"95 Prozent der Menschheit können mit Solarstrom versorgt werden"

Moderation: Andreas Müller |
Nach Ansicht des Physikers Gerhard Knies können solarthermische Anlagen in den Wüsten der Welt einen Großteil der Menschheit mit Strom versorgen. Zugleich warb der Direktor des Desertec-Projekts des Club of Rome für eine neue Haltung gegenüber Nordafrika. Man müsse sich nicht misstrauisch wie Feinde, sondern als Partner betrachten: "Beide Seiten gewinnen davon. Nordafrika kriegt ein Einkommen und wir kaufen ihnen den Strom ab."
Andreas Müller: Die horrenden Preissteigerungen auf dem Energiesektor schocken Verbraucher auf der ganzen Welt und natürlich ist diese Explosion der Preise derzeit nur zu einem guten Teil Spekulationen geschuldet, aber immer deutlicher wird allmählich auch dem Letzten: Das Zeitalter der fossilen Brennstoffe geht mit rasender Geschwindigkeit zu Ende. Zu den klassischen Energieträgern gibt es längst zahlreiche Optionen: Wind, Erdwärme, Biogas und natürlich die Solartechnik.

Keine dieser Technologien, nicht einmal kombiniert, vermag aber bislang Kohle, Öl und Uran auch nur ansatzweise zu ersetzen. Doktor Gerhard Knies, Direktor des Desertec-Projekts des Club of Rome, hat in der Wüste genügend Energie gefunden, um damit - wie er sagt - 1000 Mal die Welt zu versorgen.

Ich begrüße jetzt den Direktor des Desertec-Projekts des Club of Rome, das ist Doktor Gerhard Knies. Schönen guten Tag, Herr Knies!

Gerhard Knies: Ja, schönen guten Tag, Herr Müller!

Müller: Sie haben mal gesagt, dass die Sonneneinstrahlung in den Wüsten ausreiche, dort liege genügend Energie, um die Welt 1000 Mal damit zu versorgen. Das klingt geradezu utopisch. Wie soll das, kurz und einfach gesagt, funktionieren?

Knies: Diese Zahl von 1000-fach ist sehr einfach zu bestimmen, sie ist sehr sicher. Die Größe der Wüsten ist auch um die Welt verteilt, und da die Wüsten um die Welt verteilt sind, kann man von den Wüsten locker - oder jedenfalls vom vertretbaren technischen Aufwand - durch Hochspannungsgleichstromleitungen etwa 95 Prozent der Menschheit erreichen.

Das heißt also, wenn man die Sonnenenergie der Wüsten nehmen würde, die 1000-fache Menge des Bedarfs ist da, also wenn wir zehn Prozent umwandeln, würde man ein Prozent brauchen der Wüstenflächen für alles, und wenn man nur Strom nimmt, wird es weniger, 0,3 Prozent oder so etwas. Man kann also diese Menge Strom, die die Menschheit braucht, locker erzeugen von den Kapazitäten her und auch von der Technologie her, und dann auch verteilen, weltweit, so, dass 95 Prozent der Menschheit mit Solarstrom versorgt werden könnten.

Müller: Wie funktioniert das? Photovoltaik, davon haben die meisten auch schon mal gehört, das haben wir eben auch kurz beschrieben bekommen, das sind diese Geräte, die auf den Dächern liegen, die machen heißes Wasser, ganz grob gesagt. Was ist nun Ihre Technologie?

Knies: Das war zu grob, Herr Müller. Photovoltaik macht Strom. Heißes Wasser, das sind die Warmwasserkollektoren, das muss man schon unterscheiden. Die Sonnenenergie kann man in zwei Weisen ansehen, einmal ist es Licht, und Licht kann in bestimmten Festkörpern, Halbleitern, einen Fotoeffekt erzeugen und dadurch entsteht eine elektrische Spannung und ein Strom.

