Kaputte Kuppeln auf dem Teufelsberg
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Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Wiedervereinigung war Berlin eine Vier-Mächte-Stadt: Die Siegermächte hatten sie in Sektoren aufgeteilt. Was ist von dieser Zeit geblieben? Eine Spurensuche.
"Wer nun wirklich der Nutzer dieses Geländes ist, das wissen wir nicht", sagt Jörg Morré: "Das wird auch nicht gesagt, es ist nach wie vor ein russisches Sperrgebiet hier in Karlshorst, wenn Sie so wollen, aber was da genau gemacht wird, das wissen wir nicht."
Jörg Morré zeigt auf eine Kuppel, von der noch ein Stückchen über einem blickdichten stählernen Tor zu sehen ist. Die meisten Spuren, die die Sowjets als einstige Besatzer hier im Berliner Südosten hinterlassen haben, kann der Leiter des Deutsch-Russischen Museums erklären.
"Wir kommen da nicht rein"
Aber diese mit Mauer und Stacheldraht umgebenen Gebäude bergen auch fast 30 Jahre nach dem Abzug der Alliierten immer noch ein Geheimnis.
"Das sind alte Flugzeughangars von 1916", erzählt Jörg Morré. "Da sitzt bis heute die russische Botschaft drin in diesem Hangar. Das ist gesperrt, das Gebiet, wir kommen da nicht rein. Es gibt Geheimdienstforscher, die sagen, sie hätten da mal mit einer Infrarotkamera, einer Wärmebildkamera Messungen gemacht und sehr viel Wärme würde da abgegeben, das weise auf Großrechner hin."
Aber was die Russen da eventuell und vielleicht berechnen, weiß niemand. Mit Auskünften halte sich auch die russische Botschaft in Mitte zurück, sagt Morrè.
Sicher ist dagegen, dass das große Gebäude gegenüber vom Geheimdienst KGB genutzt wurde und im Keller nach dem Krieg Menschen verhört und teilweise zum Tode verurteilt wurden.
Der Berliner Südosten war nach dem Krieg der sowjetische Sektor. Die ganze Stadt war von den Siegermächten aufgeteilt worden, in einen amerikanischen, einen britischen, einen französischen und einen sowjetischen Teil – und viele Spuren der Alliierten sind in der Stadt noch zu sehen.
Ehemaliges Hauptquartier der Roten Armee
Das beste Beispiel sei das Haus des Deutsch-Russischen Museums selbst, sagt dessen Leiter Jörg Morré: "Und die Rote Armee, die Berlin von Osten her kommend über die B1 her einnahm, hat hier ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Und das ist der Grund, warum am 8. Mai 1945 hier vor dem sowjetischen Hauptquartier die deutsche Wehrmacht kapituliert. Damit ist es ein geschichtsträchtiger Ort geworden."
Amerikaner, Briten und Franzosen kamen damals erst etwas später in die Stadt. Und als ziemlich bald nach Kriegsende zwischen den drei Westalliierten und den Sowjets Spannungen entstanden, mündete das zuerst in den sogenannten Kalten Krieg, und führte schließlich zur Gründung der DDR und den Mauerbau. Fast 50 Jahre prägten die - je nachdem: Befreier, Besatzer oder Schutzmächte - das Leben in Berlin.
Obwohl es gerade zwischen den Russen und den Berlinern nicht viele Kontakte gegeben hat, erinnern sich diese beiden Herren, die im ehemaligen sowjetischen Sektor in Ostberlin aufgewachsen sind, an einige Details.
Zum Beispiel, dass "sto gramm" 0,1 Liter Wodka bedeutet:
"Wir hatten eine Einladung zu einem russischen Panzerregiment und durften uns die damals hochmodernen T80 angucken. Und da gab es dann auch das gesellige Beisammensein mit 'sto gramm', das kennt man ja bei den Russen. Allerdings muss ich gestehen, ich habe nur einmal 'sto gramm' geschafft. Ich bin da nicht so trinkfest gewesen, aber die sind recht trinkfest."
"Es gibt einige Bezeichnungen, die in der DDR üblich waren, also Datsche, zum Beispiel, ist ein typisch russischer Ausdruck. Man hat auch versucht, zu irgendwelchen Erntemaschinen, die aus Russland kamen, Kombine zu sagen. Oder dieses 'dawei, dawei' - also 'los, los'. Ansonsten haben die sich selber ja auch sehr abgeschottet. Wo die Offiziere gewohnt haben, das war grundsätzlich mit irgendwelchen Bretterzäunen vernagelt."
Ein Hochbunker mitten im Wohngebiet
Die Bretterzäune sind weg, die Häuser frisch saniert und in den Gärten spielen Kinder. Dort, wo vor fast 75 Jahren sowjetische Offiziere oder Geheimdienstler lebten, ist heute der Wohnpark Karlshorst. Mitten im idyllischen Wohngebiet steht aber noch ein Hochbunker aus Kriegszeiten, sagt Jörg Morré.
"Es gibt die Legende", erzählt er, "hier seien im Jahr 1948 oder auch schon 1947 die neuen Geldscheine eingelagert worden. Es gibt ja eine Währungsunion, die deutsche Währung zerfällt ja. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Direkt neben diesem Bunker, wo heute diese ruhige Straße reinführt, hier war der Eingang einer Kaserne, was dazu führt, dass die Nachbarn heute beim Harken auch gerne mal eine Handgranate finden."
