Abbruch und Aufbau

Von Claudia van Laak |
Gebrauchte Plattenbauteile aus DDR-Produktion sind besser als ihr Ruf. Bautechnisch sind sie von hoher Qualität und haben noch eine Lebensdauer von gut 80 Jahren vor sich. Deshalb spricht vieles dafür, die Platte wieder zu verwenden. Sie eignet sich hervorragend für den Bau von Einfamilienhäusern. So wird in Schildow bei Berlin derzeit aus gebrauchten Plattenbauteilen der Rohbau eines "Zwei-Generationenhauses" mit Satteldach errichtet.
Berlin-Marzahn, Karl-Holtz-Straße. Ein typisches DDR-Plattenbaugebiet. Ein großer Teil der Häuser aus den 80er Jahren ist bereits saniert – rote und blaue Balkons, pastellfarbige Wände, neu gestaltete Eingänge. Andere Plattenbauten haben noch DDR-Charme, stehen zum Teil leer. Wieder andere werden im Moment dem Erdboden gleich gemacht.

Andreas Spanntig steht am Bauzaun und blickt dem Abrissbagger bei der Arbeit zu. Er hat Zeit, niemand drängt ihn. Der 50jährige ist seit drei Jahren arbeitslos.

Spanntig: "Es ist schade drum, dass hier alles abgerissen wird, was man aufgebaut hat, aber es soll ja so sein. "

Spantig hat zu DDR-Zeiten als Kranfahrer im Betonwerk gearbeitet, dort, wo die drei mal sechs Meter großen Platten produziert wurden. Er muss mit ansehen, wie das, was er mit aufgebaut hat, jetzt abgerissen wird.

Spantig: "Wenn ja alles weg ist und meine eigene Arbeit weg ist, da bin ich traurig drüber, dass meine Arbeit vernichtet wird, aber ansonsten kann ich sagen, wenn ich vom Balkon gucke, dann haben wir freies Feld. "

Der Arbeitlose ist einer von denen, die der alten Zeit nachtrauern. Mit dem neuen System kann er sich nicht anfreunden, mit dem Abriss der Plattenbauten sowieso nicht. Na ja, sagt der frühere Kranfahrer, es hätte auch schlimmer kommen können.

Spantig: "Ich kann sagen, es ist gut, dass es friedlich abgerissen wird, nicht dass erst Bomben kommen. "

Friedlich sieht der Abriss eigentlich nicht aus. Zunächst werden die Platten per Hand aus ihren Verankerungen gelöst, ein Kran befördert sie dann auf einen großen Haufen. Dort steht bereits ein Greifer, dessen Arm an das Maul eines Dinosauriers erinnert. Immer wieder stößt der Greifarm in die Betonplatten hinein und zermalmt sie. Ein Bauarbeiter richtet einen Wasserstrahl auf den Schutthaufen – Staub und Dreck wären sonst nicht auszuhalten.


Bauleiter Andreas Nowak wirft einen prüfenden Blick auf den Schutthaufen. Der Beton wird hier auf der Baustelle so weit zerkleinert bis er transportfähig ist, erklärt er.

Nowak: "Wird dann zu einer Recyclinganlage gefahren und dann wird noch einmal weiter zerkleinert, so das er letztendlich als Baustoff für Straßenbau und Wegebau zur Verfügung steht. "

Neben dem großen Schutthaufen stehen Toilettenbecken und Badewannen. "Brauchen Sie eine?" fragt Kranführer Dieter Müller. "Wird sowieso alles weggeschmissen."

Müller: "Traurig, man hat sich dran gewöhnt, ist traurig, schade drum. "

Der Abriss der Plattenbauten ist für Kranführer Müller mittlerweile Routinearbeit. Dass funktionsfähige Fenster, Duschen, Badewannen und Waschbecken vielfach auf dem Müll landen, dass will er allerdings nicht einsehen.

Müller: "Zuviel wird weggeschmissen. Zu DDR-Zeiten musste man 25 Jahre auf ein Toilettenbecken warten, wenn mal eins kaputt war, hab ich selber erlebt. 25 Jahre Toilettenbecken, 20 Jahre Waschbecken, 30 Jahre Badewanne, vorher gab's keine neue. "

Spricht's, zuckt mit den Schultern und klettert die 20 Meter hohe Leiter zum Führerhaus seines Krans hoch. Die Zerstörung geht weiter: Platte herausheben, ablegen, zermalmen, ab in den Schredder der Recyclinganlage. Betonplatten von rund 112.000 DDR-Wohnungen sind so in den letzten drei Jahren zu Schotter für den Straßenbau vermalen worden. Eine gigantische Verschwendung, sagt Bauingenieur Claus Asam, steckt doch in jeder Platte die Energie von umgerechnet 400 Litern Öl.

