Protest gegen Rodung spitzt sich zu
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Die seit 40 Jahren umstrittene Autobahn 49 in Hessen darf gebaut werden, und die Räumung der von Aktivisten besetzten Wälder hat begonnen. Dabei gibt es einen Kompromissvorschlag, der in der Politik aber noch nicht angekommen ist.
Rund 300 meist junge Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet und teilweise aus dem benachbarten Ausland halten aktuell an Wochentagen den Wald besetzt, der für die geplante Autobahn A 49 von Kassel Richtung Gießen demnächst gerodet werden soll. An den Wochenenden demonstrieren dann auch schon mal Tausende gegen die bereits vor 40 Jahren geplante Straße, die durch intakte Mischwälder und umfangreiche Wasserschutzgebiete gelegt werden soll. So hat es im Sommer nach einem jahrelangen Gang durch die Instanzen das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig genehmigt.
Während vom nahe gelegenen Dorf Dannenrod der Glockenschlag des kleinen Kirchturms herüberschallt, ist die Stimmung im Zeltcamp am Waldrand gut. Zwar haben an anderen Stellen auf der künftigen Trasse die Rodungen schon seit dem 1. Oktober begonnen. Doch die Klimaschützerinnen und Klimaschützer, die zum Teil bereits seit Monaten im Wald leben, geben ihren Widerstand im Dannenröder Wald nicht auf. Sie wollen anonym bleiben, loben aber die Versorgungsstrukturen, die mithilfe etwa von Dorfbewohnern in Dannenrod aufgebaut wurden:
"Es ist auch nice, dass Menschen hier im Hintergrund worken und das hier alles zusammenhalten: Weiter kochen, weiter Awareness-Strukturen aufrechterhalten, den Infopunkt besetzen. Das ist essenziell und wird oft viel zu wenig gesehen. Es wird immer applaudiert den Menschen, die in den Bäumen sitzen und die stille Carearbeit über Wochen hinweg bleibt oft ungesehen."
Vielen jungen Klima-Aktivistinnen und Aktivisten gilt der Dannenröder Wald in Hessen inzwischen nach dem Hambacher Forst im rheinischen Braunkohlerevier als zweites bundesweites Symbol für die Durchsetzung einer klimapolitisch begründeten Verkehrswende.
Jens Mischak ist CDU-Politiker und Beigeordneter des Vogelsbergkreises. In einer lokalen Diskussionsrunde mit den Besetzerinnen und Besetzern argumentiert er für den Autobahnbau – ebenfalls mit ökologischen Argumenten. Denn die Straße könnte gerade Pendlern und Lkw-Fahrern lange Umwege über hügelige Landstraßen ersparen und damit unter dem Strich zu weniger Verkehr führen, so Jens Mischak:
"Ich glaube, wir dürfen auch nicht immer so schwarz-weiß malen, so nach dem Motto: Diejenigen, die jetzt diese Autobahn bauen, sind die Umweltsünder und die Klimasünder." Es werde immer nur diese isolierte Entscheidung gesehen: "Da werden Bäume gerodet und am Ende führt da eine Straße durch den Wald."
Dass das positive Konsequenzen haben könne für Umwelt und für Klima, werde völlig ausgeblendet bei dieser Entscheidung, bemängelt Mischak. Dabei gebe es die: Verkehr werde verlagert, Verkehrskilometer würden verringert, Staus verhindert, Unfallgefahren vermieden. "Und wenn wir schon beim Verursacherprinzip sind, dann muss das aber auch mitberücksichtigt werden, dass wir diese langen Kilometer gerade durch die Kasseler Berge durch diesen Weiterbau der A 49 verhindern."
Suche nach einem Kompromiss
Es gibt Umweltschützerinnen und Umweltschützer in der Region, die seit Langem einen Kompromiss zwischen Straßenbefürwortern und -gegnern suchen. Zu ihnen gehört der 79 Jahre alte ehemalige Lehrer Reinhard Forst. Er ist seit mehr als vier Jahrzehnten Sprecher der Aktionsgemeinschaft Schutz des Ohmtals. Das Vogelsbergtal wäre vom Bau der Autobahn betroffen – ebenso wie der Dannenröder Forst und andere Waldgebiete der Region.
