Aaron Sahr: „Die monetäre Maschine“
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Warum Geld politisch ist
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Aaron Sahr
Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen VernunftC.H. Beck, München 2022447 Seiten
28,00 Euro
Geld ist ein unpolitisches Tauschwerkzeug? Keineswegs, zeigt der Wirtschaftssoziologe Aaron Sahr: Geld ist eine öffentliche Infrastruktur, die unsere Zahlungsfähigkeit produziert – und sie kann das nur mit Schulden. Zeit für ein Umdenken.
Eine „Kritik der finanziellen Vernunft“ verspricht dieses Buch völlig zu Recht: Denn was der Wirtschaftssoziologe Aaron Sahr hier an Theorien und Forschungsergebnissen präsentiert, widerspricht nicht nur den Kernüberzeugungen der gegenwärtigen Finanzpolitik und vieler Wirtschaftsfachleute, sondern auch dem, was wir im Alltag für intuitiv richtig und „vernünftig“ halten, wenn es um Geld geht.
Gegen die Privatisierung der Geldschöpfung
Den Horizont des Buches bildet die Frage der Geldschöpfung: Wie genau entsteht Geld überhaupt? Und: Was läuft schief im derzeitigen Modus der Geldentstehung – und wie lässt sich das ändern? Sahr möchte unsere Vorstellung von Geld „vom privatwirtschaftlichen Kopf auf die öffentlichen Füße stellen“.
Seine Kernthese ist, dass im Zuge der letzten Jahrzehnte eine „Entpolitisierung“ und „Privatisierung“ der Geldschöpfung stattgefunden hat – und dass dieser Trend dringend umgekehrt werden muss, wenn wir den vielfältigen Herausforderungen unserer Gegenwart, von Klimakrise bis zu sozialer Gerechtigkeit, begegnen wollen.
Um dorthin zu kommen, müssen wir, laut Sahr, jedoch zu einer völlig anderen Vorstellung von Wirtschaft und Geld kommen, als die meisten von uns es gelernt haben. Die Tragweite des Paradigmenwechsels sei hier nur angedeutet: Geldvermögen selbst sind demnach immer Schulden – die Zahl auf meinem Konto repräsentiert eine Schuld der Bank mir gegenüber.
Und das Vermögen der Bank besteht aus Zahlungsversprechen anderer, während sie selbst wiederum Schulden bei der Zentralbank aufnimmt, wenn sie neue Kredite vergibt und dadurch „per Knopfdruck“ neues Geld erschafft. Geld entsteht, wenn wir Schulden machen, und wird „vernichtet“, wenn wir sie zurückzahlen.
Geld ist eine öffentliche Infrastruktur
Geld ist in dieser Perspektive kein „individuelles Tauschwerkzeug“, sondern eine komplexe, gesellschaftlich betriebene „Maschine“ oder „Infrastruktur“, die uns mit Zahlungsfähigkeit versorgt; es ist kein Stellvertreter für schon erbrachten Fleiß, sondern eine kollektive „Vorleistung“, die wirtschaftliches Handeln erst ermöglicht – vergleichbar der Stromversorgung. Und wie die Stromversorgung nicht ohne öffentliche Regulierung, Investitionen und Gestaltungsansprüche funktioniert, so gilt das auch für die „monetäre Maschine“.
Weil aber die politischen Gestaltungsansprüche massiv zurückgefahren wurden, funktioniert diese „Maschine“ gemessen selbst an ihren eigenen Ansprüchen – Wirtschaftswachstum und Stabilität – derzeit ausgesprochen schlecht.
Denn die Geldschöpfung liegt faktisch in der Hand privater Geschäftsbanken, die Kredite nach Profitkalkül vergeben, wodurch immer mehr Geld in Finanzgeschäfte fließt und immer weniger in die Realwirtschaft; was wiederum die Blasenbildung befördert und die soziale Ungleichheit vertieft, weil Vermögensgewinne zunehmen, Löhne aber stagnieren.
Den Staat durch Schulden finanzieren – das geht
Zugleich leidet das Gemeinwesen angesichts pandemischer Verwerfungen und einer dringend nötigen klimagerechten Transformation (um nur zwei Beispiele zu nennen) unter einer mehrfachen „Zahlungskrise“. Diese aber ließe sich faktisch zumindest abmildern, wenn man das Mandat der Zentralbanken so ändern würde, dass sie Staatsanleihen direkt ankaufen könnten.
Die Empörung in Deutschland über solche Vorschläge „monetärer Staatsfinanzierung“ ist vorprogrammiert – dabei zeigt Sahr an historischen Beispielen, etwa Kanada, dass das (für Zahlungen in der eigenen Währung) gut funktionieren kann. Wer jetzt gleich „Inflation“ schreit, dem hält Sahr überzeugend entgegen, dass die Geldmenge bereits über die letzten Jahrzehnte viel stärker gewachsen ist als die Wirtschaft – ohne nennenswerte Inflation. (Und die jetzige hat offensichtlich andere Ursachen.)
Das Fazit des Autors ist klar: Die „monetäre Maschine“ ist kaputt. Sahr will sie aber keineswegs „demontieren“ – denn dass modernes Geld nicht von der vorherigen Wirtschaftsleistung abhängt, ist sein großer Vorteil, weil es Innovationen ermöglicht. Vielmehr will er sie reparieren, indem die öffentliche Hand (wieder) mehr Möglichkeiten bekommt, die „Maschine“ zu steuern, etwa durch Kreditkontrollen.
Wohlgemerkt: Sahr behauptet keineswegs, dass eine solche „Reparatur“ all unsere Probleme lösen würde und die genaue Gestalt der reparierten Maschine überlässt er bewusst der politischen Debatte. Entscheidend ist aber, dass er mit seiner Analyse den Boden dafür bereitet, dass wir überhaupt wieder ohne Scheuklappen über Geldschöpfung diskutieren können.
Empfehlung für den Finanzminister
Viele der Erkenntnisse und Argumente, die Sahr präsentiert, sind nicht völlig neu – im Gegenteil: Er bezieht sich ausdrücklich auf ein ganzes Kompendium vorangehender Forschung. Von dieser Forschung ist allerdings zu den meisten von uns – und zur geldpolitischen Debatte – noch nichts durchgedrungen. Die Stärke dieses Buches liegt deshalb gerade darin, eine differenzierte Zusammenschau und durchaus kritische Einordnung dieser Erkenntnisse zu bieten und sie auch für Laien verständlich zu machen.
Leider geht dieser Spagat zwischen akademischem Anspruch und breiter Verständlichkeit nicht immer auf: Zwar findet Sahr immer wieder anschauliche Vergleiche und Beispiele, dann aber strotzen manche Seiten vor unnötigen Fachbegriffen und Schachtelsätzen, die den Lesefluss deutlich erschweren.
Und die gebetsmühlenartige Rekapitulation zentraler Argumentationsschritte erhöht zwar den Lerneffekt, macht aber die Lektüre manchmal etwas zäh. Trotzdem lohnt sich die Mühe: Am Ende steht ein vertieftes Verständnis unserer Geldwirtschaft, das uns erst dazu befähigt, die zentralen Probleme unserer Zeit wirksam anzugehen. Man sollte dringend dem deutschen Finanzminister ein Exemplar schicken.