn:
"Für uns Länder ist es besonders wichtig, dass wir wissen, woran wir sind in den nächsten Jahren. Unsere Beträge sind festgeschrieben. Das Risiko, wenn es mehr werden sollte, und hier geht es um das Staatsdefizit drüben, wenn es mehr werden sollte, dann ist es das Risiko des Bundes."
Am 3. Oktober 1990 erfolgt der Beitritt der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik. Im Dezember 1990, München, wieder ein historischer Moment: Das erste Treffen aller Ministerpräsidenten seit 1947. Manfred Stolpe, Regierungschef von Brandenburg:
"Nach meiner Überzeugung hat sich hier an diesen beiden Tagen die Einheit der deutschen Länder praktisch vollzogen. Und wir aus den neuen Ländern, den nordöstlichen Länder, sind hier nicht als arme und lästige Verwandtschaft, sondern als Partner aufgenommen worden."
Die Gemeinschaft der Länder ist stärker als der Streit ums Geld.
Auch auf europäischer Ebene wollen die Länder mitsprechen und gehört werden. 1992 wird auf Drängen der Länder im Vertrag von Maastricht das Subsidiaritätsprinzip verankert: Entscheidungen sollen möglichst bürgernah getroffen werden. Ein neuer Artikel 23 wird in das Grundgesetz aufgenommen, in ihm sind die Mitwirkungsrechte der Länder festgeschrieben. In der Debatte um die EU-Verfassung setzen sich die Länder dafür ein, die Rolle der Regionen zu stärken.
Unter der rot-grünen Bundesregierung weicht im Bundesrat die sachliche Atmosphäre der Inszenierung der Empörung.
22. März 2002, das Zuwanderungsgesetz steht zur Abstimmung.
Wowereit: "Damit stelle ich fest, dass das Land Brandenburg mit Ja gestimmt hat."
Protestrufe: Verfassungsbruch …"
Peter Müller, der saarländische Ministerpräsident, gibt später zu, er und seine Unionskollegen hätten sich künstlich echauffiert.
Koch: ""Das ist ja unglaublich! Das ist Rechtsbruch! …."
Müller: "Die dort geäußerte Empörung entstand nicht spontan, die Empörung haben wir verabredet. Und ich sage, das war Theater, aber es war legitimes Theater."
Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern hat sich seit 1949 verändert. Die Länderparlamente haben immer weniger zu entscheiden, der Bund hat viele Zuständigkeiten an sich gezogen. Zugleich haben die Länder an Macht gewonnen, die Zahl der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze ist auf über 60 Prozent gestiegen.
Der Ruf nach einer Föderalismusreform wird lauter. Es geht darum, die "Politikverflechtung" aufzulösen: Kompetenzen an die Länder zurückzuverlagern und im Gegenzug die bundespolitischen Mitspracherechte der Ministerpräsidenten zu beschränken.
Am 7. Juli 2006 stimmt der Bundesrat mit Zweidrittel-Mehrheit der Föderalismusreform zu. Sie sieht die umfassendste Neuordnung der Bund-Länder-Zuständigkeiten in der Geschichte der Bundesrepublik vor. Der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze soll sinken - von über 60 auf unter 40 Prozent. Im Gegenzug erhalten die Länder mehr eigene Kompetenzen.
Die Geschichte der Länder ist eine deutsche Erfolgsgeschichte.
Die Länder spielen eine wichtige Rolle in den Gründungsjahren der Bundesrepublik. Das föderale System steht im Grundsatz für Vielfalt und Stabilität, für Bürgernähe und Überschaubarkeit politischer Entscheidungsprozesse.
Der Föderalismus lebt … und damit auch die Diskussion. Nun geht es um die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Das Verhältnis zwischen Stabilitätspakt und Solidarpakt ist neu zu definieren
Eine immer wieder geforderte Neuordnung der Länder ist nicht in Sicht; zu stark wirken regionalen Identitäten und Interessen - auch in den nach 1945 neu geschaffenen Ländern.
Fritz Schäffer: "Meine lieben bayerischen Landsleute, die amerikanische Besatzungsbehörde für Bayern hat mich zum Ministerpräsidenten bestimmt."
Die ersten, von den Siegermächten eingesetzten Ministerpräsidenten sind zunächst nicht viel mehr als Befehlsempfänger. Vollzugsorgane ohne nennenswerte eigene Entscheidungsbefugnisse.
Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Demokratisierung – über die Leitlinien sind sich die Siegermächte einig, über das Modell der staatlichen Organisation nicht. Die Sowjets wollen einen zentralistischen Einheitsstaat errichten, die Amerikaner einen föderalen Bundesstaat.
19. September 1945. Mit der Proklamation Nr. 2 gründen die Amerikaner in ihrer Besatzungszone wieder deutsche Länder: Bayern, Württemberg-Baden und Hessen. Bis 1947 folgen die Briten und Franzosen in ihren Zonen.
Nur Bayern, Hamburg und Bremen entstehen in den alten Grenzen vor 1933, alle anderen Länder sind künstliche Gebilde. Das Saarland bildet zunächst eine eigene Verwaltungseinheit.
Bereits seit Juli 1945 bestehen in der sowjetischen Zone die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen sowie, als Neuschöpfungen in Folge der Auflösung Preußens, Sachsen-Anhalt und Brandenburg.
Berlin war im April 1945 von der Roten Armee erobert worden. Bis August 45 übernehmen Amerikaner, Briten und Franzosen ihre Sektoren in der von Bomben schwer getroffenen Stadt.
Westberlin ist unter dem Vier-Mächte-Status formal nicht integraler Bestandteil der Bundesrepublik, kann aber Vertreter in den Bundesrat entsenden, die allerdings kein Stimmrecht haben. In der Verfassung der DDR von 1949 wird Berlin zur Hauptstadt erklärt. Seit dem Tag der Wiedervereinigung, dem 3. Oktober 1990, bilden beide Stadthälften gemeinsam das Land Berlin.
Juni 1947. In München soll die erste gemeinsame Konferenz der Ministerpräsidenten aller Zonen stattfinden. Geladen hat der bayerische Regierungschef Hans Ehard. Die Konferenz scheitert, bevor sie richtig begonnen hat. Am 6. Juni erklärt Ehard:
"Trotz der Aufteilung, Spaltung Deutschlands in vier Zonen geben wir keinen Teil unseres deutschen Vaterlandes auf."
Die Vertreter der ostdeutschen Länder sind bereits abgereist. Sie hatten die von den West-Ministerpräsidenten vorformulierte Tagesordnung nicht akzeptiert. Als ersten Tagesordnungspunkt wollten sie über die "Bildung einer deutschen Zentralverwaltung … zur Schaffung eines deutschen Einheitsstaates" sprechen. Die Westvertreter lehnen diese Forderung ab.
"Trotz des Weggangs der Ministerpräsidenten der Ostzone, bleiben wir auch diesem Teile Deutschlands zutiefst verbunden."
Das Scheitern der Konferenz zeigt, wie tief die Spaltung Deutschlands bereits geht. Beide Seiten weisen einander die Schuld zu.
Es wird für mehr als 40 Jahre das letzte gemeinsame Treffen aller deutschen Ministerpräsidenten sein.
1. Juli 1948. Eine gesamtdeutsche Lösung erscheint kaum realisierbar. Die westlichen Besatzungsmächte zitieren die Ministerpräsidenten ihrer Zonen nach Frankfurt am Main.
Wochenschau / 1948: "Die Militärgouverneure wiesen die Ministerpräsidenten an, bis spätesten 1. September eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, um wenigsten Westdeutschland zu einer politischen Einheit zusammenzuschließen."
Die Alliierten legen fest, dass die beteiligten Länder eine "Regierungsform des föderalistischen Typs" schaffen sollen, mit einer "angemessenen Zentralinstanz" und Grundrechten.
Wochenschau / 1948: "Die Ministerpräsidenten trafen bereits eine Woche später in Koblenz zur Erörterung der Alliierten Vorschläge zusammen."
Die Länderchefs sträuben sich. Sie wollen nicht mit einer Verfassung die Teilung Deutschlands besiegeln. Schließlich einigen sie sich mit den Militärgouverneuren auf einen Kompromiss: Einberufung eines "Parlamentarischen Rates", der keine Verfassung, sondern ein "Grundgesetz" zu erarbeiten hat.
65 Abgeordnete aus den elf Ländern bilden den Parlamentarischen Rat. Karl Arnold, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen mahnt an:
"Denken Sie bei jedem Wort daran, das sie in das Grundgesetz schreiben, ob es einer sachlichen Kritik aus gesamtdeutscher Schau standhalten kann."
