"Abchasien und Südossetien sind anerkannt als Teile Georgiens"

Nino Kalandadze im Gespräch mit Christopher Ricke |
Nino Kalandadze, stellvertretende Außenministerin Georgiens, erwartet von den heutigen Gesprächen in Genf keine Lösung im Konflikt um die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien. Kalandadze warf Russland vor, "gegen alle Regeln" zu verstoßen.
Christopher Ricke: Die Lage in Georgien ist schwierig, sie ist kritisch. Die Europäische Union unterstützt die Georgier und kritisiert die Russen, weil eine Verlängerung des Mandats der Beobachter der OSZE in den abtrünnigen georgischen Gebieten Abchasien und Südossetien blockiert wird. Abchasien, Südossetien, Russland – das ist das eine Spannungsfeld; darüber wird heute wieder in Genf diskutiert. Unter Aufsicht der Vereinten Nationen sitzen dann Vertreter Georgiens und Russlands zusammen. Gleichzeitig gibt es aber auch die Proteste der Opposition in Georgien. Ein treuer Verbündeter sind die USA. US-Vizepräsident Joe Biden hat das gerade erst wieder bestätigt. Ich spreche jetzt mit Nino Kalandadze, sie ist die stellvertretende Außenministerin Georgiens. Guten Morgen, Frau Kalandadze.

Nino Kalandadze: Guten Morgen.

Ricke: Wie wichtig ist denn die Unterstützung zum Beispiel der USA in diesen schwierigen Zeiten?

Kalandadze: Die Unterstützung der USA unterscheidet sich nicht von der Unterstützung der Europäischen Union. Wir brauchen jede Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, die wir bekommen können, und zum Glück haben wir in den vergangenen Monaten und insbesondere während der August-Krise enorme Unterstützung bekommen, die auch wirklich rasch kam – sowohl politisch als auch finanziell als auch humanitär. Wir können in jeder Hinsicht in nächster Zukunft, was den Aufbau betrifft, aber auch wie wir weiter politisch mit den Konflikten vorankommen können, nur auf internationale Hilfe zählen.

Ricke: Aber sind die Europäer da wirklich auf Augenhöhe mit den USA? Ich habe eher den Eindruck, dass die EU doch ein bisschen zögerlich ist, dass man zwar immer sagt, die territoriale Integrität Georgiens darf nicht berührt werden; auf der anderen Seite versucht man aber auch, den Konflikt mit Russland herunterzusetzen. Man ist von den Energielieferungen wesentlich abhängiger als die USA. Die Europäer sagen auf der einen Seite ja zu Georgien und sind dann doch wieder sehr freundlich zu Russland.

Kalandadze: Das ist leider der Konflikt, dem wir in die Augen schauen müssen. Sie haben Recht, da sind die Amerikaner doch ein bisschen strikter in ihrer Vorgehensweise. Allerdings müssen wir auch damit leben, dass die Europäische Union nicht ein Land ist, sondern ein Bündnis ist. Da werden eben die Entscheidungen auch nicht so schnell getroffen, da werden mehrere Interessen berücksichtigt und wir müssen das hinnehmen. Wir haben kein Problem mit dem Verhältnis EU/Russland. Was wir von unserer Seite erwarten und verlangen ist, dass die Europäische Union den Konflikt in Georgien und die Prozesse auch wirklich so sieht, wie sie sind. Wir werden unsere Unterstützung nicht davon abhängig machen, wie die Europäische Union zu Russland steht. Wir wollen auch Russland nicht aus dem Spiel isoliert haben, denn ohne Russland wird es keine Lösung geben. Das sehen wir ein. Allerdings wenn es so weit kommt, internationales Recht zu akzeptieren, oder wenn es so weit kommt, Russland hat jetzt ein Drittel von Georgien okkupiert und Russland verstößt gegen alle Regeln, gegen alle internationale Normen, aber auch unter anderem gegen das, was mit der Europäischen Union vereinbart wurde, und da wollen wir schauen, dass Europa sehr hartnäckig bleibt, dass Russland sich an die Spielregeln hält.

