Country jenseits einsamer Cowboys
Country-Musik erlebt in den USA gerade eine Renaissance unter jungen Leuten. Ein Beispiel ist Lesley Kernochan. Für ihr Album "A calm sun" findet sie in den Staaten aber keinen Verleger - deshalb erscheint es nun in Deutschland. Sie will das oft reaktionäre Genre mit neuen Inhalten füllen.
Keine fünf Sekunden, und es ist klar, unter welcher Rubrik man im Plattenladen das neue Album von Lesley Kernochan findet: Country. Und während es sonst gern heißt: mit Einflüssen von Musikstil X und Y, gibt es in diesem Fall keine anderen Einflüsse. "A Calm Sun" ist ein reines Countryalbum in der Tradition einer Reba McEntire oder der Dixie Chicks. Und obwohl dies bereits ihr fünftes Studioalbum ist, ist es das Country Debüt der 35-jährigen Amerikanerin. Über Jazz, Oper und Singer-Songwriter Pop ist sie jetzt beim Country gelandet.
"Ich hatte mir nie expliziert vorgenommen, ein Country-Album zu schreiben. Ich glaub, das kam eher dadurch, dass ich fünf Jahre in Colorado gelebt hab. Und da gibt es eine große Bluegrass- und Countrymusik-Szene. Ich fand, für das, was ich mit meinen Texten ausdrücken wollte, was das genau die richtige Musik. Countrymusik hat etwas Weiches, etwas, was ich bei meiner persönlichen Reise brauchte."
Jahrelang hat Lesley Kernochan bei verschiedenen Bands gespielt, bis sie irgendwann keine Lust mehr hatte auf musikalische Shows mit Kostümen und Zirkus-Elementen – wie sie selbst sagt. Viel lieber wollte sie selbst auf der Bühne sein, keine Rolle spielen, sondern ihre persönlichen Geschichten und Gefühle durch ihre Musik auf die Bühne bringen. So wie es die Musiker machen, die sie seit ihrer Kindheit inspirieren und geprägt haben: Bob Dylan, Paul Simon, Janis Joplin zum Beispiel. Positive Botschaften, die zum Nachdenken anregen – das möchte Lesley Kernochan gern in ihren Songs vermitteln, so wie in dem Lied "The Universe".
"Ich glaube 'Universe' ist ein sehr passender Song für die aktuelle Zeit und Situation in der Welt. So viele große Veränderungen passieren gerade. Es ist, als würde man uns einen Schleier von den Augen nehmen, so dass wir klar sehen können. Polizeigewalt und Rassismus sind riesige Probleme in Amerika. Wir müssen einen Weg finden, Menschen zu vermitteln, sich gegenseitig zu lieben und zu respektieren, auch wenn man unterschiedlich ist. Ganz offensichtlich ist das eine große Herausforderung für viele Menschen."
"Lasst uns lieber positive Lieder schreiben"
Es klingt etwas naiv, wenn Lesley Kernochan singt: "Das Universum ist freundlich, das weißt Du doch." Aber vielleicht ist es genau diese simple und positive Botschaft, die wir in düsteren und deprimierenden Zeiten wie jetzt brauchen?! "A Calm Sun" ist ein solides und gutgemachtes Countryalbum. Lesley Kernochan experimentiert nicht mit wilden Stilkombinationen, Samples oder elektronischen Spielereien. Und genau das tut dem Album sehr gut. Sie hat einen Plan, und den vermittelt sie ganz subtil. Country-Musik erlebt in den USA gerade eine Renaissance, mit vielen neuen und jungen Künstlern und einem neuen und jüngeren Publikum. Diese Tatsache will Kernochan nutzen, die oft reaktionäre Country-Musik mit neuen Inhalten zu füllen.
"Ich werde mir kein Lied anhören, das menschenverachtend ist oder eine Kultur repräsentiert, die ich als beschränkt empfinde. Was mir an Country gefällt ist die Art des Songschreibens. Einfache Melodien, die man auf der Gitarre spielt und die eine Geschichte erzählen. Ich hab Spaß, damit zu spielen."
Seit dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA und dem Wahlsieg Donald Trumps erwartet man auf neu erscheinenden Alben aus den USA wenigstens einen versteckten Kommentar, oder besser noch einen ganzen Song der die Situation im Land aus Sicht der Musiker kommentiert. Da Lesley Kernochan die Songs geschrieben hat, als noch niemand überhaupt ahnte, das Trump kandidieren würde, gibt es diese Statements auf ihrem Album nicht. Dabei ist sie sich sehr wohl bewusst, dass so ein Song von einer Countrysängerin eine große Wirkung hätte. Vor allem in den konservativen Südstaaten der USA sieht sie großen Bedarf, Menschen zu sensibilisieren.
"Da gibt es im Fernsehen diese Sendung 'Nashville', die ist seit ein paar Jahren sehr erfolgreich hier. Es geht um die Musikszene in Nashville. Ein Thema vor kurzem war: als Country-Star offen schwul zu leben. Das gibt es eigentlich nicht. Das ist etwas, wo ich meine Rolle in der Country Musik sehe. Die Musik in eine neue Richtung zu bringen, wo man auch wichtige, positive Botschaften vermittelt. Ich muss doch nicht immer nur um Cowboys gehen, die darüber singen, wie einsam sie sind. Lasst uns doch lieber positive Lieder schreiben, die Menschen beflügeln. Ich finde, dafür ist Country Musik genauso gut geeignet wie jeder andere Musikstil."
Auf die Probleme der USA aufmerksam machen
Der Ansatz ist gut, allerdings könnte Kernochan in der Ausführung ruhig noch mutiger sein, und klarere Worte wählen. Manchmal reicht subtil und durch-die-Blume nicht. Aber Lesley Kernochan sammelt mit ihrem neuen Album trotzdem viele Sympathiepunkte. Eine junge Frau, die sich selbst nicht zu wichtig nimmt, die Countrymusik entdeckt hat als ihren musikalischen Wohlfühlort und gleichzeitig als Medium um auf die Probleme der USA aufmerksam zu machen. Und all das macht sie mit einer beeindruckenden, vier Oktaven umfassenden Stimme. Vor allem wenn man selbst versucht, ihre Lieder nachzusingen, stellt man fest, wie beeindruckend ihr Gesang und ihre Stimme sind. Jung, warm, berührend.
"Ich mag Country-Musik, ja. Aber ich hab gerade mal ein Country Album aufgenommen. Ich weiß gar nicht, ob ich noch eins machen werde. Vielleicht wird das nächste ein Punk-Rock-Album." (lacht)
Was schade wär, denn wer weiß, wie erst ihr zweites Countryalbum klingen würde, nach diesem beeindruckenden Debüt.