"Bevor du dich umbringst, ruf an!"
Über acht Millionen Mal werden die Telefonnummern der Telefonseelsorge jedes Jahr gewählt. Rund 7.500 ehrenamtliche Mitarbeiter stehen Menschen in Krisensituationen zur Seite. Am 6. Oktober 1956 wurde die "ärztliche Lebensmüdenbetreuung" in Berlin gegründet.
"Suizide in London waren der Auslöser, dass Chad Varah gesagt hat, es kann nicht sein, dass Menschen in einer solchen Situation nicht wissen, an wen sie sich wenden können.”
Es war Anfang der 1950er-Jahre, als der britische Pfarrer Chad Varah in London ein 14-jähriges Mädchen beerdigen musste, das sich aus Scham über seine erste Periode das Leben genommen hatte. Es hatte sie für eine gefährliche, sexuell ansteckende Krankheit gehalten. Der "Selbstmord" war kein Einzelfall, davon war der Geistliche überzeugt, so der Geschäftsführer der Evangelischen Konferenz für Telefonseelsorge, Bernd Blömeke.
"Er hat dann eine Zeitungsanzeige in der 'Times' geschaltet: 'Bevor du dich umbringst, ruf an!' Und hat seine Telefonnummer angegeben, hat seine Telefonnummer auch ins Fenster - er war ja anglikanischer Pfarrer - in seinem Pfarrhaus ins Fenster gesetzt, und so ist die erste Telefonseelsorge entstanden."
Probleme unterschiedlichster Art
Die Idee des Hilfetelefons ging durch die Presse und wurde auch im Ausland aufmerksam verfolgt. Und so wurde am 6. Oktober 1956 von einem Arzt und einer Gruppe engagierter Christen in Berlin die "ärztliche Lebensmüdenbetreuung" gegründet, wie die Telefonseelsorge zunächst hieß. Andere Städte folgten und schon bald wurde die Nummer des Krisentelefons nicht nur von "Lebensmüden" gewählt, sondern von Verzweifelten aller Art. Ein häufiger Grund für Anrufe waren anfangs die sogenannten Mischehen zwischen Protestanten und Katholiken.
Frau: "Ich bin evangelisch, und mein Mann ist katholisch."
Telefonseelsorgerin: "Das spielt alles keine Rolle."
Frau: "Meinen Sie nicht?"
Telefonseelsorgerin: "Nein, nein, das spielt für unsern Fall hier..."
Frau: "Und ich hab sogar ihm zuliebe, wegen seiner Mutti, ne, hab' ich meine Kinder katholisch taufen lassen, alle. Also hätte ich mich direkt auch durchgesetzt und hätte meine Kinder evangelisch taufen lassen, nämlich zu erziehen hat nur eine Mami die Kinder oder, ne ... Merken Sie nicht, dass ich restlos verzweifelt bin!"
Telefonseelsorgerin: "Ja, das merke ich. Weinen Sie sich ruhig mal aus."
Telefonseelsorgerin: "Das spielt alles keine Rolle."
Frau: "Meinen Sie nicht?"
Telefonseelsorgerin: "Nein, nein, das spielt für unsern Fall hier..."
Frau: "Und ich hab sogar ihm zuliebe, wegen seiner Mutti, ne, hab' ich meine Kinder katholisch taufen lassen, alle. Also hätte ich mich direkt auch durchgesetzt und hätte meine Kinder evangelisch taufen lassen, nämlich zu erziehen hat nur eine Mami die Kinder oder, ne ... Merken Sie nicht, dass ich restlos verzweifelt bin!"
Telefonseelsorgerin: "Ja, das merke ich. Weinen Sie sich ruhig mal aus."
Viele psychisch Kranke
Heute sind die Themen der Gespräche so unterschiedlich wie die Menschen, die sich einer der gut 100 Telefonseelsorge-Stellen in der Bundesrepublik anonym anvertrauen. Und doch gibt es eine Gruppe, die besonders oft anruft. Fast jeder dritte erzählt im Laufe des Gesprächs, dass er oder sie psychisch krank ist. Das hat mit der Psychiatriereform der 70er Jahre zu tun, sagt Bernd Blömeke, seitdem werden viele psychisch Kranke nicht mehr in Kliniken untergebracht, sondern leben in ihren Wohnungen.
"Das heißt natürlich dann auch, dass vielfach die Nachtschwester, wenn ich einen Unruhezustand bekomme, wenn ich mich schlecht fühle, nicht durch ein Klingeln erreichbar ist, herbeirufbar ist, sondern ich brauche eine andere Form von Hilfe, und dann wende ich mich an die Telefonseelsorge. Das heißt, mittelbar ist dieses hohe Aufkommen von Anrufen psychisch kranker Menschen bei der Telefonseelsorge auch eine Veränderung in der Psychiatrie-Landschaft, in der Herangehensweise, mit psychisch kranken Menschen zu arbeiten."
Entgegengenommen werden die Anrufe von rund 7.500 Freiwilligen. Sie machen die Telefonseelsorge überall in Deutschland rund um die Uhr erreichbar.
"Ja, ich höre schon, dass es Ihnen heute gar nicht gut geht."
Einjährige Ausbildung zum Telefonseelsorger
Die Ehrenamtlichen sind keine professionellen Psychologen, sondern Laien, die in einer einjährigen Ausbildung intensiv auf die Arbeit am Telefon vorbereitet werden. Zum Beispiel Maike Nordmann, die seit sieben Jahren bei der Telefonseelsorge Berlin arbeitet.
"Ich habe das schon gehabt, dass ich dann gesagt habe: Oh Mann, ich fühl mich so hilflos Ihnen gegenüber, ich würde Ihnen so gerne helfen, und dann kam der Satz: Das brauchen Sie überhaupt nicht, Sie hören mir zu, das reicht. Wo ich so richtig gemerkt habe: okay, das ist dann die Last, die ich mir eigentlich selber auferlegt habe, und die völlig überflüssig ist, und es reicht tatsächlich zuzuhören, da zu sein."
Sie hören mir zu, das reicht
Da sein und zuhören, das ist bis heute das Wichtigste, was die Ehrenamtlichen den Anrufern anbieten. Das gilt auch für die Gruppe, wegen der die Telefonseelsorge ins Leben gerufen wurde: die sogenannten Selbstmörder. Angesichts der fast zwei Millionen Anrufe, die das Krisentelefon inzwischen jährlich erhält, sind die "Suizidgefährdeten" nur noch eine kleine Gruppe, räumt Heidrun Wiese ein. Und doch sind die Gespräche mit ihnen besonders wichtig, betont die Psychologin, die bei der Berliner Telefonseelsorge seit 30 Jahren Ehrenamtliche ausbildet und betreut.
"Wenn jemand darüber sprechen kann, dass er sich das Leben nehmen will, wie er das machen will, wie es ihm noch geht, so lange besteht noch immer die Möglichkeit, dass er die Tür nach innen nicht schließt, also nicht wirklich verschließt, sondern dass er da noch so nen Spalt offen macht, und dass dann noch ein Stück Licht dann auch rein kann, und das ist an sich so das Wesen auch der Suizidprävention, über eine gute Beziehung da noch ein bisschen Licht ins Leben zu lassen. Das ist nie ne Garantie, aber das ist was ganz Wesentliches."