Degenhardt: Russland sieht das naturgemäß völlig anders, sagt nicht, dass es ein Drittel Georgiens okkupiert hat, sondern erkennt Abchasien, erkennt Südossetien als eigenständige Staaten an. Jetzt verhandeln die Georgier mit den Russen unter der Aufsicht der Vereinten Nationen und unter genauer Beobachtung der ganzen Welt. Nur wenn die georgische Position so ist, wie Sie es gerade beschrieben haben, und die russische so, wie ich es gerade beschrieben habe, da ist doch überhaupt keine Schnittmenge. Was bringen diese Gespräche?

Kalandadze: Die Gespräche bringen zurzeit leider nicht viel. Da haben Sie Recht. Allerdings sind nicht nur die Ansichten Russlands und Georgiens unterschiedlich, sondern dass die abtrünnigen Regionen Georgien sind, da sind sich alle einig: bis auf Russland. Das ist der Unterschied. Es ist nicht eine Ansichtssache, sondern es wird völkerrechtlich geregelt und Abchasien und Südossetien sind anerkannt als Teile Georgiens. Da hat Russland kein Recht gehabt, die Regionen anzuerkennen, und auch da werden wir internationale Hilfe brauchen, um darauf immer wieder zu bestehen, dass dem tatsächlich so ist.

Wenn Sie jetzt die Genfer Gespräche meinen, die heute wieder anlaufen müssen. Die Genfer Gespräche sind im Prinzip das einige gemeinsame Instrument, was einigermaßen noch zu Stande kam, aber die Wirksamkeit und die Lebensfähigkeit steht mit jedem Tag unter Frage, denn auch jetzt wieder wissen wir zum Beispiel von den Abchasen, dass sie nicht daran teilnehmen werden (unter dem Vorwand, dass der Beschluss des Generalsekretärs noch nicht herausgekommen ist und sie nicht wissen, wie sie darin vorkommen werden). Das heißt, es gibt immer wieder Vorwände, entweder von den Osseten oder von den Abchasen oder von den Russen; mal sind es solche Vorwände, man sind es aber auch fehlende Sicherheitsvorkehrungen, wobei unklar ist, von woher diese Sicherheitsgarantien kommen sollen und was darunter gemeint ist. Deswegen sind wir sehr skeptisch, was die Genfer Gespräche betrifft.

Degenhardt: Frau Kalandadze, Sie haben die Probleme, Sie haben die politische Diskussion auch im eigenen Land. Seit vielen Wochen beobachten wir regelmäßige massive Demonstrationen der Opposition. Die Opposition wirft der Regierung, der Sie ja angehören, vor, den Konflikt mit Russland mutwillig angezettelt zu haben, das Land ins Unglück gestürzt zu haben. Sind die innenpolitischen Probleme vielleicht fast so groß wie die außenpolitischen?

Kalandadze: Nein, sind sie nicht. Die innenpolitische Lage ist zurzeit angespannt, was für uns unangenehm ist, gerade wenn die Außenspannungen tatsächlich so groß sind. Allerdings: Demokratie ist ein Prozess und wir sind eine wachsende Demokratie und wir sehen es auch so. Es ist Geschmacksache, wie die Opposition tatsächlich vorgeht. Allerdings – und da haben Sie Recht -, ihre Meinung so auszudrücken, wie sie es tun, manchmal gibt es unangenehme Vorfälle wie zum Beispiel die Vorgehensweise gegenüber den Journalisten, gibt es Beleidigungen, aber wie gesagt, das ist ein Demokratieprozess. Die wird wachsen und ja!

Degenhardt: Nino Kalandadze, sie ist die stellvertretende Außenministerin Georgiens. Vielen Dank, Frau Kalandadze.

Kalandadze: Ich danke Ihnen.