Aal in Not
Die Schleimhaut macht den Aal widerstandfähig gegen so manches, nicht aber gegen menschliche Eingriffe. Und die Elbe gilt als ein sauberer Fluss, aber dennoch ist der Aal in Not. Hat er seine 5000 Kilometer lange Wanderung durch den Atlantik gemeistert, fangen die Schwierigkeiten erst an.
Gerade im Unterlauf der Elbe lauern die Gefahren: Turbinen von Wasserkraftwerken zerhacken Fische, Staustufen unterbrechen die Fischwanderung und, und, und. Die Elbe ist sauberer geworden, aber vor 20 Jahren, als sie noch schmutzig war, überlebten mehr Aale in ihr. Kann das Aussetzen gezüchteter Aale den dramatischen Aal-Rückgang in der Elbe stoppen?
Ein Sonntagmorgen um sechs. Eigentlich keine Zeit zum Arbeiten. Außer für Fischer, für Aalfischer Köthke.
"Der Aal ist ein nachtaktiver Fisch ... Die Netze müssen nachts stehen, und die fangen nicht nur Aal, sondern die fangen den ganzen Dreck und Müll, der den Fluss runtertreibt, und die Netze werden also verstopft und reißen unter Umständen, wenn sie ständig im Wasser sind, die werden dann also so schnell wie möglich morgens wieder rausgeholt."
Christian Köthke lenkt sein altes Sturmboot der Bundeswehr aus einem Altarm zur Elbe raus. Anderthalb Kilometer vom Hafen Gorleben entfernt.
"Der Betrieb besteht schon seit 1822, wurde auf der anderen Elbseite gegründet von meinen Vorfahren. ... Also der Betrieb wird in sechster Generation geführt."
Köhtke Senior ist die wahrscheinlich letzte Generation. Sein Sohn will vermutlich Maschinenbau studieren, keine Fischerlehre machen. Oder doch?
"Das wird er wahrscheinlich nicht, die Zukunftsaussichten in Flüssen von Industriestaaten für einen Fischer sind doch sehr schlecht."
Schmale Statur, kräftige Hände, eher wortkarg. Aale fischt Köthke, seit er 17 ist. Jetzt geht er auf die 60 zu, und das Geschäft ist schwierig geworden. Von mal 37 hauptberuflichen Fischern an der Elbe in Niedersachsen sind nur noch drei übriggeblieben. Bis zu 15 Tonnen hat Köthke früher jährlich gefangen. Früher ist lange her, jetzt sind es nur noch zwei bis drei.
"Die Fischereirechte sind hier in Strecken aufgeteilt, das sind uralte Rechte, die teils zu den Kommunen, aber auch zu Privatpersonen, wie dem Grafen Bernstorff gehören, die dann von uns Fischern gepachtet werden ... und das alleinige Fischereirecht auf der Strecke von 24 Kilometern habe ich gepachtet."
Nicht weit von der Stelle, wo der Altarm in die Elbe mündet, hat Köthke am Vorabend das erste Netz gestellt. Eine gelbe Boje, die mit dem Netzende verbunden ist, markiert es für die Schifffahrt. Die Netz-Konstruktion hat Köthke, der Fischer, selber entwickelt.
"Das ganze Netz hat zwei Seitenflügel und wird dann in einen Trichter geführt, und das Ende von diesem Trichter ist der Stert, und in dem Stert ist eine Kehle, eine Verengung und diesen Ausweg finden die Fische nicht mehr und sind nachher im Stert gefangen."
Köthke hievt den Netzsack an Bord. Er ist prall gefüllt.
Der Fang der Nacht: ein toter Hecht, ein paar Quappen und viele Plattfische, die am Bootsgrund nach Luft schnappen. Die Ausbeute an Aalen ist mager. Gerade mal zwei mittelgroße Exemplare. Köthke kennt das schon.
"Der Aalfang war in den 50er 60er Jahren wesentlich größer als jetzt. Das ging eigentlich bis 92 noch ganz gut, aber damals war der Geschmack durch Phenole aus der DDR beeinträchtigt, jetzt, in den letzten 15 Jahren, ist der Aalbestand noch mal deutlich zurückgegangen, das ist aber europaweit, weil die Zuwanderung von kleinen Glasaalen immer geringer geworden ist."