Ich treffe Reinhard Forst und seine Tochter Angelika während einer Mahnwache gegen die A 49 in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden. Reinhard Forst akzeptiert, dass das bereits vorhandene Autobahnteilstück nicht einfach bei der hessischen Kleinstadt Treysa auf einer Wiese enden kann. Doch statt 30 Kilometer Autobahn will er – wie auch der Bund für Umwelt und Naturschutz, kurz BUND – am bisherigen Ausbauende eine bereits vorhandene Bundesstraße, die B 454, Richtung Stadtallendorf und weiter nach Cölbe und Marburg anschließen:
Es sei hier der seltene Fall gegeben, "dass es eine ganz einfache, kostengünstige Lösung gibt, die auch weitgehend rechtlich schon abgesichert ist. Und die möchten wir ein, zwei ins Bewusstsein bringen."
Die Bundesstraße Richtung Marburg sei mit rund zehn Kilometer Straßenneubau statt der geplanten 30 Kilometer für das geplante Autobahnteilstück anzuschließen und könnte damit auch den Lkw-Verkehr aus dem 20.000 Einwohner-Ort Stadtallendorf mit vielen Industriearbeitsplätzen aufnehmen.
Damit würden die Dörfer der Region entlastet, durch die zurzeit noch viel Lkw-Verkehr läuft. Mit dieser Variante wären aber auch die großen Mischwälder Mittelhessens gerettet – etwa der Herrenwald und der Dannenröder Wald. So argumentiert auch Angelika Forst, die mit ihrem Vater zur Mahnwache nach Wiesbaden gekommen ist:
"Die Alternative bedeutet: Man bleibt vierspurig bis Treysa und bleibt auf der geplanten Trasse der A 49 bis Stadtallendorf. Nennt das Ding aber nicht mehr Autobahn. Man schafft diesen kleinen Schritt von A nach B von Autobahn nach Bundesstraße und macht diese Bundesstraße zwei- oder dreispurig."
Dann könnten die Lkw ohne Probleme aneinander vorbeifahren und die überwiegend regionalen Probleme seien gelöst, erklärt Angelika Forst. "Die Industrie müsse sich nicht beschweren, sie könnte ohne Probleme von Stadtallendorf nach Kassel fahren, ohne Ortsdurchgang. Die Leute würden optimal an der B 3 entlastet werden und so weiter und so fort."
Die hessischen Grünen in der Zwickmühle
Die Entlastung der Ortsdurchfahrten in Mittelhessen vor allem vom Lkw-Verkehr von Kassel etwa auf der B 3 Richtung Marburg und Gießen ist eines der Hauptargumente vieler Autobahnbefürworter in der Region. Doch der Bundestag hat sich mehrheitlich vor allem für den Weiterbau der A 49 ausgesprochen, weil er sich davon eine Entlastung der wichtigen Durchgangsautobahnen A 5 und A 7 verspricht. Das sei aber nicht durchdacht, sagt Angelika Forst:
Es gehe darum, die A 5 und A 7 um 24.000 Fahrzeuge zu entlasten. Das setze aber an der falschen Stelle an. "Es ist einfach so, dass die A5 hier vor Frankfurt belastet ist. Und da sind die Staus. Da hilft die A 49 kein Stück. Und wenn man sich überlegt, was da oben los ist vor Kassel, wenn die A 49 kommt, und da kommen dann noch mal viel mehr Fahrzeuge drauf. Da werden große Probleme entstehen."
In der Tat: Etliche Kenner der Region teilen die Auffassung, dass die A 49 kaum Entlastung für die A 5 und die A 7 bringen werde. Schon deshalb nicht, weil viele Lkw aus anderen Bundesländern oder aus dem europäischen Ausland diese bekannten Haupttrassen des deutschen Autobahnnetzes nutzen müssen, um ihre Fracht in entferntere Gebiete zu bringen.
Die A 49, auf die man von Norden kommend in Kassel von der A 7 wechseln müsste, bringt für Langstreckenfahrten Richtung Frankfurt am Main oder Basel und in Gegenrichtung eventuell einen kleinen Zeitvorteil. Den brächte aber auch die Anbindung an eine Bundesstraße. Wer auf der A 5 von Thüringen Richtung Rhein-Main-Gebiet fährt und umgekehrt, dem nützt die A 49 ohnehin nichts. Angelika Forst wirbt in Wiesbaden auch für die Bundesstraße als Kompromiss für den Weiterbau, weil sie unter dem Strich deutlich kostengünstiger wäre:
Es sei klar, dass acht oder zehn Kilometer Bundesstraße im Vergleich zu 30 Kilometer Autobahn durch ein Gebiet, in dem es hohe Auflagen gibt, nur einen Bruchteil der Baukosten benötige. "Und dann können wir den ganzen Polizeieinsatz und die Konventionalstrafen, die anfallen werden, weil jetzt im Prinzip nur die Hälfte der Strecke gebaut wird, so verrechnen, dass es noch Hunderte von Millionen Euro gibt, die übrig bleiben für den Steuerzahler – für uns."