Asam: "Es stecken eben auch ökologische Qualitäten dahinter, nämlich diese hohe Erstellungsenergie, die man ja wieder verwenden muss, um ein neues Element zu machen. Und diese Erstellungsenergie ist so horrend, dass wir theoretisch das Bauteil auch nach Bosnien oder Russland transportieren könnten. "

Der Wissenschaftler am Institut für Erhaltung und Modernisierung von Bauwerken an der TU Berlin hat sich in den letzten Jahren mit der Wiederverwendung von Betonplatten beschäftigt. Das Fazit seines umfangreichen, vom Bundesbauministerium geförderten Forschungsprojekts: Betonteile aus DDR-Plattenbauten können ohne Probleme für neue Eigenheime verwendet werden – der Rohbau wird damit sogar billiger, bis zu 30 Prozent. Die Betonplatten sind für die Ewigkeit gegossen worden, sagt Bauingenieur Asam.

Asam: "Der Beton, der in der DDR produziert wurde, war eigentlich gut, das bestätigen auch die Abrissunternehmer. Die Ausführungsqualität ist nicht immer so, wie man sich das nach heutigem Standard vorstellt, das erleichtert oft die Demontage, aber die Bauteilqualität ist sehr gut. "

In einer Versuchshalle der TU Berlin haben die Wissenschaftler die Qualität der DDR-Betonplatten getestet. Architekten haben moderne Eigenheime entworfen, gebaut aus zugeschnittenen Platten. Dann musste noch ein typisch deutsches Problem gelöst werden. Einfach ausbauen und wieder einbauen, das geht nicht. Die Betonteile aus den DDR-Plattenbauten gelten nämlich rechtlich als Abfall. Und mit Abfall darf nicht gebaut werden. Die Betonplatten brauchen also eine neue Zulassung als Baustoff.

Asam: "Momentan ist es so, das wir mit dem Prüfstatiker, der bei jedem Bauvorhaben dabei ist und die Qualität abnehmen muss, in Verbindung treten und der sagt uns genau, was er will von uns. Wir gucken genau, welche Betonqualität hat die Platte, wir erarbeiten ein Prüfszenario. "

Die Theorie ist fertig, jetzt wird ausprobiert, ob sie auch der Realität standhält. Sind Abbau und Wiederaufbau so einfach möglich? Wird der Neubau aus Platten wirklich billiger als ein gemauertes Haus? Zunächst musste Claus Asam ein – wie er es nennt – Spendergebäude finden. Der Begriff habe sich so eingebürgert.

Asam: "Weil es praktisch so ähnlich läuft. Keiner weiß, wann das nächste kommt und es gibt noch keine Listen wie bei den Organen, aber wenn jetzt mehr Bauherren kommen würden, dann würden die Elemente knapp werden. "

Die Berliner Wohnungsbaugesellschaft WBG Marzahn ließ sich überreden, das Abrissunternehmen auch. Doch Bauleiter Andreas Nowak ist skeptisch. Er würde sich nie im Leben ein Eigenheim aus DDR-Betonplatten bauen, und die Wissenschaftler und Architekten, die jetzt auf seiner Abrissbaustelle herumwuseln, die stören ihn manchmal auch.

Nowak: "Der Bauablauf, der Rückbau, der darf von dieser Sache nicht gestört werden. Wenn nun plötzlich ein LKW mitten im Wege steht und wir wollen Schutt abfahren, dann ist das schlecht. Es gibt Bauablaufpläne, die eingehalten werden müssen, und da hat man nicht unbedingt die Zeit, jetzt gerade eine Platte zu holen, die gerade für den Neubau gebraucht wird. "

Architekt Hervé Biele hat einen genauen Plan gemacht, welche Betonteile er aus dem Abrisshaus für den Neubau braucht. Die Platten werden beschriftet und vorsichtig mit dem Kran auf einen Lagerplatz befördert.

Dort befreien Bauhelfer die Platten vom Estrich und von den Tapeten. Danach schneiden andere Bauarbeiter die Fertigteile zu – keine einzige Betonplatte wird in ihrer Originalgröße verwendet.

