Aber bitte mit Smartphone

Von Lars Reppesgaard |
Er wollte eine Fahrkarte am Automaten kaufen und hatte kein Kleingeld. Statt nun einfach die Kreditkarte zu zücken, fiel der Blick von Rüdiger Grube auf sein internetfähiges Mobiltelefon. Diese Idee ist jedoch alles andere als kundenfreundlich.
Wer oft Bahn fährt, hat sich daran gewöhnt, dass er in der Regel nicht mehr am Fahrkartenschalter einem Menschen erklärt, wann er wohin fahren will. Er tippt geduldig Reisezeit und Reiseziel am Bildschirm eines Fahrkartenautomaten ein und bekommt dann ein Ticket ausgedruckt - was der Automat mit infernalischen Pieptönen quittiert, weil man das Billet nicht schnell genug entnommen hat.

An den Maschinen gibt einiges zu kritisieren - etwa, dass sie auch bei Wechselgeld-Beträgen von über 20 Euro stoisch 2-Euro-Münzen ausspucken oder dass viele ältere Menschen bei der Bedienung der Touchscreens überfordert sind. Und nur Informatik-Professoren sind wohl in der Lage, gleichzeitig Karten für mehrere Fahrgäste zu kaufen - vor allem, wenn einige Mitreisende eine Bahncard haben und andere nicht.

Die meisten Bahnkunden haben sich zwar irgendwie mit dieser neuen Service-Welt arrangiert, in der menschliche Bahn-Mitarbeiter als Ansprechpartner und Helfer kaum noch eine Rolle spielen. Trotzdem ist es legitim, dass Bahnchef Rüdiger Grube nun darüber nachdenkt, ob die Karten aus dem Kasten wirklich der Weisheit letzter Schluss sind.

Nun erklärte der Bahnchef jüngst auf einer Tagung in Hamburg, dass er auf lange Sicht die Fahrkartenautomaten abschaffen will. Er selbst habe schließlich erlebt, wie lästig es sei, wenn das nötige Kleingeld für eine Fahrkarte fehle. Man hätte gerne Mäuschen gespielt, wenn der Bahnchef an der eigenen Technik verzweifelt und kein menschlicher Mitarbeiter in der Nähe ist, um zu helfen. Die Frage ist nur, wo die Kunden sonst ihre Karten herbekommen sollen, wenn die Automaten abgeschafft werden.

Grube hat da einen Plan: Die Bahnkarten sollen die Kunden in Zukunft über ihr Handy kaufen. Viele moderne Handys, die sogenannten Smartphones, sind ja inzwischen internetfähig. Über das Netz soll Software die Terminkalender der Reisewilligen mit dem Bahnangebot abgleichen, die besten Verbindungen heraussuchen. Der Kunde erhält den Ticketbeleg nebst Bahnsteignummer per SMS.
Es wäre nichts gegen die Idee zu sagen, dass die Bahn unter anderem auch auf diese Weise den Ticketverkauf ermöglicht. Angst als Bahnkunde bekommt man allerdings, wenn die Idee vom digitalen Superticket die wesentliche ist, die Grube verfolgt. Und danach sieht es leider aus. Der gute alte Ticketschalter etwa ist seiner Ansicht nach noch mehr von Gestern als der Fahrkartenautomat.

Dass auf absehbare Zeit nicht die gesamte Bevölkerung ein Internet-Handy besitzen wird, ist noch der kleinere Denkfehler bei Grubes Smartphone-Plan. Der größere ist der Glaube, dass ein Problem, dass durch komplizierte Technik verursacht wird, am besten durch noch mehr, noch komplexere Technologien gelöst werden kann. Diese Wunschvorstellung ist unter Topmanagern weit verbreitet - aber leider führt sie oft nicht ans Ziel. Grube sollte zu diesem Thema einmal bei seinen alten Arbeitgeber, der Daimler AG, nachfragen, wo man jahrelang treue Kunden mit technisch überfrachteten und entsprechend störanfälligen Fahrzeugen vergrätzte.

Dazu kommt, dass die Bahn einen öffentlichen Auftrag hat: Sie muss alle Menschen transportieren und nicht nur Technologie-Euphoriker, die knifflige Softwaremenüs als Herausforderung sehen macht und Ausfälle von hyperkomplexen Systemen sportlich nehmen, auch wenn sie deshalb mal nicht am Wochenende nach Hause zur Familie gelangen.

Nur ein Bruchteil der Bahnkunden ist so technikbegeistert wie etwa die Vielflieger bei der Lufthansa. Doch schon heute macht es die Bahn allen, die mit Automaten und Computern wenig anfangen können, immer schwerer. Was jetzt schon fehlt, sind Menschen, die mit den Bahnreisenden interagieren und ihnen helfen, Probleme zu lösen. Das gilt vor allem für die Provinzbahnhöfe, mit Abstrichen aber auch für die Stationen in den Metropolen.
Will die Bahn dauerhaft Erfolg haben, muss sie die Kunden akzeptieren, wie sie sind und sich an ihren Wünschen ausrichten. Das aber würde bedeuten, dass eher wieder mehr als immer weniger Menschen hinter Fahrkartenschaltern sitzen.

Wenn Rüdiger Grube also mal wieder glücklos am Automaten steht und die Nachteile einer entmenschlichten Bahn zu spüren bekommt, sollte er nicht sehnsüchtig auf sein Handy schauen. Stattdessen sollte er sich klar machen, dass er - im Gegensatz zu allen anderen Bahnreisenden - die Möglichkeit hat, wirklich etwas an den Problemen der Bahn zu ändern. Und zwar, indem er wieder mehr in Menschen investiert - und nicht in immer neue Technik.

Lars Reppesgaard, Jahrgang 1969, ist freier Wirtschaftsjournalist und Autor des 2008 erschienenen Buches "Das Google-Imperium". Nach dem Studium arbeitete er vier Jahre als Reporter und Moderator beim Hörfunk von Radio Bremen. Seit dem Jahr 2000 lebt er in Hamburg und schreibt für Wirtschaftsmedien wie das "Handelsblatt", die "Financial Times Deutschland" oder die "Wirtschaftswoche".
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