Glasaal nennt man den Aalnachwuchs. Die millimetergroßen Fische haben einen weiten Weg hinter sich, wenn sie an Europas Küsten ankommen. Von der Sargassosee vor Florida, dem Laichgebiet des Aals, treiben die winzigen Aallarven in drei Jahren über den Atlantik. Im Glasaalstadium wandern sie in die Flüsse und Binnengewässer. Dort wachsen sie in acht bis zehn Jahren zu geschlechtsreifen Tieren heran und kehren zum Laichen zurück in die Sargassosee. Doch die Zahl der kleinen Glasaale ist dramatisch gesunken: Gegenüber guten Jahren wie in den 70ern auf ein Hundertstel. Der Internationale Rat für Meeresforschung hat den Aal deshalb als "außerhalb sicherer biologischer Grenzen" eingestuft. In Deutschland steht er seit 1998 auf der Roten Liste.
"Es warten schon Kunden in der Luft: der Schwarze Milan, der rote Milan und die Reiher und hoffen, dass sie einen von den kleinen toten Fischen erwischen."
Köthke hat sein zweites Netz geleert.
"Das sind Brassen und andere Weißfische, die wir leider nicht vermarkten können."
Mit dem Kescher kehrt Köthke den Beifang zusammen und wirft ihn wieder über Bord.
"Die kann man sehr gut essen, die sind ähnlich wie Karpfen, aber die werden nur von Russen oder Russlanddeutschen geschätzt, bei uns sind die nicht so beliebt wegen der vielen Gräten."
Und Aale? Wieder nur zwei im Netz. Die magere Ausbeute an diesem Tag mag Zufall sein, passt aber ins Bild vom Niedergang des Aals in der Elbe.
"Die Elbe ist durch den Bunenbau eingeengt, damit sie tiefer wird und dadurch ist ein Drittel der Wasserfläche verloren gegangen und das sind wichtige und sehr fruchtbare Flachwasserzonen, die durch den Niedrigwasserausbau verloren gegangen sind. Das nächste große Problem ist die Staustufe in Geesthacht, die in den 60er Jahren gebaut wurde und die Fischwanderung unterbrochen hat."
Dabei bietet die Elbe dem Aal im Vergleich zu anderen Flüssen noch relativ gute Bedingungen. Auf deutschem Gebiet gibt es im Elbstrom keine einzige Wasserkraftanlage. An der Weser sind es gleich sieben. In ganz Deutschland ist dem Aal ein Viertel seiner früheren Aufwuchsgebiete versperrt worden, europaweit die Hälfte. Die Flussverbauung hat mit der Industrialisierung begonnen, vor über 100 Jahren. Sie zwang die Fischer zu unkonventionellen Lösungen.
"Ich bin der Leiter der Aalversandstelle der Deutschen Fischereiverbands hier in Haltensbeck, mein Name ist Arne Koops, Fischwirtschaftsmeister, 42 Jahre alt, und mach das jetzt seit 1998. ... Man erkannte sehr früh, dass man in den Gebieten, in die der Aal nicht mehr selber einwandern kann, Aale zusetzen muss, ... und 1908 ... installierte man die Aalversandstelle des Deutschen Fischereiverbands, wir sind jetzt 98 Jahre alt."
Halstenbek liegt bei Hamburg. Auf dem Hof der Aalversandstelle stehen Transporter, es sieht aus wie bei einer Spedition, und im Prinzip ist die Aalversandstelle auch eine. Die Fahrzeug-Flotte besteht aus drei Lkw mit Anhängern und ist ausgerüstet für die Beförderung von Glasaalen.
"Wir kaufen mittlerweile da ein, wo überhaupt noch genügend Ware ankommt, das ist in den Kernverbreitungsgebieten des europäischen Aals immer noch der Fall, das ist in Portugal, Nordspanien, Frankreich und in Südengland. In allen Bereichen, die weiter an den Rändern des Verbreitungsgebietes liegen, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der Bestand von Glasaalen schon so weit zurückgegangen ist, dass sich der Fang nur noch begrenzt lohnt."
