Immer furchtlos und schlau
Belgien feiert zwei seiner beliebtesten Helden: Heute vor genau 90 Jahren erschien in einem konservativen belgischen Wochenblatt die erste Zeichnung von "Tintin und Milou" - alias "Tim und Struppi". Die Abenteuer der beiden sind inzwischen legendär.
In Europas Comic-Hauptstadt Brüssel begegnen sie einem auf Schritt und Tritt. Nicht nur in Buchläden oder Souvenir-Shops. Auch an Häuserwänden, als meterhohe Graffiti oder in U-Bahn-Stationen: Tintin – oder Tim, wie er bei seinen deutsch-sprachigen Fans heißt. Der rasende Reporter in Knickerbocker-Hosen, blauem Pulli und Trenchcoat, mit den unschuldigen Knopfaugen und der frechen blonden Haartolle über der Stirn. Und der Foxterrier Struppi, französisch: Milou, sein treuer Begleiter.
"Das Geheimnis der Einhorn", "König Ottokars Zepter" oder "Der blaue Lotos" – eine Geschichte spannender als die andere. Vor allem, weil Jungjournalist Tim eigentlich nie eine Zeile zu Papier bringt, sondern als Hobby-Detektiv knifflige Fälle löst. Unterwegs in fremden, exotischen Ländern, dunklen Geheimnissen auf der Spur, ständig in Lebensgefahr – aber am Ende immer siegreich im Kampf gegen das Böse.
Teil der DNA Belgiens
Auch wenn es manchmal brenzlig wird - Tim und Struppi sind furchtlos und schlau und lassen sich nicht unterkriegen. In ihrer Heimat Belgien sind sie deshalb Volkshelden. Sie gehören sozusagen zur DNA des kleinen Landes, wie Pralinen oder Fritten. Jeder kennt sie, jeder liebt sie - ob Mädchen oder Junge, ob Kind oder Greis, erklärt Willem De Graeve vom Brüsseler Comic-Museum.
Die Ursprünge des legendären Duos reichen zurück bis in die Zwischenkriegszeit: 1929 brachte sein Schöpfer Hergé, mit bürgerlichem Namen Georges Remi, sein erstes Tim-und-Struppi-Abenteuer heraus. Damals noch schwarz-weiß, inspiriert von den Comicstrips mit Sprechblasen aus den USA. Eine Beilage für Kinder in der katholischen Zeitung 'Le Vingtième Siècle'. Es folgten bis zu Hergés Tod, 1983, 23 weitere Bände, übersetzt in 70 Sprachen und 30 Dialekte. Die rasant erzählten Geschichten – eine Mischung aus Krimi, Fantasy und Science Fiction – entführen den Leser in die entferntesten Winkel des Globus: nach Afrika, Amerika oder Fernost. Eine sogar auf den Mond, den Tim in einer futuristischen rot-weißen Rakete erobert.
Haddock, Bienlein und Schulze und Schultze
Fast immer mit von der Partie: Tims Freunde und Helfer: der vierschrötige, aber gutmütige Kapitän Haddock, der zerstreute, schwerhörige Professor Bienlein und Schulze und Schultze, die beiden unzertrennlichen, leicht beschränkten Zivilermittler, die mit ihren Slapstick-Einlagen regelmäßig für Lacher sorgen.
Weniger komisch: der aus heutiger Sicht durchaus kritikwürdige politisch-ideologische Hintergrund, der vor allem die frühen Tintin-Folgen prägt und bis heute für Debatten sorgt. So outet sich der Autor schon in seinem Erstling "Im Lande der Sowjets" als strammer Antikommunist. Und die Episode "Tim im Kongo", erschienen 1930, spiegelt bei aller Naivität der Darstellung den latent rassistischen Ungeist der Zeit. Doch selbst Hergés Flirt mit dem Faschismus, den er stets von sich wies, tat dem Kultstatus keinen Abbruch, den "Tim und Struppi" bis heute in Belgien genießen.