Ein Leben lang auf Büchersuche
Oft geht es in den Buchverlagen zu viel ums Geld und zu wenig um die Literatur. Bei Michael Krüger sei das anders, sagt der Schriftsteller Rüdiger Safranski. Es sei wirklich seine "Liebe zur Literatur", die den langjährigen Hanser-Verleger im Buchmarkt glaubwürdig mache.
Katrin Heise: Demnächst ist Michael Krüger nur noch Dichter, Schriftsteller, Präsident der Bayerischen Akademie der Künste und im Präsidium des Goethe-Instituts. Er ist dann nicht mehr der Leiter des Hanser Verlags. Vorstellen kann sich das einschließlich seiner eigenen Person wohl kaum jemand aus der Literaturszene, kein Wunder nach 45 Jahren im Verlag! Michael Krüger ist das, was man eine Persönlichkeit, eine Verlegerpersönlichkeit nennt, der sich mit Haut und Haar dem Kulturgut Buch verschrieben hat. Nicht zuletzt durch sein eigenes Schreiben und Dichten ist er auf Augenhöhe mit seinen Literaten gewesen. Hier eins seiner Gedichte, von ihm selbst gelesen:
O-Ton Michael Krüger: Wie Gedichte entstehen. Jeder kennt den Moment, da man auf die Lichtung tritt und die Hasen nach einer Sekunde des Zögerns im Unterholz verschwinden. Es gibt kein Wort, das sie aufhalten könnte. 'Du bist wohl nicht bei Trost', sagte mein Vater, wenn mir die Tränen kamen, 'wie soll man ein Ganzes denken, wenn man nicht weiß, was ein Ganzes ist!'"
Heise: "Wie Gedichte entstehen". Gerade hat Michael Krüger den Gedichtband "Umstellung der Zeit" vorgelegt, einer, den er als Verleger im Hanser Verlag von Anfang an herausbrachte, das ist der Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski. Gerade kam ja seine Goethe-Biografie. Im Gespräch mit meinem Kollegen Vladimir Balzer gratuliert Safranski zum 70.!
Rüdiger Safranski: Ja, ich gratuliere, indem ich einfach sage, diese Jahre, die ich im Verlag, in seinem Verlag meine Bücher verlegt habe, das ist nun seit '84. Ich bin immer treu gewesen diesem Verlag gegenüber, und das hängt doch ganz wesentlich mit ihm zusammen. Und ich gratuliere mir selbst, dass ich den Michael Krüger in meinem Leben getroffen habe.
Vladimir Balzer: Weil Sie sagen, Sie gratulieren sich selbst: Heißt das, da war auch ein Stück Zufall dabei, oder ging das ganz bewusst auf den Hanser Verlag zu, als Sie vor 30 Jahren begannen zu publizieren?
Safranski: Wie in meinem Leben es kam auch ein Stück Zufall dazu. Damals war es der Christoph Buchwald, der mich zum Verlag geholt hatte, der also als Lektor ... Ich war mit ihm befreundet und er sagt, komm zu uns! Und so kam ich dann. Und die nahmen damals mein E.-T.-A.-Hoffmann-Buch, das war '84, und Michael Krüger war damals ja der Cheflektor dann im Verlag und war dann auch sehr angetan, und so kam ich erst mal da rein. Und dann, mit meinem zweiten Buch, dem Schopenhauer, da hatte ich dann wirklich mit Michael Krüger zu tun, da war er dann auch inzwischen Verlagschef geworden. Und seitdem ist es eine richtig schöne Freundschaft auch.
"Er war und ist so urteilsstark"
Balzer: Das heißt, Michael Krüger lektoriert auch Ihre Bücher oder hat sie lektoriert bisher?
Safranski: Nein, er hat nicht meine Bücher lektoriert, er hat sie … - er hat immer ein Auge darauf gehabt, der Michael Krüger. Das gehört überhaupt zu seiner Art, wie er den Verlag geführt hat, er war immer richtig drinnen, also war dabei. Und ich erinnere mich an nächtliche Anrufe, wenn zum Beispiel das Manuskript über Heidegger beim Verlag war, dann konnte er mitten in der Nacht anrufen und aus vollem Herzen sagen, oh, jetzt hat er gelesen und musste sofort das Urteil, konnte er formulieren. Er war überhaupt so und ist so urteilsstark. Und das gab für einen selbst als Autor, war das etwas absolut Verlässliches. Und also so was kann man sich nur wünschen.
Balzer: Ist das nicht manchmal auch ein bisschen irritierend oder manchmal auch verletzend? Konnte er auch so direkt sein, dass es Sie erst mal so ein bisschen aus den Schuhen gehoben hat?
Safranski: Er kann direkt sein, aber ich konnte jedenfalls nie ärgerlich darüber sein, weil es vollkommen untaktisch war. Und er vermittelte einem auch das Gefühl, das ist seine Sicht jetzt und das ist sein Urteil. Und er spielte nicht dem Autor gegenüber den Pädagogen. Auf dem Hintergrund seiner ganzen Person gab es für mich auch nie einen Moment deswegen der Kränkung.
Balzer: Haben Sie denn seine Maßstäbe fürs Bücher machen genau verstanden, kann man das formulieren?