Schätzungsweise zwei Milliarden Glasaale werden an Südeuropas Küsten jährlich gefangen, 600 Millionen davon zu Dosennahrung verarbeitet, weil der Glasaal als Delikatesse gilt. Mehrere Hundert Millionen gehen an Mastbetriebe in Asien. Für die Fortpflanzung sind all diese Tiere verloren. Die übrigen Glasaale sind ebenfalls ein begehrtes Gut. Fischereigenossenschaften, einzelne Fischer und Angelvereine kaufen sie auf, um sie in ihren Gewässern auszusetzen.
"Wir liefern überallhin, wo Sie im deutschen Bereich dran denken können, wenn sie von Gewässern reden, es gibt kaum etwas, wo wir nicht schon gewesen sind oder ständig hinfahren.
Zum Beispiel der Königsee, zum Teil die Donau, ... ob das der Bodensee ist, im Rhein sind wir, wir sind im rheinlandpfälzischen Bereich, wir sind an der Oder, wir sind in den verschiedensten Talsperren in Mitteldeutschland."
Ursprünglich hatten die Fischer mit dem Besatz begonnen, um sich trotz der verbauten Flüsse einen guten Fang zu sichern: Möglichst viele der ausgesetzten Jungaale sollten wieder in ihren Netzen landen, sobald sie sich das nötige Gewicht angefressen hatten. Und man erhofft sich von der Maßnahme noch etwas: Vielleicht kann sie dazu beitragen, dem Aal das Überleben zu sichern.
"Wir machen in diesem Jahr zum ersten Mal im gesamten Gebiet der Elbe eine abgestimmte Besatzmaßnahme mit Jungaalen, das heißt mit vorgestreckten Farmaalen, das sind Glasaale, die im Winter an der Atlantikküste gefangen werden, dann einige Monate in Farmen gefüttert werden, bis die Temperaturen und die Bedingungen hier so sind, dass man sie hier aussetzen kann, und die werden in der Elbe ausgesetzt."
Bei der Besatzaktion handelt es sich um ein länderübergreifendes Projekt, finanziert von der Europäischen Union, dem Land Niedersachsen, verschiedenen Umweltstiftungen und den Fischern selbst. Im gesamten Elbegebiet wurden an etwa 100 Stellen junge Aale ausgesetzt. Allein im niedersächsischen Bereich zwischen Geesthacht und Schnakenburg fast eine Tonne, rund 100.000 Stück. Christian Köthke ist überzeugt, dass dem Aal so geholfen werden kann. Naturschützern sind da etwas skeptischer. Es sei nicht erwiesen, dass Besatz dem Aal etwas nützt. Doch der Besatz ist immerhin etwas, das man tun kann. Sonst ist es sehr schwer, dem Aal zu helfen.
"Die Belastung mit Abwässern spielt ne negative Rolle, es sind Parasiten aus Asien eingeschleppt worden, die Wasserkraftwerke zerhäckseln sehr viele abwandernde große Aale. Dazu kommt die Frage, wie weit sich die Klimaveränderung des Golfstroms auswirkt, dass die Aallarven überm Atlantik nicht mehr gezielt nach Europa gedriftet werden sondern irgendwo anders hin, wo sie gar nicht überleben können."
Speziell an der Elbe belastet auch der Kühlwasserbedarf der Atomkraftwerke den Aalbestand. Allein die Rechen des Einlaufbauwerks beim AKW Brunsbüttel vernichten laut einer Studie schätzungsweise 6,5 Tonnen Aale jährlich. Zwar ist der Aal ein zähes Tier, doch irgendwann ist auch für ihn eine Grenze erreicht. Die EU-Kommission hat den Ernst der Lage erkannt und plant Einschneidendes. Mindestens 40 Prozent der erwachsenen Aale, bezogen auf den ursprünglichen Bestand, sollen in ihre Laichgebiete zurückwandern dürfen. So will es ein Verordnungsentwurf vom Mai. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Aalbewirtschaftungspläne vorlegen. Deren Kern: Der Aalfang soll durch eine Schonzeit um die Hälfte vermindert werden.
"Jede Fangbeschränkung würde die Fischer ruinieren, und es ist nicht einzusehen, weil der Fang keinen Einfluss auf den Glasaalbestand hat, die Fischerei sorgt praktisch durch Aalbesatz für mehr Aalbestand in den Aufwachsgebieten, wir besetzen mehr als wir später fangen."
