Abdel-Samad: Viele Muslime haben schon gelernt, lockerer zu reagieren
Der Politologe Hamed Abdel-Samad hat der rechten Splitterpartei Pro Deutschland "Volksverhetzung" vorgeworfen, weil sie angekündigt hat, den umstrittenen anti-islamischen Film "Die Unschuld der Muslime" in Deutschland zu zeigen. Das sei angesichts der möglichen Folgen verantwortungslos und habe mit Meinungsfreiheit nichts zu tun.
Katrin Heise: In der arabischen Welt zeigt sich momentan wieder genau das fanatische, hassverzerrte Gesicht des Islam, von dem Fanatiker im Westen sagen, es sei typisch.
Ein Gesicht, welches sie mit dem Video rauskitzeln wollten, und die Provokation hat absolut gezündet. Es brennt, es gab Tote und Verletzte, Demonstrationen in 20 muslimisch geprägten Ländern in Nahost, Afrika und Südostasien. Am Telefon jetzt der Politologe, Autor und auch Islamkritiker Hamed Abdel-Samad, unter anderem bekannt durch seine Deutschlandreise zusammen mit Hendrik M. Broder. Wir erreichen Herrn Abdel-Samad während Dreharbeiten. Ich grüße Sie, schönen guten Morgen!
Hamed Abdel-Samad: Schönen guten Morgen, hallo!
Heise: Das Video existiert ja schon seit Monaten im Internet. Sie kennen es auch schon lange. Ahnten Sie, als Sie es sich angeguckt haben, seine Sprengkraft?
Abdel-Samad: Nein. Ich fand den Film sehr naiv und auch schlecht gemacht und auch – man kann so was nicht ernst nehmen, aber wenn so ein Film aus Amerika kommt, dann gibt es unter Muslimen einige, die darauf auch solche heftigen Reaktionen zeigen. Wenn der Film aus Asien kommt oder Afrika, dann würde er so eine Reaktion nicht auslösen, aber aus Amerika, das trifft den wunden Punkt bei vielen Muslimen.
Heise: Ich habe gesagt, in 20 Ländern gibt es inzwischen Demonstrationen, mehr oder weniger gewalttätig. Wie ernst nehmen Sie die Situation jetzt, momentan?
Abdel-Samad: Es sind Wellen des Protests, der Empörung und auch der Gewalt, die immer kommen und gehen. Wir hatten das schon alles, die Mohammed-Karikaturen, da waren alles – amerikanischer Pastor Terry, versucht hat, den Koran zu verbrennen. Es gibt immer solche Wellen, die kommen und gehen, und man muss natürlich betonen, dass sind nicht die Massen von Muslimen.
Heise: Das wollte ich wissen – wer zieht jetzt eigentlich so brüllend vor Zorn durch die Straßen und vor westliche Botschaften, wer ist das?
Abdel-Samad: Es ist ein Gemisch zwischen streng religiösen Salafisten, nicht alle Salafisten mal, sondern einige von denen, und arbeitsloser Jugend. Die beiden sind eigentlich vor allem in der arabischen Welt Verlierer der Revolution. Denn in Ägypten haben die Muslimbrüder gewonnen, haben die Salafisten beiseite geschoben. In Lybien haben die Islamisten gar die Wahlen verloren, und die versuchen jetzt durch diese Aktionen wieder Boden zu gewinnen. Denn die streng religiösen Islamisten können nur mit Wut und Empörung und Ablehnung Boden gut machen, nicht mit konstruktiver Politik. Und …
Heise: Sie waren – ja, Entschuldigung …
Abdel-Samad: Ja, und diese Mischung von beidem fühlt sich immer betroffen von solchen Aktionen, und, wie gesagt, diese Wellen kommen und gehen. Ich hoffe, dass diese Welle auch sich nicht – nicht in einen Tsunami mündet, weil das Potenzial für ein Pulverfass ist natürlich da.
Heise: Die USA rechnet ja zum Beispiel auch mit einer Dauerkrise, sagen sie ja jetzt schon. Sie waren ja selber monatelang in Ägypten während der Rebellion. Sie haben die Revolution jetzt gerade auch angesprochen. Sie waren begeistert von dem sich ändernden Klima. Ich denke, Sie haben wahrscheinlich auch zurzeit noch Kontakt. Wie nehmen denn die damaligen Demonstranten, die, die für Meinungsfreiheit gekämpft haben, wie nehmen die das wahr, was jetzt gerade wieder passiert?