Safranski: Michael Krüger ist ein Liebhaber der Lyrik, da gibt es nur noch sehr, sehr wenige. Und das lyrische Talent, das er selber hat, ist das Talent, Dinge auf den Punkt zu bringen, sodass sie elastisch werden, dass Klarheit in Schönheit übergeht oder auch die Ironie dabei. Also, er ist ein lakonischer Genauigkeitsmensch. Und dieses Kriterium, das auch von seinem lyrischen Talent her kommt, das münzt er natürlich um in einen Maßstab. Er kann das Geschwätz nicht leiden, er kann das Drumherum-Reden nicht leiden. Er kann auch nicht richtig gut leiden, wenn etwas so ganz ohne Ironie daherkommt. Das ist auch schon eine ganz schöne Orientierung für einen selbst.
Balzer: Und das konnte er auch immer durchsetzen als Verlagsmacher? Ich meine, der Hanser Verlag ist ja wirtschaftlich recht erfolgreich und es können ja nicht nur Bücher von allerhöchster Güte sein, da muss ja auch einiges dabei sein, was sich einfach nur simpel gut verkauft, oder?
Safranski: Ja. Der Michael Krüger, der hat ja in seiner Laufbahn wirklich auch vieles gelernt noch. Er hat ja auch gelernt, so einen Verlag, der aus dem Geiste der Literatur kommt, zugleich auch geschäftlich erfolgreich zu führen. Und das bedeutet nun tatsächlich, auch Büchern eine Chance zu geben, die, nun ja, die vielleicht nicht so ganz seinem Anspruch gerecht wurden. Obwohl ja auch immer geklagt wird, dass gerade die anspruchsvolle Literatur im Buchhandel ja doch immer geringer nachgefragt wird. Er hat aber nie davon abgelassen, auch diese Literatur, die seinem Herzen und seinem Urteil vielleicht auch näher stand, auch tatsächlich zu publizieren, die dann im Buchhandel allenfalls so einen mittleren Platz belegen.
Aber er ist nicht den Kompromiss eingegangen, dass das, was für ihn wirklich wertvoll war, dass er das fallengelassen hätte. Das sieht man auch an der „Akzente“-Edition, das sieht man auch an der beharrlichen Treue zur Lyrik. Und das ist ja aber auch belohnt worden, also, der Verlag hat ja mit Brodsky und Tranströmer ganz, ganz große Lyriker, die ja nun wirklich nicht so sehr groß verkauft worden sind bei uns, aber dann den Nobelpreis bekommen, denen zum Beispiel hat er immer die Treue gehalten. Und das ist dann auch belohnt worden.
Balzer: Und Krüger – ich sage schon Krüger, Hanser natürlich, aber man sagt es fast schon in einem Atemzug! –, Hanser ist ja nun einer der letzten großen, seriösen unabhängigen Verlage.
Safranski: Ja.
Balzer: Ist denn Unabhängigkeit heutzutage ein wichtiger Wert im harten Verlagsgeschäft?
Akzeptiert auch bei den Controllern
Safranski: Na ja, ich denke schon. Aber diese Unabhängigkeit, die wird man wirklich nur bewahren, wenn man auch so eine Autorität hat wie der Michael Krüger, die aus der Liebe zur Literatur kommt und aus einer Begabung für die Literatur. Und so anerkennen ihn ja auch, wie soll man sagen, die Controller, so anerkennen ihn dann schließlich auch die Leute, die rein nur vom Ökonomischen her denken. Durch diese Ausstrahlung, dass er wirklich die Liebe zur Literatur verkörpert, bekommt er als Figur auch eine marktfördernde Glaubwürdigkeit.
Balzer: Bewundern Sie auch sein rechtzeitiges Platzmachen für die nächste Generation? Ich meine, jemand wie Siegfried Unseld von Suhrkamp konnte das damals nicht.
Safranski: Ja, also, man muss doch alles in allem sagen, der Übergang und auch sein Rücktritt ist doch dann auch wiederum so geschehen, dass schließlich jetzt der Jo Lendle ein Nachfolger ist, wo ich persönlich sagen muss, es ist auf jeden Fall gut, dass es jemand ist, der nicht vom Controlling her kommt, sondern auch von der Literatur her. Es ist eben auch ein Literat. Und das finde ich an dem Übergang für einen literarischen Verlag sehr gut. Und ich hoffe natürlich nur, dass Michael Krüger auf seine Weise in irgendeiner Form mit noch ein Auge auf den Verlag hat und noch mitwirkt, noch mit irgendwie dabei ist. Ich kann mir schwer vorstellen, jetzt im Hanser Verlag den Michael Krüger nicht mehr anzutreffen!
Heise: Das sagt Rüdiger Safranski im Gespräch mit meinem Kollegen Vladimir Balzer. Vielleicht ist ja eins der Gedichte von Michael Krüger so eine Art Erwiderung auf die eben geäußerte Hoffnung, er möge weiterarbeiten!
O-Ton Michael Krüger: Was noch zu tun ist. Die Nüsse einsammeln, bevor der Eichkatz sie holt. Den Schatten in Sicherheit bringen. Mit dem Bleistift reden, wenn er die Worte verweigert. Den Feind nicht finden wollen, der im Ungedachten brütet. In den Wolken lesen, dem unabschließbaren Epos über Form und Verwandlung. Den Stein von der Stirn heben. Dem Staunen eine Gnadenfrist geben. Und nicht vergessen: Den Ort aufsuchen, wo sich das Buch versteckt hält, das Buch mit den leeren Seiten, das leere Buch, das Buch.
Heise: „Was noch zu tun ist“. Michael Krüger, heute feiert er seinen 70. Geburtstag.
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