Die Beratungen ziehen sich über Monate hin. Für Konflikte sorgt vor allem die alliierte Vorgabe eines föderalen Staatsaufbaus. Die Frage ist, welche Kompetenzen die Länder erhalten sollen, welche der Bund. Die SPD bezieht eine eher zentralstaatliche Position. Bayerns Ministerpräsident Hans Ehard dagegen tritt für einen starken Bundesrat ein, ausgestattet mit möglichst vielen Mitspracherechten. Ehard am 17. November 1948:
"Wenn man einen bundesstaatlichen Aufbau will, dann muss man die Länder, das heißt die Glieder des Bundes, die Bundesstaaten, auch entscheidend an den Dingen des Bundes mitwirken lassen."
Am 23. Mai 1949 setzen die elf Ministerpräsidenten ihre Unterschrift unter das Grundgesetz. Vor dem Gebäude wehen die Flaggen der Länder sowie die schwarz-rot-goldene Bundesflagge, die der Rat am 8. Mai beschlossen hatte. Die Länder waren damit aus ihrer Rolle als Geburtshelfer der Bundesrepublik entlassen.
7. September 1949. Noch vor der ersten Sitzung des Bundestages tritt der Bundesrat zu seiner ersten Sitzung zusammen:
Reportage: "Die Geburtsstunde der neuen deutschen Bundesrepublik hat begonnen, dieses ist der erste Akt, der sich heute Vormittag um 11 Uhr hier im Saale der früheren Pädagogischen Akademie im Bundeshaus in Bonn abspielt."
Im Grundgesetz ist die föderale Ordnung festgeschrieben: ein System von "Checks and Balances". Es ist die Lehre aus der Zeit des Drittes Reiches und soll eine gefährliche Machtkonzentration verhindern. Das System haben die Westmächte vorgegeben. Und es greift eigene historische Traditionen auf – auch wenn die meisten Bundesländer vor 1945 nicht in dieser Form existierten.
Mit der Gründung der Bundesrepublik ist die staatliche Zweiteilung faktisch vollzogen.
In den Anfangsjahren der Republik ist die Länderkammer damit beschäftigt, ihre eigene Rolle zu finden:
"Der Bundesrat hatte, um auch die Erinnerung daran wieder ins Leben zu rufen, anfangs einen sehr schweren Stand gegenüber den anderen Bundesorganen."
Erinnert sich Albert Pfitzer, Bundesratsdirektor von 1951 bis 1978. Besonders Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler, versucht, den Einfluss der Länderkammer klein zu halten.
"Die politische Mitsprache im eigentlichen Sinne war nicht gewünscht."
Die Arbeit im Bundesrat verläuft meist in sachlicher und kollegialer Atmosphäre. Erst 1969, als die SPD und Willy Brandt im Bund regieren, entdeckt die CDU die Länderkammer als Oppositions- und Blockadeinstrument. Die Arbeit des Vermittlungsausschusses wird immer wichtiger. Albert Pfitzer 1978:
"Auf Länderseite bestand früher vielleicht ein stärkeres Solidaritätsgefühl, das heute von parteipolitischen Zwängen überlagert wird."
Das Solidaritätsgefühl ist wiederholt schweren Belastungen ausgesetzt. Die Länder streiten um den Länderfinanzausgleich. Er verpflichtet die finanzstarken Länder, den schwachen Ländern zu helfen. Die sozialen Verhältnisse sollen laut Grundgesetz in allen Bundesländern annähernd gleich sein.
Die westlichen Alliierten hatten eine zentrale Finanzverwaltung abgelehnt – und sich durchgesetzt, gegen die Mehrheit im Parlamentarischen Rat.
Maier: "Wir sind beim Geben dabei, beim Zahlen, wenn aber verteilt wird, wenn empfangen wird, sind wir nicht dabei."
Das Bundesland Württemberg-Baden ist 1951 ein Geberland und wird es auch ab 1952 als Bundesland Baden-Württemberg bleiben. Bayern ist - wie andere Länder - Nutznießer. Erst in den 80er Jahren wird der Freistaat vom Empfänger- zum Geberland.
Ursprünglich sollten die Länder nicht wie in der Weimarer Republik von den Zuweisungen von oben abhängig sein. Sie sollten eigene Steuern erhalten, denn, so einer der Väter des Grundgesetzes, Carlo Schmid, SPD:
"Auch im staatlichen Bereich gilt die alte Bauernregel: Wer das Geld hat, schafft an."
