"Aber das heißt jetzt nicht, dass man ein neues nationales Gesetz bräuchte"
Nicht emotional reagieren, sondern zwischen privaten und öffentlichen Daten unterscheiden - das ist der Rat von Jens Seipenbusch, Vorsitzender der Piratenpartei, zur Debatte um Google Street View. Bestehende Vorschriften sollten auch auf Geodaten angewendet werden.
Marietta Schwarz: Schon seit Langem lässt Google mit Kameras ausgestattete Fahrzeuge durch die Straßen fahren, um Bilder für Google Street View aufzunehmen, jenen Onlinedienst, mit dessen Hilfe man Häuserfronten in aller Welt anschauen kann, wenn man die entsprechende Adresse eingibt. In vielen Ländern ist dieser Dienst schon in Betrieb, in Deutschland soll das erst Ende des Jahres der Fall sein, aber schon jetzt gibt es erheblichen Protest dagegen. Von einem weiteren Eingriff in die Privatsphäre ist da die Rede, der Ruf nach neuen Gesetzen wird laut. Doch wo fängt Privatsphäre an, wo hört sie auf und wie muss Datenschutz im Internet in Zukunft aussehen? Fragen dazu an Jens Seipenbusch, den Bundesvorsitzenden der Piratenpartei. Guten Morgen!
Jens Seipenbusch: Ja, guten Morgen!
Schwarz: Herr Seipenbusch, können Sie die Aufregung um Google Street View, die in Deutschland herrscht, nachvollziehen?
Seipenbusch: Ja, die Aufregung kann ich absolut nachvollziehen, weil ich glaube, jeder, der sich zum ersten Mal mit so einem Thema beschäftigt, der kriegt auch mal so einen Moment des Erschreckens – sei es bei Google Earth, wenn er seinen Balkon sieht oder ähnliche Dinge –, aber die allermeisten Leute haben dann auch nach einer gewissen Zeit so ein bisschen geschaut, wie die rationalen Argumente zu diesem Thema sind, und da sollte man auch hinkommen, dass man bei Datenschutz nicht so mehr emotional reagiert, sondern wirklich genau trennt zwischen den privaten Daten und den öffentlichen Daten.
Schwarz: Aber warum regt man sich über Fotos von der eigenen Wohnung im Internet auf, aber nicht zum Beispiel von den persönlichen Empfehlungen, die das Internetkaufhaus Amazon abgibt oder Freundesempfehlungen bei Facebook?
Seipenbusch: Das ist eine sehr gute Frage, denn das Argument zum Beispiel, dass irgendwie Räuber bessere Informationen bekommen, ist ja im Grunde hinfällig, wenn man an die heutigen schon verfügbaren Scoring-CD's, die wirklich so Stadtviertel nach Kaufkraft abbilden, denkt, da ist die Häuserfassade dahingehend im Grunde genommen eine aussagelose Information. Aber die eigene Wohnung, das eigene Haus hat natürlich was mit dem eigenen sozusagen Heim zu tun, und ich denke mal, das ist der Hauptgrund, diese emotionale Komponente. Wenn man rational rangeht, ist es ja überhaupt gar nicht schlimm – die Hausfront sieht man eben von jeder Straße auch. Man muss natürlich bedenken, dass die Verfügbarkeit in der Menge im Internet auch eine neue Qualität darstellt, die Leute erst mal verblüfft, und dann muss man sich damit auseinandersetzen. Der Übergang zum Informationszeitalter, der ist eben diskussionsbedürftig, und insofern finde ich es auch sehr gut, dass wir im Moment so eine gesellschaftliche Debatte darüber haben, weil es wichtig ist, dass die Menschen sich damit beschäftigen und auseinandersetzen. Aber ich denke mal, die allermeisten werden im Endeffekt auch diese Unterschiede zwischen privaten Daten, nämlich zum Beispiel Fotos von Personen, wo ich sehr dafür bin, dass die eben auch rausgenommen werden, bevor die veröffentlicht werden, und eben anderen Informationen, die jetzt einfach besser verfügbar sind, die aber nicht schützenswert sind, wie aus meiner Sicht die Häuserfassaden, zu unterscheiden.
Schwarz: Das Unheimliche ist ja auch eher, dass sich solche Geodaten mit anderen Daten im Internet verknüpfen lassen und so neue Informationen über jede einzelne Person entstehen. Deshalb fordert die Opposition eine Reform des Datenschutzgesetzes. Sie auch, Herr Seipenbusch?