Abdel-Samad: Die Mehrheit der Ägypter sind gegen diese gewalttätigen Demonstrationen. Die Mehrheit der Ägypter fühlt sich beleidigt vom Film, das kann man nachvollziehen, aber die sind nicht zufrieden mit der Reaktion der Menschen. Und viele vernünftige Menschen sagen, dass wir Muslime eigentlich den Prophet beleidigen durch unsere Aktionen, mehr als so ein lächerlicher Film.
91 Prozent der Ägypter haben in einer Umfrage neulich dafür gestimmt, dass Demonstranten auch mit Gewalt daran gehindert werden, auf die Straße zu gehen, um vor den Botschaften zu stehen. Das heißt, es ist nicht so, dass die Mehrheit der Bevölkerung jetzt dafür ist, dass man Gewalt anwendet und Botschaften anzündet. Aber es gibt diese Minderheit, die sehr aktiv ist, und das Wutpotenzial ist enorm und wurde natürlich auch gezüchtet über jahrzehntelange Diktatur. Auch Mubarak, Freund des Westens, hat in den Schulbüchern und in den Medien Hass gegen den Westen geschürt und den Westen immer als Sündenbock gezeigt. Und das zeigt jetzt auch Wirkung.
Heise: Der Politologe Hamed Abdel-Samad zu den Reaktionen auf das Schmähvideo. Herr Abdel-Samad, wo sind, wenn Sie sagen, 91 Prozent lehnen diese Art von Demonstrationen ab – wo sind aber die mäßigenden, einordnenden Stimmen? Die sind hier im Westen zumindest wenig zu hören.
Abdel-Samad: Ja, also die Betroffenheit ist groß unter Muslimen natürlich, und man fühlt sich erst einmal mehr solidarisch mit den Leuten, die Wut haben, alles mit der Idee der Meinungsfreiheit. Und es ist richtig, dass viele Muslime sich dazu äußern müssen und auch ihre Position klar machen müssen. Ich gehöre auch dazu und versuche das, auf meine Art zu tun. Ich glaube, es sind mehr jetzt in Ägypten und in Libyen und in Tunesien, die sich kritisch zu solchen Reaktionen äußern. Alles Muslime, im Ausland, in der Diaspora sozusagen, da ist man emotional mehr verbunden mit der Religion, da sind die Identitätsunsicherheiten größer und man ist in dieser Hinsicht ein bisschen päpstlicher als der Papst.
Heise: Sie sagen auch, dass eine solche Situation, wie sie jetzt momentan gerade ist, also wenn Dinge aufeinander knallen, dass eine solche Situation genutzt werden muss wie damals auch beispielsweise während der Diskussion über die Mohammed-Karikaturen. Diese Situation muss genutzt werden, um Tabus zu lockern, innerhalb des Islam. Wer sollte das denn jetzt aber tun, wer hat die Kraft und will sie auch tatsächlich zur Mäßigung nutzen?
Abdel-Samad: Also zunächst ist es ein psychologisches Spiel. Je mehr – also es ist makaber, es klingt makaber, aber es ist so – je mehr solche Zeichnungen und Karikaturen und Filme kommen, desto mehr gewöhnen sich die Muslime daran, dass sie sechs Milliarden Nicht-Muslime weltweit nicht ständig im Auge haben, beobachten können und kontrollieren können. Dass man lernt im Laufe der Zeit, viele solche Videos zu ignorieren.
Und es sind ja Tausende von Videos und Büchern, die den Propheten Mohammed beleidigen in irgendeiner Form, aber es war natürlich die Konzentration dieses Mal, das heißt, dass der Film aus Amerika kam, dass ein ägyptischer Kopte, der im Ausland lebt, auch dafür verantwortlich war oder damit in Zusammenhang gebracht wurde, dass auch irgendwann der Name Israel fiel als beteiligt. Und das, dieser Cocktail, hat natürlich zu dieser Empörung geführt.