Tatsächlich ist der Beitrag der Flussfischerei zur Aalmisere umstritten. Gerade an der Elbe, wo die Zahl der Betriebe auf weniger als ein Zehntel gesunken ist. Fischer Köthke wird ärgerlich, kommt er auf mögliche Fangbeschränkungen zu sprechen. Er würde andere Maßnahmen vorschlagen.
"Der Kormoran hat sich ja in den letzten Jahrzehnten explosionsartig ausgebreitet, und ist nachweislich auch ein Aalfresser und reduziert die Aalbestände erheblich, wir fordern natürlich, dass es auch für den Kormoran einen Managementplan gibt, jedes Haarwild, zum Beispiel Rehwild, wird planmäßig abgeschossen, wir fordern die gleiche Bestandsregulierung auch für den Kormoran."
So geht das seit Jahren. Wenn man dem Aal helfen will, weiß man kaum, wo man anfangen soll: Den Glasaalfang beschränken? Die Exporte nach Asien stoppen? Wasserkraftwerke während der Aalwanderung stilllegen? Kulturelle Gepflogenheiten, das Welthandelsabkommen, der Energiehunger stehen dem im Weg. Da sehen die Flussfischer erst recht nicht ein, dass sie kürzer treten sollen. Vorerst wird ihnen noch eine Schonzeit gewährt. Die EU-Verordnung sollte in diesem Sommer verabschiedet werden, doch die Mitgliedsstaaten erhoben Einwände, schon weil sie nicht wissen, wie sie die Umsetzung kontrollieren sollen. Die Verabschiedung der Verordnung wurde verschoben.
Köthke Senior ist beim vierten und letzten Netz angekommen. In einer Eiche am Ufer hockt ein Seeadler und beobachtet den Fischer beim immer gleichen Ablauf: Mit dem Haken nach dem Netzsack angeln, ihn über die Bootskante ziehen ....
Die Ausbeute ist mager - wie zuvor. Zwei große und einige kleine Aale. Köthke, der Aalfischer in sechster Generation, packt die kleinen mit schnellem Griff und wirft sie über Bord. Er will große fangen.
Dann lässt er das Netz ans Ufer treiben und nimmt die Batterie für das Positionslicht aus ihrem Kasten.
Später, an Land, wird der Fang gewogen: 5,7 Kilo zeigt die Waage – an guten Tagen hat Köthke 100 Kilo in seinen Netzen.
Ein Sonntagmorgen um sechs. Eigentlich keine Zeit zum Arbeiten. Außer für Fischer, für Aalfischer Köthke.
"Der Aal ist ein nachtaktiver Fisch ... Die Netze müssen nachts stehen, und die fangen nicht nur Aal, sondern die fangen den ganzen Dreck und Müll, der den Fluss runtertreibt, und die Netze werden also verstopft und reißen unter Umständen, wenn sie ständig im Wasser sind, die werden dann also so schnell wie möglich morgens wieder rausgeholt."
Christian Köthke lenkt sein altes Sturmboot der Bundeswehr aus einem Altarm zur Elbe raus. Anderthalb Kilometer vom Hafen Gorleben entfernt.
"Der Betrieb besteht schon seit 1822, wurde auf der anderen Elbseite gegründet von meinen Vorfahren. ... Also der Betrieb wird in sechster Generation geführt."
Köhtke Senior ist die wahrscheinlich letzte Generation. Sein Sohn will vermutlich Maschinenbau studieren, keine Fischerlehre machen. Oder doch?
"Das wird er wahrscheinlich nicht, die Zukunftsaussichten in Flüssen von Industriestaaten für einen Fischer sind doch sehr schlecht."
Schmale Statur, kräftige Hände, eher wortkarg. Aale fischt Köthke, seit er 17 ist. Jetzt geht er auf die 60 zu, und das Geschäft ist schwierig geworden. Von mal 37 hauptberuflichen Fischern an der Elbe in Niedersachsen sind nur noch drei übriggeblieben. Bis zu 15 Tonnen hat Köthke früher jährlich gefangen. Früher ist lange her, jetzt sind es nur noch zwei bis drei.
