Info: Die Ausstellung "Super Troupers" ist vom 14. Dezember 2017 bis 29. April 2018 im Londoner South Bank Centre zu sehen. Voranmeldung erforderlich.
Strahlende Schweden im dunklen Britannien
Die schwedische Band ABBA wird im Londoner Southbank Centre mit der Ausstellung "Super Trouper" geehrt. Die zeigt nicht nur Exponate der Band, sondern zeichnet auch ein düsteres Bild Englands in den 1970er-Jahren.
Man hätte sie bald übersehen im Trubel der Ausstellungseröffnung im Atrium der Royal Festival Hall: Die Figur im grauen Jackett in der ersten Reihe, ein zartgliedriger Herr mit gepflegtem Vollbart, Lesebrille, geometrisch gefaltetem weißem Stecktuch, kaum erkennbar als die gealterte Version des jugendlich blonden Popstars, dessen auf Riesenformat aufgeblasenes Gesicht auf dem Plakat neben ihm zu sehen ist.
Das einstige erste B im Bandnamen ABBA, Björn Ulvaeus also, steht auf, bewegt sich leisen Schritts zum Podium und spricht gleich selbst aus, was alle sich denken:
"Wenn Sie so oft wie ich Ihrem jüngeren Ich ausgesetzt sind, diesem Typen da ... Ich meine, das passiert mir jeden Tag auf irgendeine Art. Da bekommt man das Gefühl, der Typ von damals ist nicht ganz derselbe wie der, den Sie jeden Tag am Morgen im Badezimmerspiegel sehen. Aber ich bin stolz auf ihn. Ohne ihn wäre ich nicht, wo ich jetzt bin."
Die Pointe ist zweifellos wohl erprobt, sie kommt auch gut an. Aber Björn Ulvaeus weiß zu diesem Zeitpunkt schon mehr als sein Publikum. Er hat am Vortag bereits die Ausstellung angesehen, an der die Schreiner der Royal Festival Hall noch bis um zwei Uhr früh hämmerten und pinselten.
"Ich bin da gestern durchgegangen und habe es sehr genossen. Es ist das Gegenteil all dieser riesigen, technisch avancierten, mit virtueller Realität arbeitenden Ausstellungen, die sonst über Popgruppen gemacht werden. Das hier hat Wärme, es ist sehr intim, es hat Sinn für Humor und man kommt der Realität von Großbritannien in den Siebzigern sehr nahe. Ich hatte keine Ahnung, dass es da so düster war."
Jarvis Cocker führt durch die Ausstellung
In der Art, wie Ulvaeus da "so gloomy" sagte, konnte man bereits den charakteristisch nah ans Mikro bzw. ans Ohr des Hörers kommenden Sprechstil des Jarvis Cocker durchhören. Die Stimme des Sängers der Band Pulp begleitet die Besucher während ihres einstündigen Rundgangs durch die ABBA-Show.
Keine Spur von den üblichen Kopfhörern, stattdessen werden jeweils sechzehn Personen durch ein von einer Schiebetür in Form einer gigantische Schallplatte verdecktes, rundes Mauseloch in einen niedrigen, erst einmal stockdunklen und schwarz ausgemalten Raum vorgelassen.
Ein Lichtkegel gibt schließlich den Blick auf eine Disco-Kugel und einen großen alten Bühnenscheinwerfer preis. Das, erfahren wir via Lautsprecher aus Jarvis Cockers Mund, sei also ein "Super Trouper", so hießen nämlich diese in den Fünfzigerjahren entwickelten Bühnenlichter.
Und dann erklingen die Intros von ausgesuchten ABBA-Hits, die Discokugel glitzert, doch gerade als sowas wie eine allerdings etwas klaustrophobe Atmosphäre entstehen will, wird der Zauber auch schon von unseren zwei Führern unterbrochen - einer Dame im besten Alter und einem jungen Mann, der von uns wissen will, wie alle neun britischen Nummer-Eins-Hits von ABBA hießen.