Aber viele Muslime haben schon längst gelernt, dass es solche Videos auf Youtube überall zu finden sind. Und man muss ein bisschen darauf lockerer reagieren. Auf der anderen Seite ist das ewige Problem des Islam die Unantastbarkeit der Religion und die Unantastbarkeit des Propheten und des Korans. Und das ist – man sollte nicht ausrufen, ja, mehr Filme davon, sondern man sollte sagen, okay, solche Filme existieren und man muss als Moslem lernen, dass man sechs Milliarden Menschen nicht kontrollieren kann, sondern die eigenen Emotionen. Dass man auch die eigene Religion relativiert. Und das ist eigentlich der Weg zur Reform, durch den auch Europa ging, indem man diese heiligen Texte relativiert hat und nicht für die Menschheit allgemeingültig gemacht hat.
Heise: Das ist natürlich etwas, was aus dem Kreis der Muslime nur kommen kann. Wie schätzen Sie die Situation in Deutschland ein? Denn hier plant ja Pro Deutschland, diesen Film zu zeigen. Natürlich auch reine Provokation. Man versucht jetzt oder man sucht tatsächlich nach Wegen, das zu verhindern, eine solche Aufführung. Wie finden Sie diese Reaktion?
Abdel-Samad: Man hat es zu tun mit ein paar Kindern, fundamentalistischen Kindern in der arabischen islamischen Welt. Und mit Kindern kann man nicht Ping-Pong spielen. Und ich bin für Meinungsfreiheit, ich würde keinen Zeichner oder Filmemacher davon abhalten, einen kritischen Film über den Islam zu machen. Jeder sollte das, wenn er überzeugt ist, dass er dadurch auch etwas erreichen kann.
Aber die Leute, die das im Namen der Provokation machen, die Leute, die nur provozieren wollen – ich will sehen, wenn dieser Pro-Deutschland-Chef diesen Film gezeigt hat, ich will nicht ihn nachher sehen, dass er sein Gesicht versteckt und sagt, ich habe Angst um mein Leben und meine Kinder.
Dann sollte er die Verantwortung dafür tragen, das machen, und er sollte nicht sagen, ach, ich habe nicht gewusst, dass dadurch Menschen umgebracht werden. Ich glaube nicht, dass in Deutschland selber so heftige Demonstrationen deshalb stattfinden, ich glaube, da ist die Lage ein bisschen ruhiger. Aber woanders in der arabischen Welt. Was ist mit den deutschen Botschaften? Wollen wir jetzt alle deutschen Botschaften überall in der arabischen Welt schließen?
Heise: Man beruft sich ja jetzt schon darauf, auf solche – auf Pro Deutschland oder Pro NRW, auf derlei Demonstrationen, wenn man deutsche Botschaften stürmt in anderen Ländern.
Abdel-Samad: Nur die Ankündigung reicht, um natürlich auch – das ist verantwortungslos. Und das hat mit Freiheit – ich glaube nicht, dass Pro Deutschland irgendetwas mit Freiheit und Demokratie zu tun hat …
Heise: Da kann man natürlich jetzt die Diskussion mit Pro Deutschland suchen, aber meinen Sie, das war meine Frage auch, sollte das Innenministerium tatsächlich versuchen, oder sollte man in Deutschland nach Wegen suchen, diese Aufführung zu verhindern, zu verbieten?
Abdel-Samad: Das ist Volksverhetzung. Das ist Volksverhetzung, eindeutig. Das hat überhaupt nichts mit irgendeinem konstruktiven Dialog oder das Besprechen eines Problems oder Dialog oder – die Aktion ist pure Provokation, und in dieser brennenden Phase. Natürlich wird man, wenn – die Mehrheit der Muslime wird nicht darauf reagieren. Aber es reichen ja, wenn tausend Leute sich zusammentun und eine Botschaft stürmen.
Und die arabische Welt ist gerade, befindet sich in diesem Übergang, in dieser Übergangsphase, in einem Sicherheitsvakuum. Mubarak hätte 20, 30 Leute erschossen, um die Demonstranten zu vertreiben. Die Regierung in Libyen, in Ägypten hat Angst, auf die eigenen Demonstranten zu schießen, sonst gilt sie wieder als diktatorisch und muss irgendwie abtreten. Und deshalb, wie gesagt, man darf zwei Sachen miteinander nicht vermischen. Meinungsfreiheit, die ein hohes Gut ist, und ich kämpfe selber dafür, und ich bin der Letzte, der Islamkritik verhindert. Ich betreibe selbst Islamkritik, aber wenn jemand so eine gezielte Provokation macht, dann muss man wissen, was das für Konsequenzen hat für sich persönlich. Ich will nicht sehen, dass, wie der Regisseur in Amerika sich versteckt jetzt und sagt, ich habe Angst um meine Kinder. Ach, Überraschung.