Seipenbusch: Nein, ich glaube, wir müssen wirklich weiter daran arbeiten, dass der Datenschutz auch im Informationszeitalter ankommt tatsächlich. Man muss eben die Vorschriften und die Ideen, die man beim Datenschutz auch schon seit Längerem erfolgreich verfolgt, natürlich weiterentwickeln, anhand der technischen Gegebenheiten und der Vorkommnisse. Aber das heißt jetzt nicht, dass man neue Prinzipien bräuchte. Ich glaube, die Prinzipien, dass man private Daten schützt und dass man eben Daten auch, wenn sie kombinierbar sind und dann sozusagen sehr stark den einzelnen Menschen und seine Handlungsfreiheit berühren, dass man diesen Prozess schützt. Das ist, glaube ich, nach wie vor richtig, das wird man auch mit Geodaten machen, aber dafür brauchen wir keine neuen Gesetze.
Schwarz: Das heißt, das Ganze ist ein technisches Problem?
Seipenbusch: Nein, ich glaube, das ist auch ein Problem der Anwendungen der jetzigen rechtlichen Vorschriften, die werden ja ausgelegt und Ähnliches, und man muss sich damit beschäftigen, wie eben solche Dinge auch bei Geodaten überhaupt behandelt werden, weil vieles ist ja heutzutage noch nationales Recht. Man hat dann das Problem bei Daten, die eben nicht wirklich national verortbar sind, dürfen die über die Grenze oder wie geht man überhaupt damit um. Und das sind Dinge, die sich auch in der Rechtsprechung und in der Auslegung letztendlich entwickeln werden. Und da kann man auch ruhig noch mal genau hinschauen und drüber debattieren, das ist auch sehr wichtig, da haben wir sicherlich auch noch ein Defizit. Aber das heißt jetzt nicht, dass man ein neues nationales Gesetz bräuchte, sodass man Geodaten noch mal zusätzlich besonders schützt aus unserer Sicht.
Schwarz: Das heißt, wer ist da jetzt in der Pflicht?
Seipenbusch: Ja, ich denke, die gesellschaftliche Debatte ist sehr wichtig, damit man den Leuten überhaupt erst mal klarmacht, welche Daten was bedeuten und welche Aussagekraft haben auch über sie persönlich. Es ist ja nach wie vor so, dass sehr viele Menschen auch die Vorteile von diesen ganzen Daten sehen – Geolocation, GPS und so was hat ja auch ganz viele Vorteile im Servicebereich, im Internet und eben nicht nur Nachteile, das ist bei allen Daten so. Aber man muss genau wie bei den anderen Daten eben auf die Verwendung dieser Daten abzielen. Das heißt, derjenige, der die verwendet, der muss sie eben auch nur für bestimmte Zwecke verwenden dürfen, das muss demjenigen auch zugesichert werden, der diese Daten zur Verfügung stellt. Und diese ganzen Dinge müssen natürlich dann auch gegenüber multinationalen Konzernen, wie Google das eben einer ist, irgendwie für den Menschen noch handhabbar sein. Also er muss zum Beispiel die Möglichkeit haben, eine Auskunft zu bekommen, wenn es wirklich seine persönlichen Daten sind, und so weiter.
Schwarz: Haben wir da jetzt noch eine Chance gegen Google? Die Zeit ist ja auch recht knapp, bis zum 21. September läuft die Einspruchsfrist aus, haben wir da vielleicht zu spät angefangen zu diskutieren?
Seipenbusch: Na, ich sehe das nicht als gegen Google. Sicherlich sind einige Leute der Meinung, dass sie gar nicht so unbedingt vielleicht was gegen Street View haben, sondern eher so sagen, Google ist mir wirklich ein bisschen unheimlich geworden, und gerade die sollen jetzt meine Häuserfront nicht haben – das kann ich verstehen, aber das geht natürlich so ein bisschen am Kern dieser Debatte vorbei. Letzten Endes ist ja auch Google ein Konzern, der die Daten wirklich im Prinzip dann auch alle wieder veröffentlicht, so gesehen verschwinden die ja nicht bei Google im Keller. Man muss natürlich schauen, dass die dann auch kommerzielle Interessen mit verfolgen, und insofern sind sie ja da nicht irgendwie besonders zu begünstigen. Aber insgesamt ist es schon so, dass man die größeren Konzerne natürlich da im Blick haben muss, aber das heißt eigentlich nicht, dass man jetzt extra deswegen neue Gesetze machen muss, man muss nur die bisherigen Gesetze auch vernünftig auslegen und dann auch anwenden.
