"Ich war lebendig begraben"
In der Schlucht von Babi Jar wurden 1941 mehr als 33.000 Juden von einem SS-Sonderkommando erschossen. In Kiew lebt heute Wolodimir Pronitschew, dessen Mutter Dina Pronitschewa zur Heldin wurde.
Nach dem Einmarsch der Nazi-Truppen im Juni 1941 in die Sowjetunion wird am 23. September Kiew besetzt. Keine Woche später erschießen die Einsatzgruppen unter dem Kommando von Paul Blobel zwei Tage lang am Stadtrand von Kiew über 33.000 ukrainische Juden.
Auf ein Denkmal für die derart abgeschlachteten Opfer der Nazis musste die Nachwelt Jahrzehnte warten, was der russische Schriftsteller Jewgeni Jewtuschenko in einem Gedicht 20 Jahre nach dem Massaker beklagte. Der Komponist Dmitri Schostakowitsch füllte die Lücke 1962 mit seiner Sinfonie Nr. 13 Babi Jar. In ihr erklingen nur Männerstimmen. Doch ohne Dina Pronitschewa, eine ukrainische Puppenspielerin, wüsste die Welt weit weniger genau, was in jenen Tagen vor 75 Jahren geschah.
Menschen mussten sich nackt ausziehen
Als Wolodimir Pronitschews Mutter in Babi Jar ankam und sah, dass die Menschen auf einen Haufen ihre Wertsachen, auf einen anderen ihre Lebensmittel legen mussten und sich schließlich nackt ausziehen sollten, ahnte sie das Unheil.
"Sie zerriss ihren Pass, in dem stand, dass sie Jüdin ist und zeigte nur ihren Gewerkschaftsausweis und das Arbeitsbuch vor, in denen die Nationalität nicht vermerkt war. Ihr Nachname Pronitschewa war russisch, denn mein Vater war Russe. Sie gab sich als nichtjüdische Begleitperson aus."
Für ihre Eltern konnte Dina Pronitschewa nichts mehr tun. Sie selbst drehte um, versuchte, den Platz zu verlassen. Doch kurz vor Einbruch der Dunkelheit wurden auch alle Begleitpersonen exekutiert.
"Ich habe die Augen geschlossen und sprang in die Tiefe. Ich fiel auf die Leichen. Dann hörten die Schüsse auf und die Deutschen kamen nach unten in die Grube, gingen über die Körper und prüften, wer noch nicht tot war. Die erschossen sie. Ich verhielt mich so still ich konnte und rechnete mit meinem Ende. Dann wurde es dunkel. Sie schippten Sand auf die Körper. Ich verstand, dass ich lebendig begraben war.
"Sie zerriss ihren Pass, in dem stand, dass sie Jüdin ist und zeigte nur ihren Gewerkschaftsausweis und das Arbeitsbuch vor, in denen die Nationalität nicht vermerkt war. Ihr Nachname Pronitschewa war russisch, denn mein Vater war Russe. Sie gab sich als nichtjüdische Begleitperson aus."
Für ihre Eltern konnte Dina Pronitschewa nichts mehr tun. Sie selbst drehte um, versuchte, den Platz zu verlassen. Doch kurz vor Einbruch der Dunkelheit wurden auch alle Begleitpersonen exekutiert.
"Ich habe die Augen geschlossen und sprang in die Tiefe. Ich fiel auf die Leichen. Dann hörten die Schüsse auf und die Deutschen kamen nach unten in die Grube, gingen über die Körper und prüften, wer noch nicht tot war. Die erschossen sie. Ich verhielt mich so still ich konnte und rechnete mit meinem Ende. Dann wurde es dunkel. Sie schippten Sand auf die Körper. Ich verstand, dass ich lebendig begraben war.
Nachts bewegte ich meine linke Hand und spürte, dass sie an der Oberfläche war. Dann schaufelte ich mich frei, dass ich mehr Luft bekam und schließlich grub ich mich ganz aus. Ich kroch über die Leiber aus der Erde wieder heraus. Es war stockfinster. Von oben waren immer wieder Schüsse zu hören, sie feuerten noch im Dunkeln runter in die Schlucht. Ich war sehr vorsichtig. An einer Seite der Grube kletterte ich nach oben."
Zeugnis ablegen von dem Verbrechen
Diese Aussage machte Dina Pronitschewa am 24.Januar 1946 vor dem Kiewer Gericht. Einmal dem Massengrab entkommen wollte sie danach nur noch eins: Zeugnis ablegen von dem Verbrechen. Das allerdings versuchten die Nazis mit aller Macht zu verhindern. Noch an der Schlucht wurde sie entdeckt und verhaftet. Sie entkam. Nicht nur ein- , sondern viele Male. Sprang aus einem fahrenden Häftlingstransport, versteckte sich in Kellern, auf Dächern, wurde wieder gefasst, ins Gefängnis gesperrt, wo ihr ein deutscher Soldat zur Flucht verhalf.
Sie ging 150 Kilometer zu Fuß nach Beloje Zerkow, kam unter in dem dortigen Puppentheater, wurde entdeckt, fand ein anderes.
"Mein Vater wurde von der Gestapo verhaftet, er sollte sagen, wo seine jüdische Ehefrau ist. Sie suchten sie, denn sie wussten, dass sie gesehen hatte, was in Babi Jar geschah. Sie jagten und suchten sie überall."
Der Vater kehrte aus dem Gestapo-Gefängnis nicht mehr nach Hause zurück, Wolodimir und seine Schwester kamen getrennt in Kinderheime, denn sie waren bei den Großeltern und Freunden nicht sicher. Zwei Jahre dauerte die Flucht der Mutter. Erst einige Wochen nach der Befreiung Kiews am 6.November 1943 fand Dina Pronitschewa zunächst ihre Tochter, dann ihren Sohn wieder.
"Mein Vater wurde von der Gestapo verhaftet, er sollte sagen, wo seine jüdische Ehefrau ist. Sie suchten sie, denn sie wussten, dass sie gesehen hatte, was in Babi Jar geschah. Sie jagten und suchten sie überall."
Der Vater kehrte aus dem Gestapo-Gefängnis nicht mehr nach Hause zurück, Wolodimir und seine Schwester kamen getrennt in Kinderheime, denn sie waren bei den Großeltern und Freunden nicht sicher. Zwei Jahre dauerte die Flucht der Mutter. Erst einige Wochen nach der Befreiung Kiews am 6.November 1943 fand Dina Pronitschewa zunächst ihre Tochter, dann ihren Sohn wieder.
Wolodimir Pronitschew bewundert den beispiellosen Überlebenswillen und Mut seiner Mutter bis heute. Sie starb 1977, er wurde Offizier in Weltraumbahnhof Baikonur. Das Video ihrer Zeugenaussage sieht er derzeit auch im Historischen Museum der Stadt Kiew in der Ausstellung zum 75. Jahrestag von Babi Jar. Und er hört Schostakowitsch: Die Sinfonie Nummer 13.