"Ich war eine spirituelle Macht"
Die Werke des albanischen Schriftstellers Ismail Kadare wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt, seit vielen Jahren ist er ein Kandidat für den Nobelpreis. Und doch erntet er für seine Rolle im Kommunismus auch Kritik. Nun wird er 80 Jahre alt.
"Wenn es eine Sache gibt, die mich stolz und froh macht, dann die folgende: Während der kommunistischen Diktatur habe ich meine besten und mutigsten Bücher geschrieben. Darin habe ich das Regime an den Pranger gestellt."
Ismail Kadare sitzt auf dem Sofa seiner Wohnung in Tirana. Der albanische Autor, der mit dem absurden Antikriegsroman "Der General der toten Armee" international bekannt wurde, hat Zeigefinger und Daumen seiner rechten Hand zu einem Kreis, einer Geste der Präzision, geformt, als wollte er sagen: Genau so war es und nicht anders.
"Man konnte nicht offen aussprechen: 'Unser liebes Land ist eine schreckliche und grausame Diktatur!' Aber wenn man seine Beobachtungen indirekt wiedergab, also zum Beispiel ins Pharaonen-Reich Ägyptens transportierte, dann wusste doch jeder sofort, dass Albanien gemeint war. Pyramiden sind ja mit der Macht verbunden, mit der Tyrannei."
Erst 2014, mit zwei Jahrzehnten Verspätung, erschien Kadares bestechender Roman "Die Pyramide" auf Deutsch. Das Buch hatte er noch vor dem Ende der albanischen Diktatur 1990 zu schreiben begonnen und es dann im französischen Exil beendet.
Schon als Zwölfjähriger von Literatur fasziniert
Ismail Kadare versteht es meisterhaft, seine Geschichten zu Parabeln zu erhöhen. Die Leidenden und Opfer beim Bau der Cheopspyramide werden zu den Leidenden und Opfern des Totalitarismus überhaupt. Die heimlich angebrachten Wanzen an den Körpern der Menschen im Roman "Spiritus" symbolisieren den Überwachungsstaat an sich. Zusammen mit Kadares Sprachkunst entsteht so universelle Weltliteratur. Ohne Zweifel schoss der 1936 geborene Autor mit seinen Büchern Spitzen gegen die albanische Diktatur. Kritiker werfen ihm aber bis heute vor, er habe den kommunistischen Machthabern gleichzeitig zu nahe gestanden:
"Was heißt es denn, in einem Land wie diesem dem Regime nahe zu stehen? Vielleicht dass ich am Leben war? Fünf meiner Bücher sind in Albanien verboten worden. Und jetzt greift man mich an mit Worten wie: 'Warum sind Sie denn nicht hingerichtet worden? Sie sind am Leben, also standen Sie dem Regime nahe.'"
Seine internationale Bekanntheit habe ihn im Gegensatz zu vielen Kollegen nun mal davor bewahrt, inhaftiert oder gar ermordet zu werden.
Im Rücken Kadares hängt ein Ölgemälde: Eva hält einen Apfel in der Hand, das Symbol der Verführung. Auch Ismail Kadare, der Sohn eines Postbeamten, wurde in jungen Jahren verführt: von der Literatur.
"Mit zwölf, dreizehn Jahren hat mich die große Literatur in ihren Bann gezogen. Stark geprägt hat mich auch das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Es war viel zu groß für meine Familie. Die Zimmer waren fast leer. Leere Zimmer üben einen großen Einfluss auf einen Jugendlichen aus, gerade wenn er einen so ausgeprägten Hang zur Fantasie hat wie ich. Ich habe mich wie in einem Schloss gefühlt."
Als Schriftsteller "Vertreter einer alternativen Tyrannei"
Diesem Elternhaus in Gjirokastra setzte er 1970 ein Denkmal mit dem Roman "Chronik in Stein". Das Haus hat der Autor seiner Geburtsstadt vermacht.
Seit seiner Rückkehr in das neue, demokratische Albanien im Jahr 1999 lebt Ismail Kadare abwechselnd in Paris und Tirana. Gerade hier fühlt er sich allerdings manchmal verleumdet. Als er davon erzählt, ballt er seine Faust und schlägt mit ihr leicht auf die Kommode neben dem Sofa:
"Manchmal sagen einige Leute: 'Ismail Kadare war auch ein Diktator.' In einem Sinn stimmt das sogar: In Albanien herrschte eine kommunistische Tyrannei. Und wenn man dort ein berühmter Schriftsteller war, dann war man Vertreter einer alternativen Tyrannei, einer spirituellen. Das ist die wichtigste Aufgabe der Literatur: eine Parallelmacht zu schaffen. Und ich war die Parallelmacht. Eine spirituelle Macht. Aber das ist ja überhaupt nicht verwerflich."