Eine Stimme, die über unerhörte Akkorde fliegt
Der "Rolling Stone" kürte sie zu einer der großartigsten Liedermacherinnen aller Zeiten. Joni Mitchell, das ist die Frau mit der begnadeten Stimme – auch wenn sie inzwischen vor allem malt, statt singt. Am heutigen Mittwoch wird Mitchell 75 Jahre alt.
"One Week Last Summer" – schon elf Jahre alt ist dieser Titel, eine der letzten Neuproduktionen von Joni Mitchell. Im Rückblick wirkt das Instrumentalstück fast wie der Beginn eines Verstummens. Dabei bringt er der Frau mit der begnadeten Stimme – noch einmal – einen Grammy ein.
"Ihre Songs mitzusingen ist nah dran an den besten Drogen, die ich je genommen habe. Ihre Stimme fliegt über die unerhörten Akkorde wie eine Schwalbe vor dem Gewitter."
Musikerin und Schriftstellerin Judith Holofernes hat Joni Mitchell vorab in der "Zeit" zum 75. Geburtstag gratuliert. Eigentlich ist es mehr eine Liebeserklärung. Eine von vielen für "eine der großartigsten Liedermacherinnen aller Zeiten", so hieß es mal im "Rolling Stone". Songwriter? Sie sei zunächst einmal eine Malerin, sagt Mitchell selbst.
Die Zigarette in der Hand, das Haar hochgesteckt, so sitzt Joni Mitchell 2013 im Lehnstuhl in ihrem Haus. Es ist ein Interview, nein, mehr eine Audienz für den kanadischen Sender CBC. Zugleich eines ihrer seltenen großen Gespräche, nur zwei Jahre, bevor ein Schlaganfall sie trifft. Mitchell weist auf die Wände: Dort hängen fast ausschließlich eigene Gemälde.
"Die meisten sind sehr zufriedenstellend. Da will ich keinen Pinselstrich ändern. Für mich sind sie fertig. Aber wenn ich meine Musik höre, also, da stolpere ich über Sachen. Da hätten dann zum Beispiel noch ein paar Gitarrenklänge hingemusst. Warum bloß habe ich das nicht gemacht?"
Stehende Ovationen vergangenes Jahr. Es ist ein Grammy-Empfang, Joni Mitchell wird zum Überraschungs-Stargast des Abends. Seit dem Schlaganfall sitzt sie im Rollstuhl. Es ist eine weitere Bewährungsprobe mehr für dieses an Bewährungsproben nicht eben arme Leben.
Sie blicke nicht gerne zurück, sagt sie auch mit aller Entschiedenheit dem CBC-Interviewer.
Mitchells Lieder sind gesungene Poesie
Da ist die Kinderlähmung mit acht Jahren – sie aber singt lauthals dagegen an und schöpft daraus Inspiration für ein Leben als Sängerin. Da ist die Ehe mit Namensgeber Chuck Mitchell – hält aber nur ein Jahr. Und da ist die frühe Schwangerschaft mit 21 Jahren. Mitchell gibt die Tochter zur Adoption frei und verliert sie. 1997 finden sich die beiden wieder – nur um sich wenige Jahre später zu zerstreiten, erzählt Biograf David Yaffe.
"Es war zuerst wie eine Liebesgeschichte. Sie waren so trunken, froh und glücklich. Für sie hatte sich ein Kreis in ihrem Leben geschlossen. Dazu die wunderbaren Enkel. Dann aber waren sie und die Tochter wieder auseinander."
Die Lieder der "einsamen Malerin" sind gesungene Poesie. Verlorene Liebe verwobenen mit Mitchells Heimat Kanada und den Schmerzen des Zusammenseins in eine sehnsuchtsvolle Ballade. So wie in "A Case of You", 1971 war das schon.
Bald ein halbes Jahrhundert alt ist der Titel also. Und wieder und wieder gecovert worden – etwa auch von Rufus Wainwright. Tatsächlich also ist Joni Mitchell nie verstummt. Sie singt weiter – wenn auch in fremden Stimmen.