"Die Fischereirechte sind hier in Strecken aufgeteilt, das sind uralte Rechte, die teils zu den Kommunen, aber auch zu Privatpersonen, wie dem Grafen Bernstorff gehören, die dann von uns Fischern gepachtet werden ... und das alleinige Fischereirecht auf der Strecke von 24 Kilometern habe ich gepachtet."
Nicht weit von der Stelle, wo der Altarm in die Elbe mündet, hat Köthke am Vorabend das erste Netz gestellt. Eine gelbe Boje, die mit dem Netzende verbunden ist, markiert es für die Schifffahrt. Die Netz-Konstruktion hat Köthke, der Fischer, selber entwickelt.
"Das ganze Netz hat zwei Seitenflügel und wird dann in einen Trichter geführt, und das Ende von diesem Trichter ist der Stert, und in dem Stert ist eine Kehle, eine Verengung und diesen Ausweg finden die Fische nicht mehr und sind nachher im Stert gefangen."
Köthke hievt den Netzsack an Bord. Er ist prall gefüllt.
Der Fang der Nacht: ein toter Hecht, ein paar Quappen und viele Plattfische, die am Bootsgrund nach Luft schnappen. Die Ausbeute an Aalen ist mager. Gerade mal zwei mittelgroße Exemplare. Köthke kennt das schon.
"Der Aalfang war in den 50er 60er Jahren wesentlich größer als jetzt. Das ging eigentlich bis 92 noch ganz gut, aber damals war der Geschmack durch Phenole aus der DDR beeinträchtigt, jetzt, in den letzten 15 Jahren, ist der Aalbestand noch mal deutlich zurückgegangen, das ist aber europaweit, weil die Zuwanderung von kleinen Glasaalen immer geringer geworden ist."
Glasaal nennt man den Aalnachwuchs. Die millimetergroßen Fische haben einen weiten Weg hinter sich, wenn sie an Europas Küsten ankommen. Von der Sargassosee vor Florida, dem Laichgebiet des Aals, treiben die winzigen Aallarven in drei Jahren über den Atlantik. Im Glasaalstadium wandern sie in die Flüsse und Binnengewässer. Dort wachsen sie in acht bis zehn Jahren zu geschlechtsreifen Tieren heran und kehren zum Laichen zurück in die Sargassosee. Doch die Zahl der kleinen Glasaale ist dramatisch gesunken: Gegenüber guten Jahren wie in den 70ern auf ein Hundertstel. Der Internationale Rat für Meeresforschung hat den Aal deshalb als "außerhalb sicherer biologischer Grenzen" eingestuft. In Deutschland steht er seit 1998 auf der Roten Liste.
"Es warten schon Kunden in der Luft: der Schwarze Milan, der rote Milan und die Reiher und hoffen, dass sie einen von den kleinen toten Fischen erwischen."
Köthke hat sein zweites Netz geleert.
"Das sind Brassen und andere Weißfische, die wir leider nicht vermarkten können."
Mit dem Kescher kehrt Köthke den Beifang zusammen und wirft ihn wieder über Bord.
"Die kann man sehr gut essen, die sind ähnlich wie Karpfen, aber die werden nur von Russen oder Russlanddeutschen geschätzt, bei uns sind die nicht so beliebt wegen der vielen Gräten."
Und Aale? Wieder nur zwei im Netz. Die magere Ausbeute an diesem Tag mag Zufall sein, passt aber ins Bild vom Niedergang des Aals in der Elbe.
"Die Elbe ist durch den Bunenbau eingeengt, damit sie tiefer wird und dadurch ist ein Drittel der Wasserfläche verloren gegangen und das sind wichtige und sehr fruchtbare Flachwasserzonen, die durch den Niedrigwasserausbau verloren gegangen sind. Das nächste große Problem ist die Staustufe in Geesthacht, die in den 60er Jahren gebaut wurde und die Fischwanderung unterbrochen hat."
Dabei bietet die Elbe dem Aal im Vergleich zu anderen Flüssen noch relativ gute Bedingungen. Auf deutschem Gebiet gibt es im Elbstrom keine einzige Wasserkraftanlage. An der Weser sind es gleich sieben. In ganz Deutschland ist dem Aal ein Viertel seiner früheren Aufwuchsgebiete versperrt worden, europaweit die Hälfte. Die Flussverbauung hat mit der Industrialisierung begonnen, vor über 100 Jahren. Sie zwang die Fischer zu unkonventionellen Lösungen.