Heise: Also Meinungsfreiheit ja, aber keine Volksverhetzung, sagt der Politologe Hamed Abdel-Samad. Vielen Dank, Herr Abdel-Samad, für dieses Gespräch!
Abdel-Samad: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ein Gesicht, welches sie mit dem Video rauskitzeln wollten, und die Provokation hat absolut gezündet. Es brennt, es gab Tote und Verletzte, Demonstrationen in 20 muslimisch geprägten Ländern in Nahost, Afrika und Südostasien. Am Telefon jetzt der Politologe, Autor und auch Islamkritiker Hamed Abdel-Samad, unter anderem bekannt durch seine Deutschlandreise zusammen mit Hendrik M. Broder. Wir erreichen Herrn Abdel-Samad während Dreharbeiten. Ich grüße Sie, schönen guten Morgen!
Hamed Abdel-Samad: Schönen guten Morgen, hallo!
Heise: Das Video existiert ja schon seit Monaten im Internet. Sie kennen es auch schon lange. Ahnten Sie, als Sie es sich angeguckt haben, seine Sprengkraft?
Abdel-Samad: Nein. Ich fand den Film sehr naiv und auch schlecht gemacht und auch – man kann so was nicht ernst nehmen, aber wenn so ein Film aus Amerika kommt, dann gibt es unter Muslimen einige, die darauf auch solche heftigen Reaktionen zeigen. Wenn der Film aus Asien kommt oder Afrika, dann würde er so eine Reaktion nicht auslösen, aber aus Amerika, das trifft den wunden Punkt bei vielen Muslimen.
Heise: Ich habe gesagt, in 20 Ländern gibt es inzwischen Demonstrationen, mehr oder weniger gewalttätig. Wie ernst nehmen Sie die Situation jetzt, momentan?
Abdel-Samad: Es sind Wellen des Protests, der Empörung und auch der Gewalt, die immer kommen und gehen. Wir hatten das schon alles, die Mohammed-Karikaturen, da waren alles – amerikanischer Pastor Terry, versucht hat, den Koran zu verbrennen. Es gibt immer solche Wellen, die kommen und gehen, und man muss natürlich betonen, dass sind nicht die Massen von Muslimen.
Heise: Das wollte ich wissen – wer zieht jetzt eigentlich so brüllend vor Zorn durch die Straßen und vor westliche Botschaften, wer ist das?
Abdel-Samad: Es ist ein Gemisch zwischen streng religiösen Salafisten, nicht alle Salafisten mal, sondern einige von denen, und arbeitsloser Jugend. Die beiden sind eigentlich vor allem in der arabischen Welt Verlierer der Revolution. Denn in Ägypten haben die Muslimbrüder gewonnen, haben die Salafisten beiseite geschoben. In Lybien haben die Islamisten gar die Wahlen verloren, und die versuchen jetzt durch diese Aktionen wieder Boden zu gewinnen. Denn die streng religiösen Islamisten können nur mit Wut und Empörung und Ablehnung Boden gut machen, nicht mit konstruktiver Politik. Und …
Heise: Sie waren – ja, Entschuldigung …
Abdel-Samad: Ja, und diese Mischung von beidem fühlt sich immer betroffen von solchen Aktionen, und, wie gesagt, diese Wellen kommen und gehen. Ich hoffe, dass diese Welle auch sich nicht – nicht in einen Tsunami mündet, weil das Potenzial für ein Pulverfass ist natürlich da.
Heise: Die USA rechnet ja zum Beispiel auch mit einer Dauerkrise, sagen sie ja jetzt schon. Sie waren ja selber monatelang in Ägypten während der Rebellion. Sie haben die Revolution jetzt gerade auch angesprochen. Sie waren begeistert von dem sich ändernden Klima. Ich denke, Sie haben wahrscheinlich auch zurzeit noch Kontakt. Wie nehmen denn die damaligen Demonstranten, die, die für Meinungsfreiheit gekämpft haben, wie nehmen die das wahr, was jetzt gerade wieder passiert?
Abdel-Samad: Die Mehrheit der Ägypter sind gegen diese gewalttätigen Demonstrationen. Die Mehrheit der Ägypter fühlt sich beleidigt vom Film, das kann man nachvollziehen, aber die sind nicht zufrieden mit der Reaktion der Menschen. Und viele vernünftige Menschen sagen, dass wir Muslime eigentlich den Prophet beleidigen durch unsere Aktionen, mehr als so ein lächerlicher Film.