Schwarz: Müssen vielleicht wir auch in Zukunft damit leben, dass wir durchleuchtet sind?
Seipenbusch: Nicht, dass wir durchleuchtet sind, aber dass wir eine neue Qualität von Informationsbereitschaft, -bereitstellung haben in der Informationsgesellschaft, das ist richtig, das ist ein Gewöhnungsprozess.
Schwarz: Der Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Jens Seipenbusch war das über die Debatte zu Google Street View und den Datenschutz im Internet. Herr Seipenbusch, herzlichen Dank!
Seipenbusch: Vielen Dank!
Jens Seipenbusch: Ja, guten Morgen!
Schwarz: Herr Seipenbusch, können Sie die Aufregung um Google Street View, die in Deutschland herrscht, nachvollziehen?
Seipenbusch: Ja, die Aufregung kann ich absolut nachvollziehen, weil ich glaube, jeder, der sich zum ersten Mal mit so einem Thema beschäftigt, der kriegt auch mal so einen Moment des Erschreckens – sei es bei Google Earth, wenn er seinen Balkon sieht oder ähnliche Dinge –, aber die allermeisten Leute haben dann auch nach einer gewissen Zeit so ein bisschen geschaut, wie die rationalen Argumente zu diesem Thema sind, und da sollte man auch hinkommen, dass man bei Datenschutz nicht so mehr emotional reagiert, sondern wirklich genau trennt zwischen den privaten Daten und den öffentlichen Daten.
Schwarz: Aber warum regt man sich über Fotos von der eigenen Wohnung im Internet auf, aber nicht zum Beispiel von den persönlichen Empfehlungen, die das Internetkaufhaus Amazon abgibt oder Freundesempfehlungen bei Facebook?
Seipenbusch: Das ist eine sehr gute Frage, denn das Argument zum Beispiel, dass irgendwie Räuber bessere Informationen bekommen, ist ja im Grunde hinfällig, wenn man an die heutigen schon verfügbaren Scoring-CD's, die wirklich so Stadtviertel nach Kaufkraft abbilden, denkt, da ist die Häuserfassade dahingehend im Grunde genommen eine aussagelose Information. Aber die eigene Wohnung, das eigene Haus hat natürlich was mit dem eigenen sozusagen Heim zu tun, und ich denke mal, das ist der Hauptgrund, diese emotionale Komponente. Wenn man rational rangeht, ist es ja überhaupt gar nicht schlimm – die Hausfront sieht man eben von jeder Straße auch. Man muss natürlich bedenken, dass die Verfügbarkeit in der Menge im Internet auch eine neue Qualität darstellt, die Leute erst mal verblüfft, und dann muss man sich damit auseinandersetzen. Der Übergang zum Informationszeitalter, der ist eben diskussionsbedürftig, und insofern finde ich es auch sehr gut, dass wir im Moment so eine gesellschaftliche Debatte darüber haben, weil es wichtig ist, dass die Menschen sich damit beschäftigen und auseinandersetzen. Aber ich denke mal, die allermeisten werden im Endeffekt auch diese Unterschiede zwischen privaten Daten, nämlich zum Beispiel Fotos von Personen, wo ich sehr dafür bin, dass die eben auch rausgenommen werden, bevor die veröffentlicht werden, und eben anderen Informationen, die jetzt einfach besser verfügbar sind, die aber nicht schützenswert sind, wie aus meiner Sicht die Häuserfassaden, zu unterscheiden.
Schwarz: Das Unheimliche ist ja auch eher, dass sich solche Geodaten mit anderen Daten im Internet verknüpfen lassen und so neue Informationen über jede einzelne Person entstehen. Deshalb fordert die Opposition eine Reform des Datenschutzgesetzes. Sie auch, Herr Seipenbusch?
Seipenbusch: Nein, ich glaube, wir müssen wirklich weiter daran arbeiten, dass der Datenschutz auch im Informationszeitalter ankommt tatsächlich. Man muss eben die Vorschriften und die Ideen, die man beim Datenschutz auch schon seit Längerem erfolgreich verfolgt, natürlich weiterentwickeln, anhand der technischen Gegebenheiten und der Vorkommnisse. Aber das heißt jetzt nicht, dass man neue Prinzipien bräuchte. Ich glaube, die Prinzipien, dass man private Daten schützt und dass man eben Daten auch, wenn sie kombinierbar sind und dann sozusagen sehr stark den einzelnen Menschen und seine Handlungsfreiheit berühren, dass man diesen Prozess schützt. Das ist, glaube ich, nach wie vor richtig, das wird man auch mit Geodaten machen, aber dafür brauchen wir keine neuen Gesetze.