Das andere ist, Licht wird einfach absorbiert von jedem Material und das wird heiß, und wenn es heiß wird, dann kann man damit die Hitze verwenden. Wenn man also das Licht konzentriert, so dass nicht nur eine Sonne auf etwas scheint, sondern vielleicht 100 Sonnen - indem man viele Spiegel nimmt und das Licht bündelt -, dann kriegt man hohe Temperaturen, 400, 500, bis 1000 Grad. Damit kann man zum Beispiel Wasser kochen und Dampf erzeugen und damit eine Dampfturbine antreiben, mit der Dampfturbine einen Generator, wie ein ganz normales Kraftwerk, und dann hat man Strom.

Und das Schicke an dieser Sache ist sozusagen: Licht, das haben ja die Schildbürger mal versucht ins Rathaus zu tragen, kann man nicht speichern, aber Wärme, die kann man speichern, vom Tag in die Nacht, kein Problem. Man kann also auch tagsüber hohe Wärme bei hohen Temperaturen hervorragend sammeln und speichern und dann aus diesen Speichern auch nachts Dampf erzeugen und Solarstrom erzeugen.

Müller: Gewaltige Spiegel in der Wüste erhitzen also Wasser, das wiederum Turbinen treibt, das klingt völlig überzeugend und fantastisch, und ich frage mich: Warum um alles in der Welt ist die Sahara noch nicht vollgestellt mit solchen Anlagen?

Knies: Erstens, man würde für den Weltbedarf höchstens 0,2 bis 0,3 Prozent der Fläche brauchen. Vollstellen kommt sowieso nicht in Frage.

Müller: Gut, aber man könnte ja mal anfangen.

Knies: Umso leichter ist die Aufgabe, man hat auch schon angefangen, Ende der 80er Jahre in den USA, in Kalifornien, sind die ersten solarthermischen Kraftwerke gebaut worden. Doch danach wurde das Öl und Gas so extrem billig, dass einfach diese Technik dagegen nicht ankam von den Kosten her. Jetzt kehrt sich das wieder um. Man kann jetzt aus der Solarenergie einen Dampf erzeugen, der so viel kostet, als ob man Öl zum Preis von etwa 80 Dollar pro Barrel einkaufen müsste, um den Dampf zu erzeugen. Das heißt, man liegt schon in der Gewinnzone. Das ist aber erst seit Kurzem so.

Aber das war das Signal, jeder weiß, dieser Ölpreis, das ist keine Fiktion oder keine Erfindung von irgendwelchen bösen Leuten, dass der hoch ist, sondern das ist die Knappheit, die sich anbahnt. Das wird wahrscheinlich auch so bleiben. Und jetzt kommen viele Interessenten und sagen, ja, dann lasst uns doch solarthermische Kraftwerke bauen. In Spanien sind schon ungefähr 80 solcher Kraftwerke entweder im Bau oder der Bau ist beantragt.

Müller: Die Technologie ist also da, sie funktioniert. Ich frage mich aber, wie kommt denn das Wasser dann in die Wüste, das man braucht, weil es erhitzt werden muss?

Knies: Ah, ja, das ist eine beliebte Frage oder auch Einwand. Es ist so: Bei einem Dampfkraftwerk, wenn Sie da Dampf sehen, dann hat der nur was mit der Kühlung zu tun, nicht mit dem Dampfkreislauf. Ihr Auto müssen Sie ja auch kühlen. Jedes Auto hat einen Luftkühler vorne. Da ist zwar ein Wasserkreislauf noch mal eingeschlossen, aber der ist geschlossen. Die Kühlung kommt also durch die Luft. Man kann auch die Wüstenkraftwerke mit der Luft kühlen. Dann ist das Kraftwerk nicht ganz so wirksam, als ob man es mit Wasser von tieferer Temperatur kühlen würde, aber es reicht wirklich aus. Das Wasser braucht man nur intern, in einem Kreislauf, und der einzige wirkliche echte Wasserverbrauch eines Kraftwerks ist wahrscheinlich die Toilettenspülung der Betriebsmannschaften.

