60. Jahrestag

Anwerbeabkommen – aber als Generationenfrage

38:41 Minuten
Ein undatiertes, privates Foto aus den siebziger Jahren zeigt eine türkische Gastarbeiterfamilie vor ihrem Auto.
Gekommen, um zu bleiben: Sogenannte Gastarbeiter und ihre Nachkommen prägen die Deutsche Gesellschaft bis heute. © picture alliance / dpa / privat
Von Christine Watty und Julius Stucke |
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Welche Rolle spielt das Anwerbeabkommen noch in der deutsch-türkischen Community? Und wie sprechen die unterschiedlichen Generationen darüber? Wir fragen die Journalistinnen Ferda Ataman und Nalan Sipar.
Am 30. Oktober 1961 erfolgte ein einfacher und pragmatischer Beschluss, der die deutsche Gesellschaft grundlegend veränderte – ohne, dass diese selbst erst mal was davon wissen wollte: das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fasste beim Festakt zum 60. Jahrestag die diversen Denkfehler, die sich rund um dieses Abkommen rankten, so zusammen: "Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter richteten sich selbst auf einen kurzen Aufenthalt ein – ein paar Jahre in Deutschland arbeiten, das Geld für das Haus, für die Familie verdienen. Aber vor allem die Deutschen glaubten, dass sie die Arbeitskräfte nach ein paar Jahren auch schnell zurückschicken könnten. Rotationsprinzip hieß das Zauberwort."

"Ich bin von hier!"

Doch nicht alle gingen wieder zurück. Viele blieben in Deutschland, bekamen Kinder und Enkel. Wie schaut die nächste Generation anlässlich der Feierlichkeiten auf diesen Wendepunkt in den Biografien ihrer Familien?
Die Journalistin und Kolumnistin Ferda Ataman hat beim erwähnten Abend mit Steinmeier moderiert – ihre Mutter saß im Publikum. Zweimal deutsch-türkische Geschichte, unterschiedlich geschrieben: Eine hergekommen, eine hier geboren und aufgewachsen.
Ferda Ataman, die zu den Gründungsmitgliedern des Vereins Neue Deutsche Medienmacher*innen gehört, hat vor zwei Jahren das Buch "Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!" veröffentlicht. Was bedeutet das Abkommen für die Familie? Was sind die aktuellen Fragen? Und wie redet Ataman mit ihren Eltern über all das?

Miteinander sprechen, nicht übereinander

Nalan Sipar kam selbst erst mit 15 Jahren nach Deutschland und hat sich in ihren journalistischen Beiträgen unter anderem der türkischen Community verschrieben. Auf ihrem Youtube-Kanal richtet sie sich an Menschen, denen der sprachliche Zugang zu Information aus deutschsprachigen Medien fehlt, etwa zu Covid-19 oder der Bundestagswahl.
Warum engagiert sich Nalan für diese erste Generation von Menschen, die aus der Türkei zuwanderten? Wie schaut sie auf die Gesellschaft, die daraus entstand? Und wie unterscheidet sich die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität der ersten Generation türkischer Migranten und Migrantinnen mit der Perspektive folgender Generationen?

Sehnsucht nach anerkennenden Worten

Ein schöner Satz aus der Rede Steinmeiers zum Festakt zum Jahrestag des Anwerbeabkommens ist dieser: "Die Geschichten der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter verdienen einen angemessenen Raum in unseren Schulbüchern und in unserer Erinnerungskultur; eine Randnotiz wird ihrem Beitrag für unser Land nicht gerecht."
Trotzdem: Spürbare Anerkennung gab es bisher wenig. Ferda Ataman erzählt, welche Bedeutung dieser Satz für ihre Mutter hat, die selbst im Rahmen des Abkommens zum Arbeiten nach Deutschland kam – und warum er zur spontanen Tanzeinlage vor dem Bundespräsidenten führte.
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