Abdul Adhim Kamouss: "Wem gehört der Islam?"
Plädoyer eines Imams gegen das Schwarz-Weiß-Denken
dtv, 224 Seiten, 16,90 Euro
Ein Berliner Imam erfindet sich neu
Da ihm vorgeworfen wird, ein "Hass-Prediger" zu sein, hinterfragt sich Abdul Adhim Kamouss. Er studiert, erkennt Fehler und ändert sein pastorales Konzept. Im Buch berichtet er von 16 Jahren Gemeindearbeit und entwirft Konzepte gegen Radikalisierung.
Früh hat er erkannt, dass muslimische Gemeinden und Verbände junge Leute immer weniger erreichen. Während sie eher Traditionen pflegten, machte das Internet verlockende religiöse Angebote. Gleich von Anfang an, seit 2001, predigt und unterrichtet der junge Imam in deutscher Sprache – und hat Erfolg, weit über die beiden Berliner Moscheen Al-Nur und Bilal hinaus.
In Rabat aufgewachsen, bei der Salafiyya ausgebildet
Mit 20 Jahren war Abdul Adhim Kamouss 1997 aus Rabat nach Leipzig und Berlin gekommen, um Elektrotechnik zu studieren. Er ist unter acht Geschwistern einer gutbürgerlichen Familie aufgewachsen. Sein älterer Bruder führte ihn in die religiöse Szene Marokkos ein, wo er unter anderem das örtliche Zentrum der Salafiyya besuchte, einer streng religiösen, saudisch beeinflussten Bewegung, die er als facettenreich erlebte und beschreibt – von gemäßigt bis radikal.
Weswegen er sich missverstanden und ungerecht behandelt fühlte, als ihm, dem populären Prediger, von deutschen Medien und Behörden vorgeworfen wurde, ein "Moslem-Macher", ein "Gehirnwäscher" und "Hass-Prediger" zu sein. Er überstand zwei Ermittlungsverfahren. Und doch fragte er sich irgendwann, ob er nicht mit dafür verantwortlich sei, dass sich einige seiner jugendlichen Anhänger radikalisiert hätten?
Weswegen er sich missverstanden und ungerecht behandelt fühlte, als ihm, dem populären Prediger, von deutschen Medien und Behörden vorgeworfen wurde, ein "Moslem-Macher", ein "Gehirnwäscher" und "Hass-Prediger" zu sein. Er überstand zwei Ermittlungsverfahren. Und doch fragte er sich irgendwann, ob er nicht mit dafür verantwortlich sei, dass sich einige seiner jugendlichen Anhänger radikalisiert hätten?
Als er Fehler eingestand, wurde er ausgegrenzt
Die Antwort führte ihn über Höhen und Tiefen hinweg zu einem breiten Selbststudium arabischer und europäischer Literatur. Schließlich änderte er sein pastorales Konzept – und wurde erneut ausgegrenzt, ja, sogar bedroht. Diesmal von Muslimen. Als Imam ohne Predigtstätte gründete er schließlich 2018 die gemeinnützige Stiftung "Islam in Deutschland".
An dieser Stelle im Buch wechselt Abdul Adhim Kamouss vom Biographischen zum religiös-politischen Plädoyer. Er will erklären, was hierzulande im religiösen Streit unter Muslimen und mit Nicht-Muslimen falsch läuft, wie es gemeinsam und nicht gegeneinander gelingen könnte, Radikalisierungen zu vermeiden oder schon bestehende abzubauen.
Heute gesteht er seinen Fehler ein, Schablonen und Denkweisen der Salafiyya unkritisch übernommen zu haben. Auch wenn ihre Schulen, außer der dschihadistischen, nicht direkt zu Gewalt aufrufen würden, ebneten sie doch den Weg dorthin. Über eine wortgetreue Lesart des Koran führe dieser Weg zu fanatischen Einstellungen, wo Quellen historisch und sprachlich nicht eingeordnet und einseitig ausgelegt werden sowie Gelehrtenmeinungen als unantastbar angesehen werden.
