Öffentlicher Verkehr

Die große 9-Euro-Frage

Fahrgäste warten in einer Schlange am Bahnsteig des Karlsruher Hauptbahnhofs auf den Einstieg in den Regionalexpress.
Fahrgäste warten am Bahnsteig des Karlsruher Hauptbahnhofs auf den Einstieg in den Regionalexpress: Das 9-Euro-Ticket ist beliebt und wird rege genutzt. © picture alliance / dpa / pressefoto_korb
10.08.2022
Das 9-Euro-Ticket läuft Ende August aus - wird es verlängert oder in anderer Form fortgeführt? Der Streit darüber bestimmt gerade die verkehrspolitische Debatte. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Das 9-Euro-Ticket wurde ehemals zeitlich befristet eingeführt, am Ende des Monats wird das Angebot nun eingestellt. Derzeit läuft eine breite politische Diskussion darüber, ob es verlängert werden soll oder nicht. Auch Alternativen zum Ticket werden ins Spiel gebracht. Im Folgenden beantworten wir die wichtigsten Fragen.
Das kommt darauf an, wen man fragt. Der Zuspruch ist jedenfalls gewaltig: Das 9-Euro-Ticket wurde allein im ersten Monat seiner Gültigkeit laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) rund 21 Millionen mal verkauft. Im zweiten Monat waren es wegen der Ferienzeit etwas weniger, aber immerhin noch 17 Millionen.

Kommentar: Es sollte endlich ein Nachfolge-Modell gefunden werden

Offenbar kam es durch das günstige Nahverkehrsticket zu weniger Staus. Eine Analyse des Verkehrsdatenspezialisten Tomtom für die Nachrichtenagentur dpa zeigte für 23 von 26 untersuchten Städten im Juni einen Rückgang des Stauniveaus.

Die Studienlage ist unklar

Andere Studien und Untersuchungen zeigen hingegen keinen positiven Nutzen. Demnach führt das 9-Euro-Ticket nicht dazu, dass viele Menschen ihr Auto stehen lassen. „Viele der aktuellen Daten muss man mit Vorsicht genießen“, heißt es beim Thinktank Agora Verkehrswende. Doch bisher deute alles darauf hin, „dass mit dem 9-Euro-Ticket mehr Verkehr erzeugt und vor allem kaum verlagert wird“.
Die Deutsche Bahn schätzte den Fahrgastzuwachs im Juni auf zehn bis 15 Prozent im eigenen Regionalverkehr im Vergleich zum Niveau vor der Coronakrise. Sicher ist, dass Busse und Bahnen besonders auf touristischen Strecken voll waren.
Vor der Einführung des Tickets war immer wieder davor gewarnt worden, dass dies zu Problemen führen könnte. Das ganz große Chaos blieb dann aber aus – stattdessen zeigten Bilder von Punks auf Sylt, dass Bahnfahren nun auch für Menschen möglich ist, die ansonsten sehr wenig Geld haben.
Last but not least: Das Ticket hat offenbar laut Statistischem Bundesamt auch dazu beigetragen, die hohe Inflation ein wenig zu dämpfen. Es war ausdrücklich auch deswegen eingeführt worden, um die Bürger in Zeiten schnell steigender Preise zu entlasten.
Prominentester Gegner einer Fortführung des Tickets ist derzeit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). "Die Menschen auf dem Land, die keinen Bahnhof in der Nähe haben und auf das Auto angewiesen sind, würden den günstigen Nahverkehr subventionieren. Das halte ich für nicht fair", sagte er in einem Interview.

Das Dienstwagenprivileg soll weg

Genau auf der anderen Seite stehen die Grünen. Sie wollen zwar nicht das 9-Euro-Ticket fortschreiben, aber für den Nahverkehr in der Region ein 29-Euro-Ticket und bundesweit ein 49-Euro-Ticket anbieten. Zur Gegenfinanzierung auf Bundesebene haben sie die Abschaffung des sogenannten Dienstwagenprivilegs vorgeschlagen.
SPD-Chef Lars Klingbeil spricht sich dafür aus, einen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket mit einer Sondersteuer auf hohe Zusatzgewinne von Energieunternehmen zu finanzieren. In die gleiche Richtung argumentiert die Linke. Sie will das 9-Euro-Ticket bis Jahresende weiterlaufen lassen. „Ab 2023 könnte man auf ein Ein-Euro-Ticket pro Tag übergehen“, so Parteichef Martin Schirdewan in Interviews.
Auch CSU-Chef Markus Söder ist Anhänger der 1-Euro-Idee: Er hat sich für ein 365-Euro-Ticket ausgesprochen, das für den gesamten öffentlichen Personennahverkehr in ganz Deutschland gelten soll.

