70. Jahrestag

27. Januar 1945 - Der Tag der Befreiung von Auschwitz

Auschwitz-Birkenau war das größte der Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten.
Auschwitz-Birkenau war das größte der Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten. © dpa / picture alliance / Valeriy Melnikov
Von Margarete Wohlan und Sabine Gerlach |
Am 27. Januar vor 70 Jahren wurde Auschwitz befreit – das Sinnbild der Vernichtung der Juden und der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten über die europäischen Völker. Sabine Gerlach und Margarete Wohlan rekonstruieren die Abläufe an diesem Tag.
Der 27. Januar 1945 ist ein kalter Wintertag. Auf dem Gelände des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau liegt Schnee, hier und da Aschehaufen verbrannter Dokumente, und Gebäudetrümmer, die von den Sprengungen der Krematorien und Gaskammern stammen. Es ist 15 Uhr, als die Rote Armee das Lager befreit. Hunderte von Menschen stehen hinter dem Stacheldrahtzaun und sehen den ersten sowjetischen Soldaten entgegen.
Der Pole Jacek Lech, Museumsführer in Auschwitz-Birkenau, beschreibt diesen "Moment der Befreiung", den er aus Erzählungen von Zeitzeugen kennt:
"Die Häftlinge haben irgendwelche Menschen in Uniformen gesehen und sie hatten Angst. Plötzlich haben sie gehört, dass Russisch gesprochen wird, und dann langsam, sehr langsam, haben die Häftlinge versucht, sich mit den uniformierten Menschen zu verständigen irgendwie. Und dann haben die russischen Rotarmisten, die Soldaten gesagt, sie sind frei, sie sind frei!! Die konnten zuerst überhaupt nicht verstehen, was es eigentlich bedeutet, frei zu sein in dem Moment. Das ist der Moment der Befreiung."
Dieser Moment der Befreiung – noch unvorstellbar für die Opfer, die krank, erschöpft und nah am Verhungern nur auf ihren Tod gewartet hatten. Für die Befreier ist etwas anderes unvorstellbar: dieser "Ort des Grauens".
Die Dimensionen sind schockierend
Allein die Dimension des Geländes schockiert bis heute die Besucher: 200 Hektar groß, teilweise bewaldet, mit insgesamt 450 Gebäuden, Straßen, Plätzen:
"Wenn man durch das Lager geht und diese riesige Weite sieht, und sich dann vorstellt, das war vollgestopft mit Menschen, die ermordet werden sollen, also dadurch ist mir die Brutalität, die dahinter steckt, deutlicher geworden – die Größe wird durch den Raum deutlich, in dem man sich da bewegt."
Der "Haarschneideraum" – ein Bestandteil dieser Architektur des Bösen. Bei der Befreiung werden 293 Säcke Haar gefunden mit einem Gesamtgewicht von 7000 Kilogramm.
Was macht das Grauen so grauenvoll? Unter anderem die verschleiernde Sprache – wie in der Funktionsbeschreibung der Lagerarchitektur: Block 28 – das Krankenhaus, Block 20 – die Infektionsabteilung.
Wie baut man das Grauen? Das Erste, was in Auschwitz errichtet wird, ist der Zaun. Mit zwölf Kilometern Stacheldraht allein in Birkenau. Dazu 27 Wachtürme, 18 Stahltore, Krematorien, Gaskammern. Und direkt daneben: Das sogenannte SS-Gebäude, Zutritt nur für Auserwählte, wie der Auschwitz-Überlebende Jozef Paczynski erzählt. Er musste dort als Lagerhäftling arbeiten:
"Das war ein Gebäude neben dem Krematorium, wo die Lagerleitung saß. Und da gab es im Erdgeschoss einen Friseur- und Kosmetikladen, daneben eine Apotheke, eine Zahnarzt-Praxis, links eine Kantine und im ersten Stock eine Krankenstation – das alles natürlich nur für die SS!"
Enthumanisierter Ort ohne Hoffnung
Tadeusz Smreczyński beschreibt das Gefühl, das die enthumanisierte Architektur dieses Ortes bei ihm auslöst, als er Ende Mai 1944 nach Auschwitz kommt:
"Als ich durch das Tor 'Arbeit macht frei' schritt, dachte ich an Dantes 'Göttliche Komödie', die ich damals kurz vorher gelesen hatte – dort hat der Autor am Tor zur Hölle die Aufschrift angebracht 'Lasst alle Hoffnung fahren, die, die ihr hier eintretet'."
Als die Rote Armee am 27. Januar Auschwitz-Birkenau befreit, findet sie Reste von Zyklon B, das zur Vergasung benutzt worden war. Und die Leichen von 600 Häftlingen, die im Gelände verstreut liegen; erfroren, erschossen, an Hunger gestorben. Für die rund 7600 Überlebenden leisten der sowjetische Sanitätsdienst und das Polnische Rote Kreuz Erste Hilfe.
Von dem Tag der Befreiung existieren nur Fotos und Filme – kein Ton. Diese Stille jedoch ist für Jacek Lech, Museumsführer in Auschwitz-Birkenau, bezeichnend für den Moment der Selbsterkennung der Häftlinge damals:
"Ich bin alleine, jetzt habe ich alles verloren. Dann kommt langsam das Bewusstsein: Wie ist der Stand der Dinge jetzt. Also, ich lebe noch, ich weiß nicht, ob ich überlebt habe. Also noch keine große Pläne, einfach die kleinsten Dinge, also Essen, Waschen, Gesundheit. Also, das ist die Situation in den ersten Stunden nach der Befreiung, ja."

Schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen wurden zwischen 1940 und 1945 in das KZ Auschwitz deportiert. Bis zur Befreiung des Lagers durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 wurden dort mindestens 1,1 Millionen Häftlinge ermordet. 
Schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen wurden zwischen 1940 und 1945 in das KZ Auschwitz deportiert. Bis zur Befreiung des Lagers durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 wurden dort mindestens 1,1 Millionen Häftlinge ermordet. © dpa-Infografik
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