Und wer zwischen hohem Gras neben einem Fahrradweg ein paar halb zugewachsene Betonplatten sieht, weiß, hier war auch eine Kaserne, in der es alleine darum ging, militärische Stärke und Präsenz zu zeigen:
"Die hatten so ungefähr 150 schwere Kampfpanzer, ungefähr nochmal genauso viele gepanzerte Fahrzeuge und die Mannstärke 2500 bis 3000 Soldaten", erklärt Jörg Morré. "Man hätte hier also militärisch sofort die ganze Stadt einnehmen können, die hier stationierten Westalliierten Truppen hätten dem nichts entgegensetzen können."
Der Feind wurde abgehört
Aber auch die Westalliierten hatten Soldaten, Kasernen und Militäreinrichtungen in der Stadt. Die Briten im Berliner Westen, die Franzosen im Norden und die Amerikaner im Südwesten.
Die weißen und inzwischen ziemlich kaputten Kuppeln der ehemaligen Radarstation auf dem Teufelsberg im Grunewald sind heute noch sichtbar – und während des Kalten Krieges wurde der Feind von hier aus abgehört, erinnert sich Christopher MacLarren, der hier für die Amerikaner als Auswerter gearbeitet hatte.
"Hier standen wir direkt in Ostdeutschland im Warschauer Pakt", erzählt er. "Das war eigentlich der letzte Hügel vor Moskau. Einer hat den Witz gemacht, wir haben eigentlich Breschnew beim Zähneputzen abgehört. Das heißt, wir haben die Signale abgehört, aufgeschrieben und dann habe ich die Information bekommen, sollte daraus schlau werden, wer ist da draußen und was machen die Leute. Besonders zweimal im Jahr gab es große Manöver. Und wir haben natürlich NVA abgehört und die Sowjets, weil bei diesen großen Manövern die Einheiten alle draußen sind, die Vehikel sind alle draußen, die Leute sind da und sie sind bewaffnet. Und es ist sehr leicht, aus einem Manöver einen Angriff zu machen."
Dabei war das Ganze ursprünglich ganz anders gedacht gewesen. Berlin sollte von allen vier Alliierten gemeinsam verwaltet werden. Die Alliierte Kommandantur, von der aus am Anfang alle vier gemeinsam Berlin regiert hatten, steht heute noch im Südwesten und beherbergt inzwischen das Präsidium der Freien Universität Berlin - übrigens auch eine Hinterlassenschaft der Amerikaner, erklärt Jürgen Lillteicher, der Leiter des nahegelegenen Alliiertenmuseum, das sich besonders mit der Geschichte der drei Westalliierten beschäftigt.
Eine Campusuniversität als Antwort auf die Teilung
Die Freie Universität war die Antwort der Amerikaner auf die Teilung Berlins, da die Berliner Humboldt Universität sich ja nun auf einmal in der sowjetischen Zone befand.
"Da merkt man auch den Klang des Kalten Krieges, das wird hier die tatsächliche Freie Universität", sagt Jürgen Lillteicher. "Als man nämlich merkte, dass im Osten der Stadt das dortige Regime oder die Kommunisten doch sehr stark Einfluss nahmen auf die Inhalte und auf die Lehre, musste eine Antwort her. Das ist dann hier in Dahlem entstanden. Und wir haben wirklich den Eindruck einer amerikanischen Campusuniversität."
Mit breiten betonierten Wegen, niedrigen Gebäuden und viel Glas. American Way of Life in Berlin. Als Wohnquartier entstanden flache Bungalows mit großen Auffahrten und Carports im Stil der 50er, in den Gärten roch es nach Barbecue. Das amerikanische Kino Outpost und die Bibliothek beherbergen jetzt das Alliiertenmuseum.
Ein paar Meter weiter war die Truman Hall: Wo jetzt Eigentumswohnungen stehen, war ein amerikanisches Einkaufszentrum, wo die Westalliierten und ihre Angehörigen zollfrei einkaufen konnten.
"Little America" im Berliner Südwesten
"Am Anfang kamen die Soldaten ja allein, und als sie merkten, das wird eine längere Mission hier in Deutschland und auch in Berlin, durften Familienangehörige nachkommen", erzählt Jürgen Lillteicher. "Dann war natürlich klar, dass man diesen Familien das Leben so angenehm wie möglich machen wollte, damit sie nichts vermissen. Also Konsum, American Forces Network, dass sie Television und Radio aus den USA bekamen, es wurde auch ganz viel importiert, amerikanisches Brot, also darauf mussten sie nicht verzichten. Hier war das Versorgungszentrum in diesem 'Little America', hier im Berliner Südwesten."
"Little America" war zwar nicht hermetisch abgeschirmt, aber auch die Amerikaner blieben vorwiegend unter sich, erinnert sich ein Herr, der damals hier in der Nähe gewohnt hatte.
"Flughafen Tempelhof, da war mal so eine Art Spielhalle, damit sie sich beschäftigen konnten", erzählt er. "Das waren Amis gewesen und durch Zufall haben wir da mal welche kennengelernt von den Alliierten. Da haben sie uns mal eingeladen und haben uns Billard beigebracht und Kicker, war schon schön gewesen. Aber das war vielleicht zwei oder dreimal, dass wir da waren, danach durften wir nicht mehr."
Gegenüber dem Alliiertenmuseum weht immer noch die amerikanische Flagge. Dort befindet sich im ehemaligen US-Hauptquartier jetzt das amerikanische Konsulat für Pass- und Visaangelegenheiten. Vor dem Museum stehen ein britisches Flugzeug und ein französischer Eisenbahnwaggon.
Erst im September 1994 verließen die Westalliierten offiziell Berlin. Die sowjetische Armee war schon ein paar Tage vorher abgezogen.