Das PEOPLE Festival findet am 18. und 19.8.2018 im Berliner Funkhaus statt. Es gibt noch einige wenige Tickets.
"Wir wollen eine Community, die in sich selbst investiert"
Das People Festival findet ab morgen in Berlin im ehemaligen DDR-Funkhaus statt. Rund 200 Musiker treten kostenlos auf. Es gibt eine Plattform, auf der man Musik teilen kann. Aaron Dessner von The National berichtet über die Idee zu einer Art Anti-Festival.
Christoph Möller: Was passiert während des People Festivals auf dem Gelände des alten Berliner Funkhauses? Unter den eingeladenen Musikerinnen und Musikern sind bekannte Namen wie Bon Iver, Feist, Erlend Øye, Zach Condon alias Beirut, Damien Rice – oder aus Deutschland Mouse On Mars und Boys Noize.
Aaron Dessner: Es sind fast 200 Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt hier, die alle im gleichen Hotel schlafen, und jeden Tag in etwa einhundert Räumen und Studios zusammen Musik machen. Es geht darum, neue Projekte zu formen, kreative Samen zu säen und Genre-Grenzen zu überwinden. Keiner ist mit seiner Band hier, sondern einfach als einzelner Musiker. Aus den Räumen kommt ständig Musik – das ist schon sehr inspirierend.
"Traditionelle Festivalstrukturen überwinden"
Möller: Es gibt kein richtiges Line-up, es gibt keinen Headliner und auch kein Programm. Das heißt, Musikfans, die am Wochenende kommen, wissen eigentlich gar nicht, was hier passiert. Würden Sie sagen, dass das PEOPLE Festival ein Anti-Festival ist?
Dessner: Uns geht es darum, traditionelle Festivalstrukturen und -hierarchien zu überwinden. Normalerweise siehst du auf einem Festival große Headliner, und deine Lieblingsband, die deine Lieblingssongs spielt. Es gibt total wenig Raum für Überraschungen, Spontanität, neue Ideen oder ungewöhnliche Bühnenkonzepte. Wir wollen diese Traditionen hinterfragen, um mehr Möglichkeiten und etwas Geheimnisvolles zu haben.
"Niemand wird bezahlt"
Möller: Obwohl es kein Line-Up gibt, wurden die Namen schon vorher angekündigt. 200 Musikerinnen und Musiker sind nicht nur eine logistische Herausforderung, sondern es wäre auch ziemlich teuer, wenn man die bezahlen müsste. Wie haben Sie die überzeugt, hier mitzumachen?
Dessner: Ja, man muss dazu sagen, dass niemand bezahlt wird. Jeder kommt, weil er oder sie in einem Umfeld sein möchte, in dem es genug Raum und Zeit gibt, über Ideen nachzudenken – gemeinsam zu arbeiten, zu lernen, sich auszutauschen. Es wundert mich immer wieder, wie wenig davon in der Musikindustrie zu sehen ist: Auf Tour zum Beispiel bist du die ganze Zeit in diesem kommerziellen Marketing-Strudel. Hier kommen Musikerinnen und Musiker zusammen, die die gleichen Interessen verfolgen, die gemeinsam wachsen wollen. Mein Bruder und ich haben hier im Funkhaus "Sleep Well Beast" aufgenommen, das aktuelle Album unserer Band The National. Die Tür war immer offen. Am Ende haben 30 Musikerinnen und Musiker am Album mitgewirkt. So ist die Platte viel besser geworden, als hätten wir es ganz normal im Studio aufgenommen. Ich denke, das suchen die Leute hier: gegenseitige Inspiration, frischen Wind, Luft zum Atmen.
Möller: Also sind Sie ja schon auch ein bisschen politisch, insofern dass Sie sagen, die Musikindustrie funktioniert eigentlich gar nicht mehr so gut und verhindert Kreativität sogar?
Dessner: Wir sind nicht gegen die Musikindustrie oder sonst irgendwen. Aber dieses Festival und die Plattform PEOPLE sollen Schranken abbauen. Wir wollen, dass es leichter wird, Musik zu teilen. Wir wollen eine Community aufbauen, die nachhaltig in sich selbst investiert. Und die kann dann ja mit der Musikindustrie wachsen. Nehmen wir das Internet: Jeder hat Zugriff auf so ziemlich alle Musik – großartig. Aber gleichzeitig geht es der Musikindustrie dann doch wieder nur um Klicks. Alles ist darauf ausgelegt, Erfolg zu haben und Profit zu machen. Doch das führt nicht immer zu guter Kunst oder guter Musik.
"1000 Songs aufnehmen diese Woche"
Möller: Es gibt eine Internetseite, die kein Streamingservice ist, aber so ein Musikstream zumindest sein soll. Wie hängt die mit dem Festival zusammen? Wird da einfach online das abgebildet, was hier im Funkhaus passiert?
Dessner: Die Plattform ist das Zuhause für das, was wir hier auf dem Festival machen. Sozusagen der Garten, in dem all die kreativen Samen wachsen können. Wir haben hier 200 Musikerinnen und Musiker, die vielleicht 1000 Songs aufnehmen diese Woche. Was passiert damit? Wie leben die weiter? Wo kann ich sie hören? Wir haben also eine Plattform gebaut, PEOPLE, auf der man Musik einfach teilen kann. Und zwar dreidimensional: Man kann so viel Kontext, Bilder und Text hochladen, wie man möchte. Und jeder, der bei einem Stück mitgewirkt hat, ist sichtbar. Wenn ich also mit meinem Bruder Musik mache, dann siehst du nicht nur unsere Namen, sondern auch die der 20 anderen Musikerinnen und Musiker, die mitgemacht haben. Bei anderen Streaminganbietern siehst du diese Metadaten ja nicht. Ich finde das völlig unverständlich. Denn als jemand, der gerne in Plattenläden geht, möchte ich nicht, dass mir ein Algorithmus sagt, was ich hören soll. Sondern ich möchte sehen, wer diese verrückte Bassline gespielt hat, wer dieser Schlagzeuger ist? Ich glaube, viele Musikfans sehnen sich nach diesen Informationen. Also haben wir diese Plattform entwickelt, die hoffentlich von vielen Menschen als Tool genutzt wird, um miteinander zu arbeiten.
"Wir nutzen das Gebäude als ein gigantisches Instrument"
Möller: Wir sind hier gerade durch die Gänge gegangen. Das wirkt hier wie ein Workshop, also ein sehr freies Arbeiten. Es wirkt, als sei das sehr nett für die Musikerinnen und Musiker, aber was ist denn der Wert für die Fans? Was wird hier am Wochenende eigentlich passieren?
Dessner: Ich denke, für Fans ist es eine Möglichkeit, in einer Situation zu sein, die ein ganz neues Hören ermöglicht. Sie werden Auftritte sehen, die sie nirgendwo sonst sehen können – und die sie vielleicht auch gar nicht erwarten. So entsteht etwas Neues. Außerdem werden sie Teil einer Community: Es gibt keine Grenze zwischen Fans und Musikern. Wir sind alle einfach nur people. Im Funkhaus, einem Ort, den ich so noch nicht gesehen habe. Wir nutzen das Gebäude als ein gigantisches Instrument. So fühlt sich das für mich an.