Müller: Ich spreche im Deutschlandradio Kultur mit Doktor Gerhard Knies, er ist der Direktor des Desertec-Projekts des Club of Rome und wir reden über solarthermische Kraftwerke. Nun ist der Strom erzeugt, wie kommt er denn zu uns? Wir reden ja über eine Region, wir reden über Nordafrika, Mittelmeer, Anrainer, dort gibt es genügend Sonnenstunden, um Energie entsprechend zu erzeugen. Wie kommt sie zu uns?

Knies: Da gibt es einen sehr einfachen Weg, den jeder kennt: mit elektrischen Leitungen.

Müller: Das ist aber ein weiter Weg.

Knies: Ja, und dann schlagen alle die Hände über dem Kopf zusammen, da geht doch alles verloren auf so einer langen Strecke. Das kann man so bauen, man kann es aber auch anders bauen, dass nur wenig verloren geht. Das ist eine spezielle Technik, nämlich: Man geht zu sehr hohen Spannungen. Immer wenn man für die Übertragung einer Energiemenge die elektrische Spannung verdoppelt, sinken die Verluste auf ein Viertel. Man geht also zu sehr hohen Spannungen und geht zu Gleichstrom. Durch beide dieser Maßnahmen kommt man dahin, dass man auf 1000 Kilometer etwa drei Prozent der Energie des Stroms verliert.

Müller: Das ist vertretbar.

Knies: Das ist nicht nur vertretbar, das ist sogar clever, denn: Das gleiche Kraftwerk können Sie sich entweder vorstellen im Süden Spaniens, oder in Marokko, jenseits von Agadir nach Süden. Dann brauchen Sie aber eine Leitung. Die kostet Geld und hat Verluste. Aber der Strom aus dem Kraftwerk in Agadir wäre in Spanien billiger als der aus dem gleichen Kraftwerk in Spanien erzeugte, einfach, weil die Sonneneinstrahlung um so vieles besser wird. Mit den gleichen Geräten, für die man ja bezahlt, kriegt man also mehr Ergebnisse.

Müller: Wir haben über die Technologie gesprochen und ich möchte noch mal auf ein politisches Problem zu sprechen kommen. Machen wir uns nicht wieder abhängig von einer Region, von Leuten, die jetzt ja schon teilweise beliebig am Ölhahn drehen können? Sprich, es ist ja teilweise eine Region, die politisch nicht ohne ist.

Knies: Das Verständnis zwischen Europa und Nordafrika ist ja nicht besonders hoch entwickelt, und vielleicht sind das einfach nur Projektionen. Bisher hat Europa diese Region immer überfallen und ausgebeutet und ausgeplündert, und jetzt denken wir, die tun das umgedreht jetzt mit uns.

Denken Sie mal an Frankreich zurück, ich bin jetzt 71 Jahre, ich entsinne mich noch an die Kriegszeit und die Franzosen als Erzfeind. In meiner Jugend wäre niemand auf die Idee gekommen, von Frankreich sich überhaupt abhängig zu machen. Viele deutsche Industrien hat Hitler weggelegt von den Grenzen nach Mitteldeutschland, damit sie im Falle eines Krieges von den Franzosen nicht geschnappt werden könnten. Inzwischen hat sich diese Problematik in Luft aufgelöst, weil wir begonnen haben zu kooperieren, und wir sehen, wie das eine Win-win-Situation für beide Seiten ist.

Wenn eine ähnliche politische Haltung oder Verständnis zwischen Europa und Nordafrika entstehen würde: Beide Seiten gewinnen davon. Nordafrika kriegt ein Einkommen, wir kaufen ihnen den Strom ab, wir klauen ihnen ja den Strom nicht, wir bezahlen ja dafür. Wir werden also ihre Kunden. Dann haben die Geld und können von uns das kaufen, was wir besser können, vielleicht Computer herstellen. Aber Solarstrom können die viel günstiger herstellen als wir.

Müller: Sagt Doktor Gerhard Knies, der Direktor des Desertec-Projekts des Club of Rome, wo die Idee entwickelt wurde, Sonnenenergie aus der Wüste zu gewinnen. Vielen Dank!
Mehr zum Thema