Die Spitze der Bundesgrünen setzt sich für einen Baustopp von Autobahnen ein – aus Gründen des Klimaschutzes. Auch die A 49 würde demnach zunächst nicht weitergebaut – eine Räumung des besetzten Dannenröder Forstes wäre zunächst nicht nötig. Die Waldbesetzerinnen und -besetzer fordern nun die hessischen Grünen auf, sich für ein solches Moratorium einzusetzen.
Doch die hessische CDU, mit der man zusammen in Wiesbaden regiert, ist für den Weiterbau der A 49. Einen Koalitionsbruch wollen die hessischen Grünen jedoch nicht riskieren. Das wiederum ärgert gerade junge Klimaaktivistinnen und -aktivisten:
"Die hessischen Grünen versuchen gerade, alle Verantwortung von sich zu schieben und zeigen auf Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der natürlich Verantwortung hat. Und gleichzeitig können auch die Grünen etwas tun: Sie können die Räumung absagen. Wir haben in Zeiten von Corona gesehen, was Politik kann, wenn sie will", sagt Marie, eine Sprecherin der Waldbesetzung im Dannenröder Forst. Ich spreche mit ihr im Coronaabstand in einem Bauwagen, der am Rande des besetzen Forstes als Infopunkt dient.
Gleich vor dem Bauwagen treffe ich einen älteren Aktivisten, der das Dilemma der hessischen Grünen sehr wohl versteht. Sollen sie wirklich die Landesregierung verlassen, um ihren Protest gegen ein Projekt auszudrücken, dass dann von einer neuen Koalition unter CDU-Führung ohnehin weitergeführt würde. Denn nur die Grünen und die Linken im hessischen Landtag sind gegen die Autobahn, alle anderen Parteien im Wiesbadener Landtag sind dafür.
"Ich bin alt genug, um zu wissen, dass man die Menschen immer auch mitnehmen muss und dass man Dinge auch aushandeln muss. Insofern verstehe ich die Haltung, das sind demokratische Prozesse."
CDU als Schlichter?
Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der Grünen war vor wenigen Tagen im Dannenröder Wald, um den Protest zu unterstützen. Doch auch er ist dagegen, dass die hessischen Grünen nun wegen der Straße die Regierung verlassen. Er verweist ebenfalls darauf, dass bis auf die Grünen und die Linken alle für diese Autobahn seien, sich an den Mehrheiten im hessischen Landtag nichts ändern würde.
"Und ehrlich gesagt hat auch der hessische Landtag das gar nicht in der Hand, sondern er muss für den Bund hier agieren, weil das eine Bundesautobahn ist. Also die Gerichtsentscheidungen sind gefallen. Der BUND hat ja wirklich viele Klagen angestrengt und wir haben auch gesehen, dass die Autobahn auf Bundesebene im Straßenausbaugesetz steht und Gesetzeskraft hat – das heißt, es liegt nicht mehr in Hessen, es liegt in Berlin."
Deswegen wenden sich Angelika und Reinhard Forst mit ihrer Mahnwache in Wiesbaden auch direkt an den Ministerpräsidenten und stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden Volker Bouffier. Sie wollen mehrere Tage in der hessischen Landeshauptstadt bleiben und hoffen, dass ihnen der Ministerpräsident zehn Minuten schenkt, um für ihren Kompromissvorschlag zu werben: den Anschluss des schon fertiggestellten Autobahnanschlusses an eine kleinere Bundesstraße statt Bau der Autobahn durch den schutzwürdigen Wald. Die hessische CDU könnte doch die Chance ergreifen, sich mit diesem Kompromiss als Schlichter zu profilieren, so Angelika Forst:
"Wenn man 40 Jahre lang auf einen Abgrund zugewandert ist, warum muss man denn dann runterspringen? Oder ist es nicht möglich, eine Brücke zu bauen? Diese Brücke stellt der Kompromiss im Prinzip da." Der Dampfer A 49, werde nicht angehalten können. "Aber es gibt eine Alternative, eine Kompromisslösung, die uns einschwenken lässt nach Stadtallendorf. Und da diese die Bundesstraße auf der planfestgestellten Strecke der A 49 verlaufen würde, haben wir auch gar keine Probleme, dass dann gesagt wird: Ja, dann kann es ja doch nicht wieder gebaut werden, das Baurecht dafür würde bestehen, man würde es einfach kleiner machen."