Auch die Verbände sind sich nicht einig

Im Bereich der Verbände gibt es ebenfalls sehr unterschiedliche Positionen: Der Deutsche Landkreistag hat sich beispielsweise gegen weitere Rabattaktionen ausgesprochen. „Dies wäre keine nachhaltige Investition“, meint Präsident Reinhard Sager (CDU). Die Tarife des Öffentlichen Nahverkehrs seien im Vergleich zu den Kosten eines eigenen Autos nicht zu teuer.
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen spricht sich hingegen für ein „Klimaticket“ in Höhe von 69 Euro im Monat aus. Dieses sei „ökonomisch“ und „verkehrlich“ sinnvoll. Auch der Städte- und Gemeindebund unterstützt Vorschläge für ein bundesweit einheitliches und dauerhaft günstiges Ticket. "Die Bürgerinnen und Bürger haben ein hohes Interesse, ohne Tarifdschungel Busse und Bahnen in ganz Deutschland nutzen zu können. Das zeigen auch die Erfahrungen des 9-Euro-Tickets", so Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg.

Keine politische Mehrheit

Alternative Modelle liegen also einige auf dem Tisch. Doch keine der Initiativen hat momentan eine politische Mehrheit, die Bundesregierung ist in der 9-Euro-Frage gespalten. Und „je länger eine finale Einigung ausbleibt, desto später kann ein Nachfolgeticket eingeführt werden. Wir brauchen also jetzt sehr zeitnah die nötigen politischen Beschlüsse, denn wir benötigen entsprechenden Vorlauf für eine operative und vertriebliche Umsetzung“, mahnt der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen.
Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) betont, nur eine reine Weiterführung des 9-Euro-Tickets ab September sei noch „rein technisch grundsätzlich möglich“.  Ein verändertes Angebot sei dagegen „auf die Schnelle nicht zu realisieren“, so VRR-Vorstand José Luis Castrillo in der „Rheinischen Post“. Normalerweise benötige man für eine Tarifumstellung zwischen drei und sechs Monate.
Darüber streiten Bund und Länder. Bayern pocht darauf, dass der Bund allein die Kosten für ein mögliches Nachfolgeangebot im Nah- und Regionalverkehr übernimmt. Andere Länder signalisieren die Bereitschaft zur Mitfinanzierung. Die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Maike Schaefer (Grüne) erklärte, die Länder seien bereit, ein Nachfolgeangebot zum 9-Euro-Ticket mitzufinanzieren. Der Bund hat die ersten drei Monate mit 2,5 Milliarden Euro unterstützt. Finanzminister Christian Lindner will nun den Deckel draufmachen, er sieht keinen Spielraum für zusätzliche Mittel des Bundes.
Befürworter einer Flatrate für den öffentlichen Personenverkehr blicken derzeit vor allem nach Österreich. Hier gibt es ein Klimaticket: Für 1095 Euro im Jahr kann man kreuz und quer durchs Land reisen. Es wurde im Oktober 2021 eingeführt, bis Ende Juni 2022 waren über 170.000 Tickets verkauft worden.
Eine rote Tram fährt durch die Straßen von Wien.
Tram in Wien: Das ÖPNV-Netz ist in der Stadt für 365 Euro im Jahr zu haben.© picture alliance / Zoonar / Erik Lattwein
Ein ähnliches Angebot nur für die Stadt Wien gibt es bereits seit 2012, das Ticket hier kostet 365 Euro und ist seit seiner Einführung nicht teurer geworden. Nach Einführung führte das Ticket zu einem sprunghaften Anstieg der verkauften Jahreskarten – wobei auch die Parkraumbewirtschaftung in der Stadt deutlich ausgeweitet und somit ein weiterer Anreiz für den Umstieg auf den ÖPNV geschaffen wurde.

Klimaticket in Österreich

Wie beim 9-Euro-Ticket in Deutschland hat auch das Klimaticket in Österreich zu einer starken Nutzung der Bahnen an bestimmten Tagen und auf bestimmten Strecken geführt. Überfüllte Züge werden von Kritikern nun auch dem Klimaticket angelastet. Es wird zudem argumentiert, dass das Projekt den Steuerzahler Geld kostet, die Entlastung aber nicht bei allen ankommt, sondern nur bei den Bahnfahrern.
Luxemburg ist noch einen Schritt weitergegangen. Seit 2020 kann jeder im Großherzogtum kostenlos Bus, Bahn und Tram fahren. Luxemburg ist das erste Land der Welt, das einen kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr eingeführt hat. Die Situation dort ist bei knapp 630.000 Einwohnern und 220.000 täglichen Grenzpendlern allerdings nicht mit Deutschland vergleichbar. Hierzulande haben bisher nur Städte und Gemeinden zeitlich begrenzte Versuche gestartet, Busse und Bahnen umsonst anzubieten.
(ahe, mit Agenturen)

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