Nowak: "Da gibt's Schneidpläne. Für jedes Element einen eigenen Schneideplan, das wird dann vorher auf dem Platz positioniert, dann wird angezeigt und dann kommt die Schneidemaschine und schneidet genau an dem Strich entlang. "

Keine angenehme Arbeit. Die Bauarbeiter tragen Ohrenschützer, Helme und Schutzmasken. Der Lärm der Diamant-Schneidemaschinen ist ohrenbetäubend.

Bauleiter Nowak, Architekt Biele und Bauingenieur Asam debattieren über die nächsten Schritte. Ein Tieflader steht auf der Karl-Holtz-Straße. Er will auf das Gelände fahren, um gereinigte und zugeschnittene Betonplatten aufzuladen und zur neuen Baustelle nach Schildow zu bringen. Der Tieflader stört den Abriss, es gibt Unstimmigkeiten, alles verzögert sich.

Während auf der Abrissbaustelle in Berlin Betriebsamkeit herrscht, langweilen sich die Bauarbeiter in der Franz-Schmidt-Straße im brandenburgischen Schildow, etwa 15 Kilometer nordwestlich von Marzahn. Auf der Baustelle geht es nicht voran. Der knallrote Turmdrehkran steht still, die acht Arbeiter drehen Däumchen. Sie warten auf den Tieflader, der neue Betonplatten aus Marzahn bringen soll. Kaffeetrinken, noch eine Zigarette rauchen, erst am Nachmittag ist es soweit.

Die Nachbarn in der Franz-Schmidt-Straße sind neugierig. So eine merkwürdige Baustelle haben sie noch nie gesehen. Wird hier auf- oder abgebaut, fragt ein Rentner, der sein Enkelkind im Kinderwagen vor sich herschiebt.

Nachbarn: "Ach, das ist von den alten Platten, ach so, deswegen staune ich. Da kommt ein neues Haus hin, aber dann muss das doch auch zugeschnitten worden sein, alles. So kann man denken, das wird abtransportiert.
Ich habe mich aus schon informiert und finde das schon interessant. Mal sehen, wie's aussieht, wenn es fertig ist. Mein Mann ist skeptisch. Wollen mal sehen, wie es sich entwickelt. "

Der Tieflader fährt auf die Baustelle, die Platten werden abgeladen, Schluss für heute. Architekt Hervé Biele prüft noch das Fundament des Hauses und klärt den Ablauf für die nächsten Tage.

Biele: "Also der Plan ist, in den nächsten zehn Arbeitstagen das Haus inklusive Schuppen, Außenwänden, Garage und Steg zu errichten, dann kommt das kleine Haus in weiteren fünf Tagen, so dass wir in drei Wochen das Gebäude fertig haben. "

Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Drei Wochen später steht nur eines von zwei geplanten Häusern. Wissenschaftler und Architekten mussten einsehen, dass ihre schöne Theorie der Realität nicht standgehalten hat. Zwei Baustellen gleichzeitig müssen koordiniert, die gesäuberten Platten in der richtigen Reihenfolge und zum richtigen Zeitpunkt angeliefert werden. Alles eine Frage der Logistik, sagt Detlev Lange, dessen Familie die beiden Einfamilienhäuser in Schildow baut.

Lange: "Wir haben ungefähr eine Woche länger gebraucht als wir vermutet hatten. Wir haben nicht genug Platz auf dem Grundstück, um alles zu lagern, was man braucht. Da gibt es noch Reibungsverluste, das muss man optimieren. "

Eine längere Bauzeit bedeutet höhere Kosten. Doch es werden sich nur Bauherren von der Wiederverwendung der DDR-Betonplatten überzeugen lassen, wenn der Rohbau damit billiger wird. Allein aus nostalgischen oder ökologischen Gründen wird kaum jemand zur alten Platte greifen. Außer Detlev Lange vielleicht, der gerne das Versuchskaninchen gibt. Haus, Garage, Schuppen, Außenmauern – alles aus DDR-Platten.

Lange: "Wir nutzen alles. Wir machen auch die Garage daraus. Hinten ist ein kleines Gerätehaus, das wird auch aus diesen Platten gemacht. Wo immer das verwendbar ist, wollen wir es verwenden. Das ist der Demonstrationscharakter daran. "

Der Rohbau des ersten Hauses ist fertig, Bauarbeiter bessern gerade die Betonplatten aus und bereiten die Schalungen für die Fensterstürze vor. Für Maurermeister Klaus Dieter Sturm eine ungewöhnliche Baustelle. Fertige Platten statt Stein auf Stein.

