Analyse eines Schlagerstars - Freddy oder: Der Sänger auf dem Drahtseil
In diesem historischen Feature von 1974 begleitet Helmut Kopetzky begleitet den Sänger Freddy Quinn in seiner Zeit an der Hamburger Reeperbahn. Er folgt ihm bei seinen Gastspielen am St.Pauli-Theater, bis hinter die Kulissen, in den engen Durchgang zum Bühneneingang, wo Abend für Abend die Fans mit Blumen und Teddybären auf den Schlagerstar warten. Dabei entsteht ein persönliches Porträt über den Hit-Sänger, aber auch über die ferne Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland.
Im Irrgarten der eigenen Legende
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Mit Hits wie „Heimweh“ oder „Junge, komm bald wieder“ wurde Freddy Quinn in der Nachkriegszeit zum Plattenmillionär. Sein Image als einsamer Matrose wurde der Wahlhamburger zeitlebens nicht los, dabei war er Österreicher. Jetzt wird der Sänger 90.
"Und dann nahm ich die Gitarre, setzte mich an die Theke", sagt Freddy Quinn rückblickend, "und sang: ‚I’m just a plain old country boy,’"
So war es zuvor gewesen, als der Sänger in der Washington Bar in St. Pauli noch für Mittagessen und Abendbrot Hillbilly-Songs aus dem fernen Amerika zum Besten gegeben hatte, er, Manfred Nidl-Petz aus Wien, der sich der Einprägsamkeit halber schlicht Freddy nannte.
Aber jetzt, am 22. Februar 1956, hatte er die Chance, 500 Mark bar auf die Hand zu verdienen; mit einem musikalischen Schnellschuss, ex und hopp im Einspurverfahren aufgenommen.
"Paradox ist ja, dass ich, als ich mit einem deutschen Lied meine Karriere begann, überhaupt kein deutsches Lied in meinem Repertoire hatte", sagt Quinn. So habe er "eine Diskrepanz" zwischen dem gespürt, was er selbst empfinden konnte, und was er beruflich interpretieren musste.
Vom Unbekannten zum Schlagerstar
Den Song "Heimweh" hätte eigentlich der Polydor-Star René Carol singen sollen. Doch weil der wegen Suff am Steuer gerade in Fuhlsbüttel einsitzt, lassen sie den No-Name von der Reeperbahn ran. Das Stück, auch bekannt als "Brennend heißer Wüstensand", trifft mitten ins Herz der bundesrepublikanischen Nachkriegsbefindlichkeit.
Die Deutschen kennen die von Freddy mit schwermütiger Inbrunst intonierte Sehnsucht nach nationaler Wiederverwurzelung nur allzu gut, nicht zuletzt, weil im Jahr zuvor die letzten Wehrmachtssoldaten aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause zurückgekehrt sind.
"Heimweh", das ist Wiederaufbau als Liederaufbau und nicht weniger als eine Sensation, mehr als ein halbes Jahr Nummer eins der deutschen Charts. Und da der Markt förmlich danach schreit, das kollektive deutsche Unterbewusstsein weiter zu bedienen, wird Freddy Quinn mit dem Komponisten und Ex-NSDAP-Kulturwart Lotar Olias zusammengespannt, der schon im Dritten Reich mit dem "SA-Totenmarsch" Volkserziehung betrieben hat.
Nun schreibt er seinem neuen Schützling Folgehits à la "Junge, komm bald wieder", "Unter fremden Sternen" oder "Du musst alles vergessen" – na, was wohl? Zudem strickt er dem jungen Österreicher die Biografie vom einsamen Hamburger Jung auf den fiktiven Matrosenleib. Später wird Freddy kopfschüttelnd sagen, er sei selbst erstaunt, was er alles erlebt habe.
Versuch der internationalen Karriere scheitert
Doch Freddy Quinn will nicht die Erfindung des Herrn Olias bleiben, sondern endlich zu sich selbst finden, und tatsächlich steht er 1965 unmittelbar vor dem internationalen Durchbruch mit dem Ohrwurm "Spanish Eyes", den er mit Bert Kaempfert in Miami aufnimmt – sogar in der Johnny-Carson-Show tritt er auf, nur dass sie die Platte aus vertraglichen Gründen gleich wieder vom Markt nehmen müssen. Parallel nimmt ein gewisser Al Martino den Song auf; der Rest ist Popgeschichte.
Mehr als sagenhafte 60 Millionen Platten hat Freddy Quinn verkauft, während sein Gesicht immer mehr zu versteinern schien – vielleicht auch, weil ihn sein Image-Design immer wieder mit Siebenmeilenstiefeln in die maritime Schublade zurückführte: auf die Reeperbahn bei Nacht, deren Widerhall seltsam dumpf nach Frohsinn für Versehrte klang.
Zuweilen mag ihn der Gedanke gestreift haben, dass es schon paradox war: dass er einem ganzen Volk von Heimatlosen ein ums andere Mal dabei geholfen hatte, seine Identitätsprobleme zu überwinden, während ihm selbst ein zunehmend Fremder aus dem Spiegel entgegenblickte. Und das war die Tragik im Leben des Freddy Quinn: festzustellen, dass es im Irrgarten der eigenen Legende keinen Ausgang gibt.