Ein klares Trennsystem gibt es aber auch in den Anfängen der Bundesrepublik nicht. Bereits in den 50er Jahren ist die Steuergesetzgebung schwer zu durchschauen. Und es setzt ein Trend zur Zentralisierung ein. Der Bund verstärkt ihn über finanzielle Zuwendungen in Bereichen, die eigentlich Ländersache sind. In den 60er Jahren wird der Ruf nach einer großen Finanzreform immer lauter.
1966 regiert die große Koalition aus SPD und CDU. Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger erklärt 1967, das Gelingen oder Misslingen der Finanzreform entscheide über die historische Berechtigung der großen Koalition.
"Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen."
Franz Josef Strauß verteidigt im Bundestag 1968 die Reform.
"Die Eigenstaatlichkeit der Länder wird nicht gefährdet, ihre Mitverantwortung für die gesamtstaatlichen Belange aber bewusst gestärkt."
Im Frühjahr 1969 passiert die Große Finanzreform schließlich Bundestag und Bundesrat. Sie ist eine der tiefgreifendsten Reformen des Grundgesetzes.
Mit ihr werden die bisher bereits üblichen Formen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern intensiviert und verfassungsrechtlich klar definiert. Die ertragreichsten Steuern, die Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuer sind nun Gemeinschaftssteuern von Bund und Ländern.
"Dennoch ist aber nicht zu übersehen, dass es ernstzunehmende Kritiker gibt, die uns auf die Gefahren eines überstrapazierten Föderalismus hinweisen."
Erklärt Bundeskanzler Willy Brandt am 20. Februar 1973 zum Gutachten der Ernst-Kommission. Diese war Anfang der 70er eingesetzt worden. Sie sollte endlich einen Auftrag der Alliierten von 1948 umzusetzen, der Eingang ins Grundgesetz gefunden hatte. Artikel 29, Absatz 1: Die Neugliederung des Bundesgebietes in leistungsfähigere Länder.
Die "Ernst-Kommission" votiert für Zusammenlegung der zehn westdeutschen Bundesländer. Nahezu unverändert sollten nur Nordrhein-Westfalen und Bayern bleiben. Hamburg würde Hauptstadt eines Nord-Bundeslandes, "Mittelwest" bestünde aus Hessen und dem Rheinland, "Südwest" aus Baden-Württemberg, dem Saarland und der Pfalz, so eine Variante. Das Ergebnis: Selbständigkeit statt Kleinstaaterei, die finanzschwachen Länder sind nicht länger Kostgänger der finanzstärkeren.
Die Ideen der Ernst- Kommission werden über die Jahre immer wieder aufgegriffen, umgesetzt wird der Verfassungsauftrag nicht. Stattdessen wird der Grundgesetzartikel 1976 einfach umgewandelt. Der zwingende Auftrag zur Neugliederung wird aufgeweicht und in eine nicht verpflichtende Kann-Bestimmung umformuliert.
"Die eigentliche Erbkrankheit der sozialistischen Gesellschaft war der diktatorische Zentralismus, der aus stalinistischer Verblendung an die Stelle der Demokratie, an die Stelle der Selbstbestimmung der Menschen gesetzt worden war."
Erklärt DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière am 19. April 1990. In der DDR waren 1952 die Länder im Zuge einer Verwaltungsreform faktisch aufgelöst worden, an ihre Stelle traten Bezirke.
"Mit Wirkung vom 14.10.1990 werden in der DDR folgende Länder neu gegründet. Mecklenburg-Vorpommern, durch Zusammenlegung der Bezirksterritorien Neubrandenburg, Rostock und Schwerin ….."
Der SPD-Abgeordnete Volker Schemmel, am 22. Juli 1990. Ein historischer Moment. Die Volkskammer hat das "Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik" beschlossen. Vorschläge, im Zuge der Deutschen Einheit auch die Ländergrenzen neu zu gestalten, finden kein Gehör. Wieder begründet wurden die fünf Länder so, wie sie bis 1952 existiert hatten.