91 Prozent der Ägypter haben in einer Umfrage neulich dafür gestimmt, dass Demonstranten auch mit Gewalt daran gehindert werden, auf die Straße zu gehen, um vor den Botschaften zu stehen. Das heißt, es ist nicht so, dass die Mehrheit der Bevölkerung jetzt dafür ist, dass man Gewalt anwendet und Botschaften anzündet. Aber es gibt diese Minderheit, die sehr aktiv ist, und das Wutpotenzial ist enorm und wurde natürlich auch gezüchtet über jahrzehntelange Diktatur. Auch Mubarak, Freund des Westens, hat in den Schulbüchern und in den Medien Hass gegen den Westen geschürt und den Westen immer als Sündenbock gezeigt. Und das zeigt jetzt auch Wirkung.
Heise: Der Politologe Hamed Abdel-Samad zu den Reaktionen auf das Schmähvideo. Herr Abdel-Samad, wo sind, wenn Sie sagen, 91 Prozent lehnen diese Art von Demonstrationen ab – wo sind aber die mäßigenden, einordnenden Stimmen? Die sind hier im Westen zumindest wenig zu hören.
Abdel-Samad: Ja, also die Betroffenheit ist groß unter Muslimen natürlich, und man fühlt sich erst einmal mehr solidarisch mit den Leuten, die Wut haben, alles mit der Idee der Meinungsfreiheit. Und es ist richtig, dass viele Muslime sich dazu äußern müssen und auch ihre Position klar machen müssen. Ich gehöre auch dazu und versuche das, auf meine Art zu tun. Ich glaube, es sind mehr jetzt in Ägypten und in Libyen und in Tunesien, die sich kritisch zu solchen Reaktionen äußern. Alles Muslime, im Ausland, in der Diaspora sozusagen, da ist man emotional mehr verbunden mit der Religion, da sind die Identitätsunsicherheiten größer und man ist in dieser Hinsicht ein bisschen päpstlicher als der Papst.
Heise: Sie sagen auch, dass eine solche Situation, wie sie jetzt momentan gerade ist, also wenn Dinge aufeinander knallen, dass eine solche Situation genutzt werden muss wie damals auch beispielsweise während der Diskussion über die Mohammed-Karikaturen. Diese Situation muss genutzt werden, um Tabus zu lockern, innerhalb des Islam. Wer sollte das denn jetzt aber tun, wer hat die Kraft und will sie auch tatsächlich zur Mäßigung nutzen?
Abdel-Samad: Also zunächst ist es ein psychologisches Spiel. Je mehr – also es ist makaber, es klingt makaber, aber es ist so – je mehr solche Zeichnungen und Karikaturen und Filme kommen, desto mehr gewöhnen sich die Muslime daran, dass sie sechs Milliarden Nicht-Muslime weltweit nicht ständig im Auge haben, beobachten können und kontrollieren können. Dass man lernt im Laufe der Zeit, viele solche Videos zu ignorieren.
Und es sind ja Tausende von Videos und Büchern, die den Propheten Mohammed beleidigen in irgendeiner Form, aber es war natürlich die Konzentration dieses Mal, das heißt, dass der Film aus Amerika kam, dass ein ägyptischer Kopte, der im Ausland lebt, auch dafür verantwortlich war oder damit in Zusammenhang gebracht wurde, dass auch irgendwann der Name Israel fiel als beteiligt. Und das, dieser Cocktail, hat natürlich zu dieser Empörung geführt.
Aber viele Muslime haben schon längst gelernt, dass es solche Videos auf Youtube überall zu finden sind. Und man muss ein bisschen darauf lockerer reagieren. Auf der anderen Seite ist das ewige Problem des Islam die Unantastbarkeit der Religion und die Unantastbarkeit des Propheten und des Korans. Und das ist – man sollte nicht ausrufen, ja, mehr Filme davon, sondern man sollte sagen, okay, solche Filme existieren und man muss als Moslem lernen, dass man sechs Milliarden Menschen nicht kontrollieren kann, sondern die eigenen Emotionen. Dass man auch die eigene Religion relativiert. Und das ist eigentlich der Weg zur Reform, durch den auch Europa ging, indem man diese heiligen Texte relativiert hat und nicht für die Menschheit allgemeingültig gemacht hat.