An dieser Stelle im Buch wechselt Abdul Adhim Kamouss vom Biographischen zum religiös-politischen Plädoyer. Er will erklären, was hierzulande im religiösen Streit unter Muslimen und mit Nicht-Muslimen falsch läuft, wie es gemeinsam und nicht gegeneinander gelingen könnte, Radikalisierungen zu vermeiden oder schon bestehende abzubauen.
Heute gesteht er seinen Fehler ein, Schablonen und Denkweisen der Salafiyya unkritisch übernommen zu haben. Auch wenn ihre Schulen, außer der dschihadistischen, nicht direkt zu Gewalt aufrufen würden, ebneten sie doch den Weg dorthin. Über eine wortgetreue Lesart des Koran führe dieser Weg zu fanatischen Einstellungen, wo Quellen historisch und sprachlich nicht eingeordnet und einseitig ausgelegt werden sowie Gelehrtenmeinungen als unantastbar angesehen werden.
Respekt vor religiöser Vielfalt gelernt
Dadurch habe sich innerhalb der muslimischen Gemeinschaft ein Überwachungssystem breitgemacht: Dieses verlange unbedingten Gehorsam der jeweils eigenen Glaubensrichtung gegenüber, mache Jagd auf Abweichler und schüre Intoleranz gegenüber Andersdenkenden. Auf der Strecke blieben Milde, Offenheit, Respekt – und Vielfalt.
Für den Autor ist es an der Zeit, dass sich islamische Theologie mit Geistes- und Naturwissenschaften, ja insgesamt mit der Realität zeitgemäß auseinandersetzt, wie einst in ihrer Blütezeit des 9. und 13. Jahrhunderts. Im religiösen Disput über den Islam vermisst er bei Muslimen wie bei Nicht-Muslimen das notwendige Grundwissen.
Für den Autor ist es an der Zeit, dass sich islamische Theologie mit Geistes- und Naturwissenschaften, ja insgesamt mit der Realität zeitgemäß auseinandersetzt, wie einst in ihrer Blütezeit des 9. und 13. Jahrhunderts. Im religiösen Disput über den Islam vermisst er bei Muslimen wie bei Nicht-Muslimen das notwendige Grundwissen.
Gemeinsames Handeln gegen Radikalisierung eingefordert
Allerdings hält Abdul Adhim Kamouss die muslimische Community personell wie finanziell für überfordert, radikalisierte Jugendliche oder zurückgekehrte IS-Kämpfer erfolgreich aufzufangen. Deshalb fordert er Politik und Behörden auf, ihre Scheu zu überwinden und gemeinsam mit Imamen sowie Moschee-Gemeinden Reintegrationsprogramme aufzulegen.
Und von den Gemeinden erwartet er, dass sie eine aktive Jugendarbeit in deutscher Sprache anbieten, aus ihren Kollekten Projekte in Deutschland und nicht im Ausland finanzieren, sich ferner um eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft, mithin um eine tragfähige organisatorische Basis, bemühen.
Damit man nicht länger über ihn, sondern mit ihm und den Muslimen spricht, schrieb Abdul Adhim Kamouss dieses Buch. Es gewährt Einblicke in 16 Jahre Gemeindearbeit mit jungen Leuten. Diese Erfahrungen beeindrucken – und haben einen mutigen Mann hervorgebracht, der öffentlich arabischen Großgelehrten die Stirn bietet.
Und von den Gemeinden erwartet er, dass sie eine aktive Jugendarbeit in deutscher Sprache anbieten, aus ihren Kollekten Projekte in Deutschland und nicht im Ausland finanzieren, sich ferner um eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft, mithin um eine tragfähige organisatorische Basis, bemühen.
Damit man nicht länger über ihn, sondern mit ihm und den Muslimen spricht, schrieb Abdul Adhim Kamouss dieses Buch. Es gewährt Einblicke in 16 Jahre Gemeindearbeit mit jungen Leuten. Diese Erfahrungen beeindrucken – und haben einen mutigen Mann hervorgebracht, der öffentlich arabischen Großgelehrten die Stirn bietet.