Leonardo Padura: "Ketzer"
Aus dem Spanischen von Hans Joachim Hartstein
Unionsverlag Zürich 2014,
651 Seiten, 24,95 Euro
Auf Irrwegen nach Kuba
Der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura vermischt in seinem neuen Roman Dokumentarisches mit Fiktion und lässt seine Leser ganze Jahrhunderte durchqueren. Im Mittelpunkt steht die Reise eines Bildes von Rembrandt.
Gibt es einen größeren Gegensatz als zwischen Holland und Kuba? Zwischen der tropischen Hitze, den kräftigen Farben und den lärmenden Menschen in Havanna und dem grauen Himmel, den Grachten und den strengen Calvinisten in Amsterdam? Vermutlich kaum, aber den kubanischen Schriftsteller Leonardo Padura stört das nicht. Im Gegenteil, es scheint ihn regelrecht zu befeuern.
In seinem neuen Roman Ketzer verknüpft er nicht nur diese beiden Weltgegenden miteinander, er verbindet außerdem verschiedene Jahrhunderte und durchquert in rasantem Tempo ganze Epochen. Und trotzdem hängt alles mit allem zusammen.
Padura, 1955 in Havanna geboren, dort immer noch zu Hause und Anfang der 90er-Jahre mit einer Reihe von Krimis berühmt geworden, die kaum camouflierte kritische Gesellschaftsromane waren, operiert auch dieses Mal mit seinem bewährten Aufklärer Mario Conde. Conde ist ein ehemaliger Polizist jenseits der fünfzig, ausgestattet mit einem starken Spürsinn und einem weichen Herz, der sich mit dem Verkauf antiquarischer Bücher über Wasser hält.
Ein Freund aus den USA schickt ihm einen amerikanischen Maler namens Elias Kaminsky vorbei, der alles über seinen Vater Daniel und den Großonkel Joseph herausfinden will, polnische Juden aus Krakau, die vor den Nazis nach Havanna geflohen waren und dort 1939 auf die Ankunft ihrer Verwandten warteten.
Christus-Bild als Lebensversicherung
Daniels Eltern hatten etwas sehr Kostbares im Gepäck, zugleich ihre Lebensversicherung: ein Christus-Bild von Rembrandt. Aber sie wurden zum Spielball absurder weltpolitischer Verwicklungen. Ein korrupter Botschafter hatte in Deutschland Visa verscherbelt, die von der Regierung nicht anerkannt wurden, schließlich musste das Schiff mit über 900 Flüchtlingen nach Europa zurückkehren, wo rund die Hälfte der Passagiere in Konzentrationslagern starb. Weil das Gemälde nach Jahrzehnten plötzlich wieder aufgetaucht ist, begibt sich Daniel auf Spurensuche. Weit verzweigte Geschichten von Flucht, Ketzerei und der Sehnsucht nach Freiheit kommen zum Vorschein.
Padura vermischt dokumentarisches Material mit Fiktion und unterteilt seinen dickleibigen Roman in drei Bücher. Im Buch Daniel verwebt sich ein Alltagsporträt der desolaten kubanischen Verhältnisse um 2008 mit Schilderungen der Lage in Havanna zwischen den 30er- und späten 50er-Jahren, als Elias Eltern kurz vor dem Sturz des Diktators Batista die Insel verließen. Damals wurde der Mann getötet, der der Familie die Einreise verweigert und sich außerdem das Gemälde unter den Nagel gerissen hatte.
In der Mitte steht das Buch Elias. Es ist eine historische Genreskizze über einen jüdischen Schüler Rembrandts, der wegen seiner Liebe zur Malerei als Ketzer verjagt wurde. Im Buch Judith gewinnt die Krimihandlung noch mal an Fahrt, und die verschiedenen Fäden entwirren sich. Konventionell erzählt und sprachlich mitunter etwas betulich, bietet Padura dem Leser einen saftigen Abenteuerroman über die Irrwege eines Gemäldes und alle Arten von Ketzerei. Der Impuls ist ein Wunsch, der im zeitgenössischen Havanna eine gewisse Sprengkraft besitzt: frei zu sein.