Abbas Khider über seinen neuen Roman

„Die meisten Menschen haben Erinnerung, manche haben Wunden"

14:24 Minuten
Abbas Khider hat dunkle Haare, die er zu einem Dutt zusammengebunden hat und trägt Bart. Im Hintergrund ist das Foto einer Stadtlandschaft zu sehen mit vielen Hochhäusern
Abbas Khider wurde im Irak geboren, wie sein Held. Die Frage nach dem autobiografischen Charakter irritiert ihn. © imago images / Manfred Segerer
Moderation: Joachim Scholl |
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Abbas Khider war lange auf der Flucht und kam schließlich in Deutschland an. Sein neuer Roman "Der Erinnerungsfälscher" handelt vom Umgang mit den Erinnerungen, vor allem wenn sie schmerzhaft sein könnten.
Mit "Der Erinnerungsfälscher" erscheint der vierte Roman auf Deutsch von Abbas Khider. Er ist ein Schriftsteller, der wie kein Zweiter in seinen Büchern plastisch und erlebbar gemacht hat, was es heißt, ein Flüchtling zu sein; in einer Diktatur zu leben, als Verfolgter und Gefolterter; und wie es ist, woanders anzukommen, eine neue Heimat zu finden, eine neue Sprache.
In seinen Büchern verwandelt er biografische wie politische Realitäten in Literatur, auch in dem neuen Roman, wobei er hier ein Verwirrspiel treibt mit der Frage, was ist Realität und was Fiktion – genau genommen hebt er es auf eine neue Ebene mit der Frage, was ist reale Erinnerung und was ist erfundene Erinnerung.

Orte im Gedächtnis wie Minenfelder

"Es ist Folgendes", sagt Abbas Khidder, der selbst aus dem Irak geflohen ist: „Die meisten Menschen haben Erinnerungen, manche haben Wunden.“ Und Letztere hätten manchmal ein riesiges Problem mit ihren Erinnerungen.

„Es gibt manchmal Orte im Gedächtnis, die sind wie Minenfelder. Sie können einen in Stücke reißen. Das Leben wird erträglich, wenn man solche Orte vermeidet. Und man hat Angst vor Erinnerungen.“

Abbas Khider.

Khiders Held in "Der Erinnerungsfälscher", Said al-Wahid, ist ein junger Mann aus dem Irak, der in Deutschland versucht, Schriftsteller zu werden, aber eben dieses Problem hat: Wenn er sich erinnert, findet er dafür keine Sprache.

Schutzmechanismus gegen das Grauen

„Er ist ein vergesslicher Mensch, er will sich auch nicht so gern erinnern", beschreibt Abbas Khider seine Figur Said al-Wahid. "Aber er vergisst auch vieles, und er glaubt, er leidet unter einer Gedächtnisstörung, die sich Erinnerungsverfälschung nennt, das heißt, er erinnert sich nur an bestimmte Teile, aber nicht an alles."
Das bringt ihn allerdings angesichts seines Berufswunsches in die Bredouille. "Weil er Schriftsteller werden möchte, muss er sich erinnern, wenn er über die Vergangenheit schreibt, aber er hat natürlich auch Angst vor diesen Minenfeldern.“
Als Schriftsteller sei der Held seines Romans immerhin in einer luxuriösen Lage, so der 48-Jährige. „Er fängt an, Erinnerungen zu erfinden. Er nennt das ‚das erfundene Erinnern‘ oder ‚das fiktive Erinnern‘.“
Dann erfährt er, dass seine Mutter im Sterben liegt. Er soll in den Irak kommen, aus dem er einst geflohen ist, und er macht sich auf den Weg gen Bagdad – zunächst nach Paris. Immer mehr Erinnerungen kommen zurück – und zugleich die Unsicherheit: Sind es reale Erinnerungen oder fiktive?

Seltsame Fragen nach dem Autobiografischen

Abbas Khider macht sich ein wenig lustig über die Literaturkritik, weil immer wieder die Frage gestellt werde, wie autobiografisch seine Werke seien. "Ich gehe mit meiner Geschichte, meinen Erinnerungen, mit meiner Biografie locker um", sagt er dazu. Wenn etwas aus seinem Leben in den Roman passe, verwende er das. "Aber es ist natürlich ein literarisches Werk."
Allerdings habe er tatsächlich über dieses Thema schreiben wollen: "Was bedeutet Erinnern, was bedeutet Erfinden, und wie gehen Autoren damit um – und Menschen, die harte Wirklichkeiten erlebt haben, wie bearbeiten die das."

Authentizität der Geschichte

Und dann stellt er, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt und längst die deutsche Staatsbürgerschaft hat, ein Gedankenexperiment an, angesichts der regelmäßigen Fragen nach dem autobiografischen Charakter:
Wenn ein Düsseldorfer Autor einen Roman schreibe, der in Düsseldorf spielt und von Liebe handelt, dann sei klar: "Es ist ein literarisches Werk – und das war's." Wenn aber ein Schriftsteller aus Kairo komme und eine Geschichte schreibe, die in Kairo spielt, auch über Liebe, beispielsweise in der Revolution, was dann?
Khiders Antwort: "Das ist ein literarisches Werk, und das ist ein literarisches Werk." Literaturfiguren müssten in jedem Fall selbstständige Persönlichkeiten werden, dann würden sie authentisch. "Das Wichtigste für einen Autor ist die Glaubwürdigkeit einer Geschichte"

Biografische versus literarische Figuren

Abbas Khider scheint das gut zu gelingen, jedenfalls, wenn man nach einer Anekdote geht, die er erzählt: Ein Mann habe in einem sehr liebenswerten, sehr schönen Brief angeboten, sein Ersatzvater zu werden. "Der Mann hat in einem Buch von mir gelesen, dass die Hauptfigur als Kind den Vater im Krieg verliert. Was dachte der Mann? Er dachte, ich habe meinen Vater schon als Kind verloren. Nein, mein Vater ist 90 Jahre alt geworden."
(mfu)
Abbas Khider: "Der Erinnerungsfälscher"
Hanser, München 2022 (erscheint am 24.Januar)
128 Seiten, 19,60 Euro

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