97 Jahre nach seinem Tod

Unbekannte Novellen von Marcel Proust veröffentlicht

07:45 Minuten
Ein schwarz-weiß Bild von Marcel Proust, der auf einem kleinen Sofa sitzt, mit schwarzen Anzug die linke Hand zur Denkerpose ans Kien gehalten. Er schaut in die Kamera und trägt einen Schnauzer.
Der französische Schriftsteller Marcel Proust schuf mit seinem siebenteiligen Werk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ein monumentales Meisterwerk des Romans des 20. Jahrhunderts. © dpa - Bildarchiv / Ullstein
Jürgen Ritte im Gespräch mit Gabi Wuttke |
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Es ist eine Sensation im Literaturbetrieb: Der kleine Verlag Éditions de Fallois veröffentlicht bisher unbekannte Novellen von Marcel Proust. Mit ihnen erlebe man die "langsame Geburt des Schriftstellers Proust", sagt Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte.
Am 8. Oktober wird das Geheimnis unbekannter Texte von Marcel Proust gelüftet – 97 Jahre nach seinem Tod.
Weil Prousts erste Publikation "Les Plaisirs et les Jours" (auf Deutsch "Freuden und Tage") 1896 erschien und einiges darauf hindeute, dass Proust die Texte für sein erstes Buch vorgesehen hatte, könne der Schriftsteller bei der Niederschrift nicht älter als 25 Jahre gewesen sein, erklärt Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte von der Sorbonne Nouvelle in Paris.
In dem nun veröffentlichen Band "Le Mystérieux Correspondant et autres nouvelles inédites" stecken neun Novellen, wobei nur eine wirklich zu Ende geschrieben ist. "Die acht anderen sind eher fragmentarisch erhalten", sagt Ritte. Und dann gibt es noch jede Menge Notizen. Proust habe sich offensichtlich "schon in frühen Jahren um einen geeigneten Romananfang gekümmert, der ja erst sehr viel später in Angriff genommen wurde". Schon damals sei es darum gegangen, dass Proust "lange Zeit früh schlafen gegangen" sei – so lautet bekanntlich der berühmte erste Satz seines großen Romanwerks, der "Recherche".

Anfänge als Schriftsteller

"Wir sehen, wie sich alles so langsam schon beim jungen Proust formiert. Wir erleben im Grunde genommen die langsame Geburt des Schriftstellers Proust", so der Literaturwissenschaftler Ritte. Schon in seinen Anfängen habe er sich nun nachweislich mit Themen beschäftigt, die er erst später verarbeitete:
"Das wichtigste Thema, das sich durch alle Novellen zieht, ist das der Homosexualität. Das ist auch das entscheidende Thema in der 'Suche nach der verlorenen Zeit'. Hier zieht es sich durch alle Novellen auf eine sehr explizierte Art und Weise." Und auch der Stil sei schon sehr ähnlich zu seinem späteren Hauptwerk 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit', das als einer der wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts gilt und in sieben Bänden zwischen 1913 und 1927 erschien. "Er schreibt schon so, wie er es in der 'Suche nach der verlorenen Zeit' tut", erklärt Ritte. "Nicht der Erzähler selbst ist ein Homosexueller, sondern er beobachtet Homosexualität immer bei anderen."
Warum Proust, der so viele Briefe und Lebenszeugnisse hinterließ, diese Texte nie veröffentlichte, sei unklar, sagt Ritte. Entweder waren es für ihn nur Schreibübungen oder das Thema Homosexualität Ende des 19. Jahrhunderts zu heikel.

Proust-Texte im Nachlass des Verlegers

Aufgetaucht sind die Textfragmente im Nachlass des vor kurzem verstorbenen Verlegers Bernard de Fallois.
"Bernard de Fallois hat sich schon um Proust gekümmert, da war der noch keine Größe in der universitären Welt". De Fallois pflegte regen Kontakt mit Prousts Nichte, so Ritte. Diese wiederum gab Papiere ihres verstorbenen Onkels weiter. De Fallois veröffentlichte daraus zwei wichtige Proust-Werke: "Jean Santeuil" und "Contre Sainte-Beuve". "Und in diesem Zuge hat er dann wohl auch diese frühen Texte gefunden, aber damals nicht veröffentlicht."
(nho)
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