Schwarz: Das heißt, das Ganze ist ein technisches Problem?
Seipenbusch: Nein, ich glaube, das ist auch ein Problem der Anwendungen der jetzigen rechtlichen Vorschriften, die werden ja ausgelegt und Ähnliches, und man muss sich damit beschäftigen, wie eben solche Dinge auch bei Geodaten überhaupt behandelt werden, weil vieles ist ja heutzutage noch nationales Recht. Man hat dann das Problem bei Daten, die eben nicht wirklich national verortbar sind, dürfen die über die Grenze oder wie geht man überhaupt damit um. Und das sind Dinge, die sich auch in der Rechtsprechung und in der Auslegung letztendlich entwickeln werden. Und da kann man auch ruhig noch mal genau hinschauen und drüber debattieren, das ist auch sehr wichtig, da haben wir sicherlich auch noch ein Defizit. Aber das heißt jetzt nicht, dass man ein neues nationales Gesetz bräuchte, sodass man Geodaten noch mal zusätzlich besonders schützt aus unserer Sicht.
Schwarz: Das heißt, wer ist da jetzt in der Pflicht?
Seipenbusch: Ja, ich denke, die gesellschaftliche Debatte ist sehr wichtig, damit man den Leuten überhaupt erst mal klarmacht, welche Daten was bedeuten und welche Aussagekraft haben auch über sie persönlich. Es ist ja nach wie vor so, dass sehr viele Menschen auch die Vorteile von diesen ganzen Daten sehen – Geolocation, GPS und so was hat ja auch ganz viele Vorteile im Servicebereich, im Internet und eben nicht nur Nachteile, das ist bei allen Daten so. Aber man muss genau wie bei den anderen Daten eben auf die Verwendung dieser Daten abzielen. Das heißt, derjenige, der die verwendet, der muss sie eben auch nur für bestimmte Zwecke verwenden dürfen, das muss demjenigen auch zugesichert werden, der diese Daten zur Verfügung stellt. Und diese ganzen Dinge müssen natürlich dann auch gegenüber multinationalen Konzernen, wie Google das eben einer ist, irgendwie für den Menschen noch handhabbar sein. Also er muss zum Beispiel die Möglichkeit haben, eine Auskunft zu bekommen, wenn es wirklich seine persönlichen Daten sind, und so weiter.
Schwarz: Haben wir da jetzt noch eine Chance gegen Google? Die Zeit ist ja auch recht knapp, bis zum 21. September läuft die Einspruchsfrist aus, haben wir da vielleicht zu spät angefangen zu diskutieren?
Seipenbusch: Na, ich sehe das nicht als gegen Google. Sicherlich sind einige Leute der Meinung, dass sie gar nicht so unbedingt vielleicht was gegen Street View haben, sondern eher so sagen, Google ist mir wirklich ein bisschen unheimlich geworden, und gerade die sollen jetzt meine Häuserfront nicht haben – das kann ich verstehen, aber das geht natürlich so ein bisschen am Kern dieser Debatte vorbei. Letzten Endes ist ja auch Google ein Konzern, der die Daten wirklich im Prinzip dann auch alle wieder veröffentlicht, so gesehen verschwinden die ja nicht bei Google im Keller. Man muss natürlich schauen, dass die dann auch kommerzielle Interessen mit verfolgen, und insofern sind sie ja da nicht irgendwie besonders zu begünstigen. Aber insgesamt ist es schon so, dass man die größeren Konzerne natürlich da im Blick haben muss, aber das heißt eigentlich nicht, dass man jetzt extra deswegen neue Gesetze machen muss, man muss nur die bisherigen Gesetze auch vernünftig auslegen und dann auch anwenden.
Schwarz: Müssen vielleicht wir auch in Zukunft damit leben, dass wir durchleuchtet sind?
Seipenbusch: Nicht, dass wir durchleuchtet sind, aber dass wir eine neue Qualität von Informationsbereitschaft, -bereitstellung haben in der Informationsgesellschaft, das ist richtig, das ist ein Gewöhnungsprozess.
Schwarz: Der Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Jens Seipenbusch war das über die Debatte zu Google Street View und den Datenschutz im Internet. Herr Seipenbusch, herzlichen Dank!
Seipenbusch: Vielen Dank!