Dass die Einheit Geld kostet, viel Geld, ist schon vor der Vereinigung klar. Die westdeutschen Länder verhandeln mit dem Bund. Im Mai 1990 einigen sie sich auf den Fonds "Deutsche Einheit", den beide Seiten je zur Hälfte tragen wollen. Ein Erfolg der Länder, denn im Gegenzug bleiben die neuen Länder bis 1994 beim Länderfinanzausgleich außen vor. Der bayerische Ministerpräsident Max Streibl erklärt dazu am 16. Mai 1990 auf einer Pressekonferenz in Bonn:
"Für uns Länder ist es besonders wichtig, dass wir wissen, woran wir sind in den nächsten Jahren. Unsere Beträge sind festgeschrieben. Das Risiko, wenn es mehr werden sollte, und hier geht es um das Staatsdefizit drüben, wenn es mehr werden sollte, dann ist es das Risiko des Bundes."
Am 3. Oktober 1990 erfolgt der Beitritt der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik. Im Dezember 1990, München, wieder ein historischer Moment: Das erste Treffen aller Ministerpräsidenten seit 1947. Manfred Stolpe, Regierungschef von Brandenburg:
"Nach meiner Überzeugung hat sich hier an diesen beiden Tagen die Einheit der deutschen Länder praktisch vollzogen. Und wir aus den neuen Ländern, den nordöstlichen Länder, sind hier nicht als arme und lästige Verwandtschaft, sondern als Partner aufgenommen worden."
Die Gemeinschaft der Länder ist stärker als der Streit ums Geld.
Auch auf europäischer Ebene wollen die Länder mitsprechen und gehört werden. 1992 wird auf Drängen der Länder im Vertrag von Maastricht das Subsidiaritätsprinzip verankert: Entscheidungen sollen möglichst bürgernah getroffen werden. Ein neuer Artikel 23 wird in das Grundgesetz aufgenommen, in ihm sind die Mitwirkungsrechte der Länder festgeschrieben. In der Debatte um die EU-Verfassung setzen sich die Länder dafür ein, die Rolle der Regionen zu stärken.
Unter der rot-grünen Bundesregierung weicht im Bundesrat die sachliche Atmosphäre der Inszenierung der Empörung.
22. März 2002, das Zuwanderungsgesetz steht zur Abstimmung.
Wowereit: "Damit stelle ich fest, dass das Land Brandenburg mit Ja gestimmt hat."
Protestrufe: Verfassungsbruch …"
Peter Müller, der saarländische Ministerpräsident, gibt später zu, er und seine Unionskollegen hätten sich künstlich echauffiert.
Koch: ""Das ist ja unglaublich! Das ist Rechtsbruch! …."
Müller: "Die dort geäußerte Empörung entstand nicht spontan, die Empörung haben wir verabredet. Und ich sage, das war Theater, aber es war legitimes Theater."
Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern hat sich seit 1949 verändert. Die Länderparlamente haben immer weniger zu entscheiden, der Bund hat viele Zuständigkeiten an sich gezogen. Zugleich haben die Länder an Macht gewonnen, die Zahl der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze ist auf über 60 Prozent gestiegen.
Der Ruf nach einer Föderalismusreform wird lauter. Es geht darum, die "Politikverflechtung" aufzulösen: Kompetenzen an die Länder zurückzuverlagern und im Gegenzug die bundespolitischen Mitspracherechte der Ministerpräsidenten zu beschränken.
Am 7. Juli 2006 stimmt der Bundesrat mit Zweidrittel-Mehrheit der Föderalismusreform zu. Sie sieht die umfassendste Neuordnung der Bund-Länder-Zuständigkeiten in der Geschichte der Bundesrepublik vor. Der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze soll sinken - von über 60 auf unter 40 Prozent. Im Gegenzug erhalten die Länder mehr eigene Kompetenzen.
Die Geschichte der Länder ist eine deutsche Erfolgsgeschichte.
Die Länder spielen eine wichtige Rolle in den Gründungsjahren der Bundesrepublik. Das föderale System steht im Grundsatz für Vielfalt und Stabilität, für Bürgernähe und Überschaubarkeit politischer Entscheidungsprozesse.
Der Föderalismus lebt … und damit auch die Diskussion. Nun geht es um die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Das Verhältnis zwischen Stabilitätspakt und Solidarpakt ist neu zu definieren
Eine immer wieder geforderte Neuordnung der Länder ist nicht in Sicht; zu stark wirken regionalen Identitäten und Interessen - auch in den nach 1945 neu geschaffenen Ländern.