Erst als auch wirklich alle neun genannt sind, dürfen wir in den zweiten Raum vordringen. Der Nachbau eines typisch britischen Wohnzimmers des Jahres 1974, samt einem Fernseher, der deprimierende Nachrichtensendungen der Epoche zeigt: Stromausfälle, Streiks und sinkende Löhne. Auf sich alleine gestellt, außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums, könne das Land nicht überleben, heißt es in einem der Ausschnitte.
Gerade als die Verheißung einer schwedischen Popband in diese Wohnzimmer eindrang, bereitete sich das Land Großbritannien auf den Eintritt in ein vereintes Europa vor, das es heute wieder verlassen will. Der schlau gewählte Clip liefert genau jenen wesentlichen historischen Kontext und zeitgenössischen Rückbezug, der den Ausstellungen über Bowie und Pink Floyd im Victoria and Albert Museum so sehr gefehlt hat.
Wie in einem Wes-Anderson-Film
Die ABBA-Ausstellung erscheint tatsächlich wie eine einzige Anti-These dazu. Während die Räume im V&A endlos hoch sind, müssen halbwegs groß gewachsene Menschen sich hier gebückt von Raum zu Raum vorarbeiten. Der Verdacht, dass dieses enge Labyrinth in den fensterlosen Freiraum unter den Stiegenaufgängen gepfercht wurde, konkurriert mit dem durchaus reizvollen Eindruck, sich durch das Set eines Wes Anderson-Films zu bewegen.
Und zwar samt dem einen oder anderen, hoffentlich absichtlich darin platzierten Anachronismus wie etwa einem Pop-Magazin aus der fernen Zukunft, das sich unter die fast vollständig aus dem ABBA-Museum in Stockholm und den Sammlungen des britischen ABBA-Fanclubs geliehenen Exponate mischt.
Da pfeift ein Teekessel, und unserer Führer eröffnet einen durch ein Bücherregal versteckten Durchgang in einen schmalen Hotel-Flur. An dessen Ende das Schild zu einer in Miniatur nachgebauten Napoleon-Suite im Grand Hotel in Brighton, wo ABBA einst ihren Durchbruch feierten.
Im Stil einer Traumsequenz geht es weiter in den schwedischen Wald zu einem Folk-Festival in den Sechziger-Jahren, dann in die Polar Studios, wo ABBAs Hits entstanden und in den Backstage-Bereich eines verregneten Konzerts in Australien.
Der Soundtrack zu Scheidungsdramen
Von dort stolpern wir durch eine sehr schäbige britische Disco und deren noch schäbigere Toiletten in einen Miniatur-Nachbau der lichtdurchfluteten Stockholmer Single-Wohnung, die die frisch geschiedene Agnetha Fältskög im Video zum Song "One of Us" bezieht.
So ungefähr könnte sich das Begehen des Merzbaus von Kurt Schwitters angefühlt haben. Das ist zugegebenermaßen nicht die erste Assoziation, die man mit ABBA verbinden würde, aber dann doch eigenartig passend zur Melancholie der Spätphase der Band.
Dies ist das Ende des ABBA-Traums, das letzte Album "The Visitors", auf dem die Band ihrem erwachsenen, inzwischen in seine Dreißiger kommenden Publikum den Soundtrack ihrer Scheidungsdramen lieferte.
Die Ausstellung endet in einer Flugzeugkabine, vielleicht weil ABBA auch die Entdeckung der Ferienziele Europas durch die erste Generation britischer Charter-Flug-Urlauber repräsentieren, so genau wird das nicht erklärt.
Man entsteigt dieser Erfahrung am Ende doch auch mit Freude über etwas Tageslicht und Luft über dem Kopf. Und mit demselben Gefühl wie Björn Ulvaeus: Diese britischen Siebziger-Jahre müssen tatsächlich verdammt düster gewesen sein.