Gesang als humanitäre Hilfe
"Sjaella" aus Leipzig ist ein A-Cappella-Ensemble, bestehend aus sechs jungen Frauen. Sie spielen vornehmlich Klassik und Jazz. Auf einer Jordanien-Reise hatten sie jetzt ein besonderes Publikum: In einem Flüchtlingscamp gaben sie einen Workshop für Kinder.
Große Bühne, schicke Kleider, elegantes Schuhwerk: Der Auftakt der Jordanien-Reise beginnt für "Sjaella" fast so, wie aus Deutschland gewohnt. Das Vokal-Ensemble gibt das Eröffnungskonzert beim Jazzfestival in der Hauptstadt Amman. Nur die Begrüßung geht den routinierten Musikerinnen dabei nicht ganz so leicht wie sonst über die Lippen.
Die Sängerinnen haben ein paar Sätze auf Arabisch einstudiert. Damit begeistern sie das jordanische Publikum gleich doppelt: mit ihrem Charme und mit ihrem glockenklaren A-Cappella-Gesang.
Doch die sechs jungen Sängerinnen aus Leipzig, allesamt Studentinnen Anfang 20, sind noch mit einer anderen Mission nach Jordanien gekommen. Auf Einladung des Goethe-Institutes wollen sie mit syrischen Flüchtlingskinder singen.
Per Bus geht es dazu gleich am nächsten Morgen hinaus aus Amman. Dieses Mal in bequemen Pluderhosen, T-Shirts und Sandalen. Das Ziel: Azraq, ein kleiner, unscheinbarer Ort gut 100 Kilometer östlich der Hauptstadt. Vor den Toren Azraqs, mitten in der trostlos grauen Wüste, leben über 50.000 Syrer in einem riesigen Container-Camp. Nachdenklich sehen die Sängerinnen aus dem Fenster, als ihr Bus an dem Lager vorbeifährt.
Lautstarke Begrüßung
Zehn Minuten später halten sie an: am Gemeindezentrum von Azraq, wo die Hilfsorganisation "Care" den Flüchtlingen Beistand bietet, die außerhalb des Camps leben.
Rund 250 syrische Kinder treffen sich hier außerdem täglich zum Spielen. Die Begrüßung ist dementsprechend lautstark. Fröhlich winkend und ein bisschen neugierig kommen Dutzende Kinder angelaufen.
"Hier ist was los! Aber ist schön, so freudig..."
Lotte und die anderen sind beeindruckt. Einige Kinder umarmen die Sängerinnen gleich herzlich. Andere geben unter einem Wellblechdach erst mal selbst ein kleines Konzert zum Besten.
Die Musikerinnen sind verblüfft.
"Wow! Unbeschreiblich!"
Sie hatten gedacht, sie müssten die Kinder erst zum Singen animieren.
"Hello, we are a vocal group from Germany."
Stellen sich die "Sjaella"-Frauen vor. Eine Übersetzerin wiederholt auf Arabisch.
"Ahlan wa sahlan! Welcome!"
"Herzlich willkommen!", rufen die Kinder lauthals durcheinander. Aufgeregt hüpfen sie hin und her, wollen noch mal selbst singen, plappern, stellen Fragen. Die deutschen Sängerinnen nehmen es gelassen.
"Der Plan, den wir gemacht haben, der funktioniert nicht. Aber ist nicht so schlimm. Wir haben uns schon darauf eingestellt, dass wir improvisieren müssen."
Gebannt lauschen die Kinder dem für sie ungewohnten Gesang
Als "Sjaella" dann selbst eine musikalische Kostprobe gibt, werden die Jungen und Mädchen aber mucksmäuschenstill.
"Wie lieblich ist der Maien…"
Völlig gebannt lauschen die Kinder dem für sie ungewohnten Gesang. Bei vielen stehen die Münder weit offen. Naram, elf Jahre, ist beeindruckt:
"Ich mag die Stimmen der jungen Frauen sehr. Wir bedanken uns bei den Sängerinnen."
Jetzt kann der Workshop mit "Sjaella" beginnen. Emsig machen die syrischen Kinder nach, was die Sängerinnen vormachen. Zuerst singen alle ihre Namen.
"Marie! Marie!"
"Gozeih! Gozeih!"
"Gozeih! Gozeih!"
Spiele für mehr Rhythmus-Gefühl folgen. Es wird getanzt, geklatscht und gesungen. Überschwänglich loben die Besucherinnen aus Deutschland die sichtlich stolzen Kinder. Die Übersetzerin kommt schon längst nicht mehr nach. Nicht schlimm, resümiert Marie.
"Total beeindruckend, wie offen die Kinder waren. Die haben sofort mitgemacht. Und dann spielt man irgendwelche Klatschspiele zusammen und das versteht man eben auch einfach, ohne dass man eine Erklärung hat. Und da zeigen einem die Kinder eben die Tänze und Spielchen und da macht man einfach mit. Das ist total schön."
Auch Helene ist sichtlich bewegt. Beim Blick auf die bunt angemalten Container, die hier als Behelfsräume dienen, und beim Gedanken an die physischen und psychischen Trümmer, den der Krieg in Syrien hinterlassen hat, auch in der Gefühlswelt dieser Kinder, geht ihr so manches durch den Kopf:
"So ganz viele verschiedene Emotionen: Auch wirklich bis hin fast zu ... bisschen Wut auch teilweise. Also, wenn man sieht, wie lebensfroh diese Kinder sind und wie ja ... eingeschränkt die Möglichkeiten doch sind ...
Der Gesang holt die Kinder aus ihrem Alltag
Gerade deshalb sei Gesang mehr als nur Abwechslung für die Kinder, erklärt Care-Helfer Mohamed.
"Den Kindern tut es so gut, zu singen. Es holt sie aus ihrem Alltag. Sie können mal abschalten. Eben diese psychosoziale Betreuung der Kinder und ihrer Familien ist unsere Arbeit."
Naram: "Als ich aus Syrien kam, war ich traurig."
... bestätigt Naram. Aber jetzt könne sie wieder lachen und singen, erzählt sie. Und Musik wie die von "Sjaella" genießen.
Und das zu erleben, so Marie, sei mindestens so bereichernd wie ein großer Auftritt auf der Konzertbühne.
"Wenn man den Kindern irgendwie helfen kann, den Alltag irgendwie ein bisschen schön zu machen und denen einen Glücksmoment zu geben, dann ist das eigentlich mit das Schönste, was man machen kann im Leben."
Während ihrer Jordanien-Reise veranstaltete "Sjaella" insgesamt drei Musikworkshops mit Kindern: Auch menschlich war das ein starker Auftritt.