"Ich bin der Leiter der Aalversandstelle der Deutschen Fischereiverbands hier in Haltensbeck, mein Name ist Arne Koops, Fischwirtschaftsmeister, 42 Jahre alt, und mach das jetzt seit 1998. ... Man erkannte sehr früh, dass man in den Gebieten, in die der Aal nicht mehr selber einwandern kann, Aale zusetzen muss, ... und 1908 ... installierte man die Aalversandstelle des Deutschen Fischereiverbands, wir sind jetzt 98 Jahre alt."
Halstenbek liegt bei Hamburg. Auf dem Hof der Aalversandstelle stehen Transporter, es sieht aus wie bei einer Spedition, und im Prinzip ist die Aalversandstelle auch eine. Die Fahrzeug-Flotte besteht aus drei Lkw mit Anhängern und ist ausgerüstet für die Beförderung von Glasaalen.
"Wir kaufen mittlerweile da ein, wo überhaupt noch genügend Ware ankommt, das ist in den Kernverbreitungsgebieten des europäischen Aals immer noch der Fall, das ist in Portugal, Nordspanien, Frankreich und in Südengland. In allen Bereichen, die weiter an den Rändern des Verbreitungsgebietes liegen, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der Bestand von Glasaalen schon so weit zurückgegangen ist, dass sich der Fang nur noch begrenzt lohnt."
Schätzungsweise zwei Milliarden Glasaale werden an Südeuropas Küsten jährlich gefangen, 600 Millionen davon zu Dosennahrung verarbeitet, weil der Glasaal als Delikatesse gilt. Mehrere Hundert Millionen gehen an Mastbetriebe in Asien. Für die Fortpflanzung sind all diese Tiere verloren. Die übrigen Glasaale sind ebenfalls ein begehrtes Gut. Fischereigenossenschaften, einzelne Fischer und Angelvereine kaufen sie auf, um sie in ihren Gewässern auszusetzen.
"Wir liefern überallhin, wo Sie im deutschen Bereich dran denken können, wenn sie von Gewässern reden, es gibt kaum etwas, wo wir nicht schon gewesen sind oder ständig hinfahren.
Zum Beispiel der Königsee, zum Teil die Donau, ... ob das der Bodensee ist, im Rhein sind wir, wir sind im rheinlandpfälzischen Bereich, wir sind an der Oder, wir sind in den verschiedensten Talsperren in Mitteldeutschland."
Ursprünglich hatten die Fischer mit dem Besatz begonnen, um sich trotz der verbauten Flüsse einen guten Fang zu sichern: Möglichst viele der ausgesetzten Jungaale sollten wieder in ihren Netzen landen, sobald sie sich das nötige Gewicht angefressen hatten. Und man erhofft sich von der Maßnahme noch etwas: Vielleicht kann sie dazu beitragen, dem Aal das Überleben zu sichern.
"Wir machen in diesem Jahr zum ersten Mal im gesamten Gebiet der Elbe eine abgestimmte Besatzmaßnahme mit Jungaalen, das heißt mit vorgestreckten Farmaalen, das sind Glasaale, die im Winter an der Atlantikküste gefangen werden, dann einige Monate in Farmen gefüttert werden, bis die Temperaturen und die Bedingungen hier so sind, dass man sie hier aussetzen kann, und die werden in der Elbe ausgesetzt."
Bei der Besatzaktion handelt es sich um ein länderübergreifendes Projekt, finanziert von der Europäischen Union, dem Land Niedersachsen, verschiedenen Umweltstiftungen und den Fischern selbst. Im gesamten Elbegebiet wurden an etwa 100 Stellen junge Aale ausgesetzt. Allein im niedersächsischen Bereich zwischen Geesthacht und Schnakenburg fast eine Tonne, rund 100.000 Stück. Christian Köthke ist überzeugt, dass dem Aal so geholfen werden kann. Naturschützern sind da etwas skeptischer. Es sei nicht erwiesen, dass Besatz dem Aal etwas nützt. Doch der Besatz ist immerhin etwas, das man tun kann. Sonst ist es sehr schwer, dem Aal zu helfen.