Maurer: "Ist mal was Neues. Ja, für uns sind auch ein paar Sachen neu. Plan und Statik sind ja gegeben, kann auch nichts schief gehen. "

Das Wohnzimmer geht über zwei Etagen, ein Steg soll das Vorder- mit dem Hinterhaus verbinden. Aus dem Ostberliner Plattenbau von der Stange werden zwei individuelle Architektenhäuser in Brandenburg. Bauherren und Architekten rechnen mit Kosten von etwa 240.000 Euro für das komplette Objekt, der Quadratmeterpreis wird bei 800 – 1000 Euro liegen.

Lange: "Das kommt sehr darauf an, womit sie das vergleichen. Wenn sie das mit einem Leichtbauhaus vergleichen, ist die Differenz natürlich nicht sehr groß. Aber wir vergleichen uns hier mit Betonbauten, das ist eine etwas andere Qualität. "

Die massiven Betonplatten eignen sich hervorragend zur Speicherung von Wärme. Mit einer Styropordämmung, einer Photovoltaikanlage auf dem Dach, dreifach verglasten Scheiben und einer Erdwärmepumpe wird so aus dem Plattenbau ein Passiv-Haus.

Lange: "Das ist am Anfang etwas aufwendiger zu bauen, das kostet etwas mehr, wir nehmen das aus der Ersparnis des Rohbaus, stecken das Geld da rein zu sehr günstigen Konditionen finanziert. Wir senken dadurch die Betriebskosten, also eine zweite Miete wird es hier nicht geben bei dem Haus. "

Der Unternehmensberater Detlev Lange hat im Laufe der Planungen und Bauarbeiten einen Narren gefressen an der neuen Art zu bauen. Begeistert führt er durch den zweistöckigen Rohbau. Einen hölzernen Dachstuhl sucht man vergeblich. Selbst das Dach besteht aus schräg gestellten Betonteilen, die später begrünt bzw. mit einer Photovoltaikanlage bestückt werden. An einer Platte klebt noch ein Stück gelb gestrichene Raufasertapete. Eine Erinnerung an die frühere Plattenbauwohnung in Marzahn. Das kommt natürlich noch ab, sagt Lange.

Lange: "Wir machen Fotos davon, keine Frage, aber mehr nicht. Ja, wenn's ein berühmter Bau wäre, wo irgendwelche berühmten Leute gewohnt hätten, dann hätte ich vielleicht einen Scherz gemacht, aber so ist es ja nicht. "

In wenigen Wochen werden Außen- und Innenwände verputzt und gestrichen sein. Dann erinnert nichts mehr an die DDR-Platte. Fast nichts.

Lange: "Ich könnte mir wie im Reichstag vorstellen, dass wir eine kleine Stelle mal freilassen und sagen. Guckt mal darunter ist eine originale Platte aus Marzahn. Aber mein Gott, wenn interessiert es, soviel Nostalgie hängen wir doch nicht rein. "

Obwohl das Baumaterial praktisch nichts kostet – der Abriss wird subventioniert – halten sich die Einsparungen in Grenzen, so die ersten Erfahrungen. Der bisherige Bauablauf hat gezeigt, dass der logistische Aufwand immens ist. Doch Detlef Lange hat schon neue Pläne, wie sich die ursprüngliche Idee rationaler umsetzen lässt.

Lange: "Wir nehmen einen ganzen Block, einen Elf-Geschosser, zerlegen den, nehmen die Teile da raus, die wir brauchen, bauen daraus zehn bis 15 Häuser zusammenhängend, und der Rest des Gebäudes wird normal entsorgt, das wäre einfacher, da hätte man echte Kostenvorteile. "

Vor kurzem hat sich eine russische Delegation die Baustelle in Schildow genauer angesehen. In St. Petersburg hat man großes Interesse an alten DDR-Platten, herrscht doch dort große Wohnungsnot. Mit vorgefertigten Platten könnte schneller und kostengünstiger gebaut werden. Bleibt die Frage des Transports: auf Tiefladern Richtung Norden bis zu einem großen Ostseehafen, dann weiter per Schiff nach St. Petersburg. Die alte Marzahner Platte könnte also nicht nur in einem märkischen Eigenheim, sondern auch in einem St. Petersburger Wohnhaus ihre Wiederauferstehung feiern.