Militante Protestaktionen
Doch jede weitere Suche nach einem Kompromiss wird aktuell auch durch militante Aktionen eines kleinen Teils des Protests im Dannenröder Wald erschwert: Autos in Gießen werden besprüht mit der Warnung: Wenn gerodet wird, werden sie angezündet. Ein Polizeiauto auf Streifenfahrt wurde mit großen Steinen beworfen, laut Einsatzleitung wurde dabei die Verletzung der Beamtinnen und Beamten im Auto in Kauf genommen. Vor wenigen Tagen wurde ein Pkw-Fahrer auf der A 3 im Taunus schwer verletzt, als er am Stauende auf einen Lkw auffuhr. Der Stau war durch eine Blockadeaktion der Autobahngegner ausgelöst worden.
Katy Walther, Sprecherin für Straßenbau der grünen Landtagsfraktion in Hessen, ist seit Wochen parlamentarische Beobachterin im Dannenröder Wald:
"Wir sehen in den letzten Tagen eine Zuspitzung der Gewalt, die sich im Umfeld des Dannenröder Forstes manifestiert. Es gibt direkte Angriffe auf die Polizei. Es gibt hitzige Situationen zwischen der Polizei und Protestierenden, wo dann doch auch mal vielleicht aus der Situation heraus ein bisschen mehr hingelangt wird. Und ich würde mir wirklich wünschen, dass alle im Auge haben, dass wir dort Menschen sind und dass jeder dort seinen Job macht. Die einen kämpfen für ihre Zukunft im Klimaschutz, die anderen müssen dort den Rechtsstaat durchsetzen und die Waldarbeiter Unterstützung beziehungsweise die Baufirmen, um ihre Arbeit machen zu können. Und ich wünsche mir, dass dort niemand zu Schaden kommt."
"Situation wie im Hambacher Forst verhindern"
Im zentralen Widerstandscamp beim Dorf Dannenrod war es in den letzten Wochen meist noch sehr friedlich. Von hier aus erreicht man nach einem Kilometer Fußweg im dichten Wald die ersten Baumhäuser. Die junge Waldbesetzerin Jay erklärt, wie das Waldleben organisiert ist:
Die Aktivistinnen und Aktivsten lebten in verschiedenen Orten am Wald. "Dabei wird darauf geachtet, den Wald auch zu schonen." Das heißt, es gebe gewisse Plätze, wo sich Aktivistinnen und Aktivisten aufhalten. "Es gibt Wege, wo sie langlaufen, und alle anderen Wege werden auch nicht betreten. Es gibt verschiedene Barrios, verschiedene Dörfer sozusagen, die alle auf der Autobahntrasse gelegen sind." Und nur da hielten sie sich auf.
"Hier das Barrio ‚Oben‘, das ist eines der ältesten Gebilde hier und auch eins, wo Leute zusammenkommen", sagt ein junger Österreicher. Er deutet auf Baumhäuser, die zum Teil in 20 Metern Höhe in alte Eichen gebaut wurden:
"Hier haben wir beispielsweise unsere Küchenplattform. Die ist relativ massiv geworden. Dort lagern wir unser Essen. Hier haben wir das Baumhaus ‚Sonne‘. Das Baumhaus versorgt uns mit Strom durch Solarpanels. Also wir versuchen hier schon, auch innovative Lebenskonzepte zu erproben."
Doch der Beginn der Räumung auch im Dannenröder Forst könnte aus dem Alternativprojekt auf Zeit schnell einen Ort aggressiver Auseinandersetzung mit der Polizei werden lassen. Eine Gruppe von Waldbesetzerinnen und Waldbesetzern lehnt neuerdings auch die grüne Landtagsabgeordnete Danny Walter als parlamentarische Beobachterin ab, weil man von den hessischen Grünen enttäuscht ist. Katy Walther sagt:
"Ich würde mir wünschen, dass es zu keiner Situation kommt wie im Hambacher Forst. Dass ein Mensch auf der Strecke bleibt, dass jemand dort mit seiner Gesundheit oder seinem Leben bezahlt. Und das müssen wir, glaube ich, alle versuchen zu erreichen. Bei aller Wut und aller Enttäuschung, die an diesem Projekt hängt."