Heise: Das ist natürlich etwas, was aus dem Kreis der Muslime nur kommen kann. Wie schätzen Sie die Situation in Deutschland ein? Denn hier plant ja Pro Deutschland, diesen Film zu zeigen. Natürlich auch reine Provokation. Man versucht jetzt oder man sucht tatsächlich nach Wegen, das zu verhindern, eine solche Aufführung. Wie finden Sie diese Reaktion?
Abdel-Samad: Man hat es zu tun mit ein paar Kindern, fundamentalistischen Kindern in der arabischen islamischen Welt. Und mit Kindern kann man nicht Ping-Pong spielen. Und ich bin für Meinungsfreiheit, ich würde keinen Zeichner oder Filmemacher davon abhalten, einen kritischen Film über den Islam zu machen. Jeder sollte das, wenn er überzeugt ist, dass er dadurch auch etwas erreichen kann.
Aber die Leute, die das im Namen der Provokation machen, die Leute, die nur provozieren wollen – ich will sehen, wenn dieser Pro-Deutschland-Chef diesen Film gezeigt hat, ich will nicht ihn nachher sehen, dass er sein Gesicht versteckt und sagt, ich habe Angst um mein Leben und meine Kinder.
Dann sollte er die Verantwortung dafür tragen, das machen, und er sollte nicht sagen, ach, ich habe nicht gewusst, dass dadurch Menschen umgebracht werden. Ich glaube nicht, dass in Deutschland selber so heftige Demonstrationen deshalb stattfinden, ich glaube, da ist die Lage ein bisschen ruhiger. Aber woanders in der arabischen Welt. Was ist mit den deutschen Botschaften? Wollen wir jetzt alle deutschen Botschaften überall in der arabischen Welt schließen?
Heise: Man beruft sich ja jetzt schon darauf, auf solche – auf Pro Deutschland oder Pro NRW, auf derlei Demonstrationen, wenn man deutsche Botschaften stürmt in anderen Ländern.
Abdel-Samad: Nur die Ankündigung reicht, um natürlich auch – das ist verantwortungslos. Und das hat mit Freiheit – ich glaube nicht, dass Pro Deutschland irgendetwas mit Freiheit und Demokratie zu tun hat …
Heise: Da kann man natürlich jetzt die Diskussion mit Pro Deutschland suchen, aber meinen Sie, das war meine Frage auch, sollte das Innenministerium tatsächlich versuchen, oder sollte man in Deutschland nach Wegen suchen, diese Aufführung zu verhindern, zu verbieten?
Abdel-Samad: Das ist Volksverhetzung. Das ist Volksverhetzung, eindeutig. Das hat überhaupt nichts mit irgendeinem konstruktiven Dialog oder das Besprechen eines Problems oder Dialog oder – die Aktion ist pure Provokation, und in dieser brennenden Phase. Natürlich wird man, wenn – die Mehrheit der Muslime wird nicht darauf reagieren. Aber es reichen ja, wenn tausend Leute sich zusammentun und eine Botschaft stürmen.
Und die arabische Welt ist gerade, befindet sich in diesem Übergang, in dieser Übergangsphase, in einem Sicherheitsvakuum. Mubarak hätte 20, 30 Leute erschossen, um die Demonstranten zu vertreiben. Die Regierung in Libyen, in Ägypten hat Angst, auf die eigenen Demonstranten zu schießen, sonst gilt sie wieder als diktatorisch und muss irgendwie abtreten. Und deshalb, wie gesagt, man darf zwei Sachen miteinander nicht vermischen. Meinungsfreiheit, die ein hohes Gut ist, und ich kämpfe selber dafür, und ich bin der Letzte, der Islamkritik verhindert. Ich betreibe selbst Islamkritik, aber wenn jemand so eine gezielte Provokation macht, dann muss man wissen, was das für Konsequenzen hat für sich persönlich. Ich will nicht sehen, dass, wie der Regisseur in Amerika sich versteckt jetzt und sagt, ich habe Angst um meine Kinder. Ach, Überraschung.
Heise: Also Meinungsfreiheit ja, aber keine Volksverhetzung, sagt der Politologe Hamed Abdel-Samad. Vielen Dank, Herr Abdel-Samad, für dieses Gespräch!
Abdel-Samad: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.