"Die Belastung mit Abwässern spielt ne negative Rolle, es sind Parasiten aus Asien eingeschleppt worden, die Wasserkraftwerke zerhäckseln sehr viele abwandernde große Aale. Dazu kommt die Frage, wie weit sich die Klimaveränderung des Golfstroms auswirkt, dass die Aallarven überm Atlantik nicht mehr gezielt nach Europa gedriftet werden sondern irgendwo anders hin, wo sie gar nicht überleben können."
Speziell an der Elbe belastet auch der Kühlwasserbedarf der Atomkraftwerke den Aalbestand. Allein die Rechen des Einlaufbauwerks beim AKW Brunsbüttel vernichten laut einer Studie schätzungsweise 6,5 Tonnen Aale jährlich. Zwar ist der Aal ein zähes Tier, doch irgendwann ist auch für ihn eine Grenze erreicht. Die EU-Kommission hat den Ernst der Lage erkannt und plant Einschneidendes. Mindestens 40 Prozent der erwachsenen Aale, bezogen auf den ursprünglichen Bestand, sollen in ihre Laichgebiete zurückwandern dürfen. So will es ein Verordnungsentwurf vom Mai. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Aalbewirtschaftungspläne vorlegen. Deren Kern: Der Aalfang soll durch eine Schonzeit um die Hälfte vermindert werden.
"Jede Fangbeschränkung würde die Fischer ruinieren, und es ist nicht einzusehen, weil der Fang keinen Einfluss auf den Glasaalbestand hat, die Fischerei sorgt praktisch durch Aalbesatz für mehr Aalbestand in den Aufwachsgebieten, wir besetzen mehr als wir später fangen."
Tatsächlich ist der Beitrag der Flussfischerei zur Aalmisere umstritten. Gerade an der Elbe, wo die Zahl der Betriebe auf weniger als ein Zehntel gesunken ist. Fischer Köthke wird ärgerlich, kommt er auf mögliche Fangbeschränkungen zu sprechen. Er würde andere Maßnahmen vorschlagen.
"Der Kormoran hat sich ja in den letzten Jahrzehnten explosionsartig ausgebreitet, und ist nachweislich auch ein Aalfresser und reduziert die Aalbestände erheblich, wir fordern natürlich, dass es auch für den Kormoran einen Managementplan gibt, jedes Haarwild, zum Beispiel Rehwild, wird planmäßig abgeschossen, wir fordern die gleiche Bestandsregulierung auch für den Kormoran."
So geht das seit Jahren. Wenn man dem Aal helfen will, weiß man kaum, wo man anfangen soll: Den Glasaalfang beschränken? Die Exporte nach Asien stoppen? Wasserkraftwerke während der Aalwanderung stilllegen? Kulturelle Gepflogenheiten, das Welthandelsabkommen, der Energiehunger stehen dem im Weg. Da sehen die Flussfischer erst recht nicht ein, dass sie kürzer treten sollen. Vorerst wird ihnen noch eine Schonzeit gewährt. Die EU-Verordnung sollte in diesem Sommer verabschiedet werden, doch die Mitgliedsstaaten erhoben Einwände, schon weil sie nicht wissen, wie sie die Umsetzung kontrollieren sollen. Die Verabschiedung der Verordnung wurde verschoben.
Köthke Senior ist beim vierten und letzten Netz angekommen. In einer Eiche am Ufer hockt ein Seeadler und beobachtet den Fischer beim immer gleichen Ablauf: Mit dem Haken nach dem Netzsack angeln, ihn über die Bootskante ziehen ....
Die Ausbeute ist mager - wie zuvor. Zwei große und einige kleine Aale. Köthke, der Aalfischer in sechster Generation, packt die kleinen mit schnellem Griff und wirft sie über Bord. Er will große fangen.
Dann lässt er das Netz ans Ufer treiben und nimmt die Batterie für das Positionslicht aus ihrem Kasten.
Später, an Land, wird der Fang gewogen: 5,7 Kilo zeigt die Waage – an guten Tagen hat Köthke 100 Kilo in seinen Netzen.