Abdulrazak Gurnah: "Das verlorene Paradies"

Herrschaftsgeschichte aus der Sicht eines Unterworfenen

05:56 Minuten
Cover: "Abdulrazak Gurnah: Das verlorene Paradies"
© Penguin Verlag

Abdulrazak Gurnah

Übersetzt von Inge Leipold

Das verlorene ParadiesPenguin, München 2021

336 Seiten

25,00 Euro

Von Sigrid Löffler |
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Yusuf aus dem ostafrikanischen Küstenhinterland hat der frisch gekürte Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah in den Mittelpunkt seines Romans gestellt. Von seinen Eltern als Sklave an einen arabischen Händler verkauft, wird er zum Beobachter der Folgen von Kolonialismus und Fremdherschaft.
Die meisten Kritiker und die deutschsprachigen Verlage wurden von der Verkündigung des neuen Literatur-Nobelpreisträgers kalt erwischt. Abdulrazak wer? Sie hatten von Abdulrazak Gurnah, dem Englisch schreibenden und aus Zanzibar gebürtigen Literaturprofessor in Canterbury und Autor von zehn Romanen, noch nie gehört, geschweige denn etwas von ihm gelesen. Auf Deutsch waren seine Romane, soweit sie überhaupt je übersetzt worden waren, seit langem vergriffen.
Nun hat der Münchner Penguin Verlag am schnellsten reagiert: Rechtzeitig zur (virtuellen) Verleihung des Nobelpreises in Stockholm am 10. Dezember bringt er Gurnahs zeithistorischen Roman «Paradise» von 1994 unter dem deutschen Titel «Das verlorene Paradies» neu heraus.

Geschichte der Insel Zanzibar und Ostafrikas


Als Einstieg in den literarischen Kosmos dieses Autors, des zweite schwarze Nobelpreisträgers vom afrikanischen Kontinent nach dem Nigerianer Wole Soyinka von 1986, eignet sich dieser Roman vorzüglich, denn er beschäftigt sich mit einem von Gurnahs zentralen Themen: der Geschichte der Insel Zanzibar und Ostafrikas unter kolonialer Herrschaft der Deutschen und Briten im 20. Jahrhundert und der arabischen Fremdherrschaft, erzählt strikt aus dem Blickwinkel der unterworfenen Einheimischen. Diese Perspektive in die Herrschaftsgeschichte des Kolonialismus in dieser Region eingeführt zu haben, ist Gurnahs besondere literarische Leistung.

Nobelpreiswoche: Abdulrazak Gurnah und sein Buch "Das verlorene Paradies"

06.12.2021
06:56 Minuten
Podcast: Fazit
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Held des Romans ist der Dorfjunge Yusuf aus dem ostafrikanischen Küstenhinterland, der zu Anfang des 20. Jahrhunderts im Alter von zwölf Jahren von seinen Eltern als Sklave an den arabischen Händler Aziz verkauft wird.

Menschen unterschiedlichster Herkunft

Plötzlich sieht er sich in das verwirrende geschäftige Treiben einer ostafrikanischen Küstenstadt versetzt, in der Menschen unterschiedlichster ethnischer Herkunft, Kultur und Tradition durcheinanderwimmeln: Araber aus der Golfregion, Inder, Perser, Menschen vom gesamten afrikanischen Kontinent. Gurnah entfaltet ein lebhaftes Biotop von Kleinhändlern, Tagelöhnern, Fischern und Eckenstehern, fremdbeherrscht und um ihre Existenz strampelnd sie alle. Der Islam mit seinen rigiden Moralgesetzen prägt ihr Alltagsleben und verbannt die Frauen ins Haus.

Zentrum des Romans ist die Schilderung der großen Handelsfahrt, auf der Yusuf mit der Karawane seines Herrn von der Küste bis tief ins Innere des Kongo vordringt, eine Großunternehmung zur Erbeutung von Gold und Elfenbein, die abenteuerlich schiefgeht. Doch selbst hier, in der unerschlossenen Wildnis, stößt man bereits auf deutsche Militärs, die an der Errichtung der künftigen Kolonie Deutsch-Ostafrika arbeiten.

Vielfältige Lektüren Gurnahs eingewebt

Es gehört zu den Besonderheiten im Werk des hochbelesenen Literaturwissenschaftlers Gurnah, dass er seine vielfältigen Lektüren in seine Romane einwebt, von «Tausendundeine Nacht» bis zu Shakespeare, dem Koran und den Klassikern der westlichen Moderne. In diesem Roman über Yusuf erkennt man das Modell der biblischen Geschichte vom Patriarchen Josef aus dem Alten Testament, den der Koran als Prophet Yusuf kennt. Und Vorbild für die Karawanenfahrt in den Kongo ist natürlich die Reise ins «Herz der Finsternis» von Joseph Conrad.

Am Ende des Romans taumelt der Sklave Yusuf von der einen Knechtschaft in die nächste: Er tritt als Askari-Hilfssoldat in den Dienst der deutschen Kolonialarmee. Nicht nur für ihn, sondern für ganz Ostafrika beginnt damit die nächste Fremdherrschaft.

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