Jugendstil und Kommunismus
Heinrich Vogeler schuf um 1900 idealisierte Jugendstilwelten mit bis ins Detail durchgeplanten Interieurs und abgestimmter Kleidung für die Bewohner. Sein Lebensweg führte den später überzeugten Kommunisten jedoch in die Armut.
Sommerabend! Rosen und Hortensien blühen. Freunde versammeln sich auf der Terrasse, die Hausherrin steht auf der repräsentativen Treppe zwischen antikisierenden Urnen und Buchsbaumbüschen, rechtsmusizierende Herren, links lauschende Damen. Es ist das Wohnhaus Heinrich Vogelers, der diesen "Sommerabend" 1905 gemalt hat – es wurde sein berühmtestes Bild. Auch, weil es die Ikone ist, einer Zeit, die als die "Worpsweder Zeit" in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Heinrich Vogeler schrieb rückblickend:
"Das Bild ist wie ein schmerzhafter Abschied und wie ein Rückblick auf Verlorenes."
Tatsächlich zeigt sich im Bild die Krise des perfekt gestalteten Worpsweder Jugendstiltraums. Man musiziert, Heinrich Vogeler am Cello, sein Bruder Franz an der Geige und sein Schwager an der Flöte. Doch das weibliche Publikum schaut seltsam versteinert. Die Ehen zerrüttet, die Tage festlich-geselliger Harmonie dahin. Die ideale Welt, die Heinrich Vogeler hier im Teufelsmoor mit viel Aufwand inszeniert hatte, war nicht von Dauer.
Eine idealtypische Figur des deutschen Jugendstils
"Erstmal ist Vogeler ja ein spätromantischer, märchengläubiger Jugendstilmensch, der zur idealtypischen Figur des deutschen Jugendstils wurde. Also wenn es Vogeler nicht gegeben hätte, hätte man ihn sozusagen erfinden müssen, für das, was dann den Jugendstil ausgemacht hat."
Der Schriftsteller Klaus Modick hat Heinrich Vogeler und dessen Bild "Sommerabend" in seinem Roman "Konzert ohne Dichter" ein literarisches Denkmal gesetzt – und damit dem unzeitgemäßen Traum Heinrich Vogelers von einem neuen Menschen und einer neuen, alles gestaltenden Kunst. Der 1872 in Bremen geborene Kaufmannssohn kam 1890 zum Studium an die Düsseldorfer Kunstakademie.
"Endloses Gispzeichnen nach der Antike – das ärgerte mich, stieß mich ab. Ich wollte beim Zeichnen fühlen, wie so ein Körper gewachsen ist. Nicht die malerische Erscheinung, sondern das Organische, den Bau, die Form, suchte ich zu ergründen."
Das Gesamtkunstwerk Barkenhoff
In der Künstlervereinigung Worpswede fand er Gleichgesinnte, die nach der Natur malten und in ihr das einfache Leben suchten. Heinrich Vogeler machte den Barkenhoff zum Zentrum Worpswedes und gestaltete das einstige Bauernhaus im Jugendstil bis ins kleinste Detail.
"Vogelers Grundidee war, das Leben mit Mitteln der Kunst schöner machen. Denn Vogeler war mit einem damals noch nicht geläufigen, aber auf ihn doch sehr treffenden Begriff, eigentlich ein Designer."
Vogelers Malerei hat Märchen zum Thema. Sein Barkenhoff ist selbst eines: ein Gesamtkunstwerk mit selbst entworfenen Tapeten und Möbeln, symmetrischen Blumenbeeten und farblich abgestimmter Kleidung für die Bewohner.
"Er hat Mobiliar, Bestecke, Gläser, ganze Haushalte entworfen mit seinen floralen Ornamenten. Dazu muss man aber sagen, dass das natürlich eine Sache für Gutbetuchte war. Die Unterschichten, für die war das völlig unerreichbar, denn das war ja auch teuer."
"Der Erste Weltkrieg hat ihm sämtliche Illusionen ausradiert"
Irgendwann fällt das dem gut betuchten Kaufmannssohn in seinem erträumten Jugendstilreich auf und das Erwachen ist ein vollständiges.
"Er hat dann aus verschiedenen Gründen ein soziales Gewissen entwickelt, schon vor dem Ersten Weltkrieg. Da wurde ihm dann sein dekorativer Stil schon etwas fragwürdig. Und dann kam der Erste Weltkrieg, und das hat ihm dann sämtliche Illusionen ausradiert und weggeschliffen."
Fortan ist Heinrich Vogeler linker Aktivist und malt auch so: Gegen Krieg und für die Völkerverständigung, sein Haus verschenkt er an die Rote Hilfe und geht dann als überzeugter Kommunist nach Moskau.
"Die KPD, also die Kommunistische Partei, hat ihn rausgeworfen, der war ihnen einfach nicht linientreu genug. Aber die sowjetischen Kulturfunktionäre haben Vogeler durchaus eingespannt für ihre Zwecke, er hat also dann Propagandakunst gemacht."
Ein elendes Ende in Kasachstan
Stadt verträumter Frauen in Landschaft malt er nun fleißige Werktätige. Als deutscher Kommunist in der Sowjetunion war er beim Einmarsch von Hitlers Wehrmacht in höchster Gefahr und wurde in die sowjetische Provinz deportiert.
"Er kam dann nach Kasachstan, auf dieser Kolchose, auf der er dann arbeiten musste, erreichte ihn seine Moskauer Rente nicht mehr. Und die Leute dieser Kolchose, die natürlich alles andere als überzeugte Sowjetbürger waren, die haben ihn da verhungern und verrecken lassen."
Heinrich Vogeler starb am 14. Juni 1942 in einem kasachischen Behelfskrankenhaus. Sein Grab ist nie gefunden worden.