"Schließt die Schlupflöcher!"
Viele Manipulationen der Autoindustrie bei Tests zu Spritverbrauch oder Abgaswerten finden offenbar in einer rechtlichen Grauzone statt, auch die Nutzung sogenannter Thermofenster. Gerd Lottsiepen vom VCD fordert klarere Regelungen.
Immer neue Manipulationen der Autoindustrie bei Abgas- oder Verbrauchstests kommen ans Licht. So sollen sie auch sogenannte Thermofenster genutzt haben: Dabei werden die Abgaswerte unter Labortemperaturen von 20 bis 23 Grad getestet. Ist es auf der Straße aber kälter, schalten die Dieselfahrzeuge die Filter nach und nach ab, um den Motor zu schützen.
Manipulationen wie bei Mitsubishi in Deutschland "halblegal"
Die Nutzung dieses Thermofensters seien "total illegal", meint der verkehrspolitische Sprecher des Verkehrsclub Deutschland, Gerd Lottsiepen.
Es könne nicht sein, dass bei Temperaturen, die in Mitteleuropa vollkommen normal seien, zum Schutz des Motors die Abgasreinigung aussetze. "Das ist armselig, was die Industrie dort behauptet. Wenn so was nur den Schein einer Legalität haben sollte, muss es jetzt endlich und ganz eindeutig geklärt werden: das ist illegal."
Für Manipulationen wie bei Mitsubishi, wo mit erhöhtem Reifendruck der Spritverbrauch künstlich gesenkt wurde, würde in Deutschland niemand zur Rechenschaft gezogen. "Das muss sich alles ändern", so der VCD-Experte. "Das ist jetzt noch möglich, dass da solche Schlupflöcher geschlossen werden und dass ganz klare Regeln gesetzt werden."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Volkswagen hat sich offenbar mit den Behörden in den USA geeinigt auf eine Methode zur Entschädigung der 580.000 Besitzer von Dieselfahrzeugen dort, deren Abgaswerte manipuliert wurden. Es gibt zwei Varianten dieser Geschichte, die reine Wahrheit werden wir erst gegen 17.00 Uhr unserer Zeit wissen, denn dann läuft die Frist aus, die man Volkswagen in den USA gesetzt hatte.
Während das da drüben natürlich eine der Geschichten des Tages ist, haben in Europa die anderen Automobilhersteller, viele davon, für willkommene Ablenkung gesorgt, zumindest bei VW dürfte das willkommen sein: Denn gestern gab das Kraftfahrt-Bundesamt bekannt, dass es inzwischen festgestellt hat, dass viele Hersteller von Dieselfahrzeugen das sogenannte Thermofenster für Tricksereien ausgenutzt haben.
Einfach ausgedrückt ist es so, dass Abgaswerte unter Laborbedingungen bei ungefähr 20 bis 23 Grad getestet werden, dass aber Dieselfahrzeuge, wenn die Temperaturen unter 20 Grad sinken, die Abgasfilterung nach und nach reduzieren und sogar teilweise komplett abschalten, um den Motor zu schonen. Wir wollen deshalb über diese und andere Tricksereien sprechen mit Gerd Lottsiepen, dem verkehrspolitischen Sprecher des Verkehrsclubs Deutschland VCD. Herr Lottsiepen, schönen guten Morgen!
Gerd Lottsiepen: Guten Morgen, Herr Kassel!
"VW ist nur die Spitze des Eisbergs"
Kassel: Haben Sie das gewusst, dass das Thermofenster ein Schlupfloch ist?
Lottsiepen: Wir wussten, dass manipuliert wird, und wir wussten, dass die Zykluserkennung genutzt wird. Die Zykluserkennung kann über verschiedene Wege laufen. Eins davon ist, dass die Temperatur gemessen wird. Wir sind nicht überrascht, wir haben schon, als der Skandal im September aufkam, in unserer ersten Pressemitteilung gesagt: VW ist nur die Spitze des Eisbergs, andere werden folgen.
Kassel: Die Automobilhersteller berufen sich da ja auf eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2007, die dieses Herunterregeln zum Motorschutz grundsätzlich ja zulässt. Die Frage ist jetzt: Ist das, was die gemacht haben, in diesem Ausmaß nun illegal oder nicht?
Lottsiepen: Meines Erachtens ist es total illegal. Und das sagt auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Es kann nicht sein, dass bei Temperaturen, die bei uns vollkommen normal sind, in Mitteleuropa vollkommen normal sind, zum Bauteilschutz, also zum Schutz des Motors diese Abgasreinigung aussetzt. Das ist armselig, was die Industrie dort behauptet, dass … Wenn so was nur den Schein einer Legalität haben sollte, muss es jetzt endlich und ganz eindeutig geklärt werden: Das ist illegal.
Kritik am Kuschelkurs der Bundesregierung
Kassel: Aber trifft jetzt nur die Automobilhersteller die Schuld oder nicht doch auch die Behörden? Denn man hat ja das Gefühl, die mussten sich doch ziemlich lange davon überzeugen lassen, solche Verstöße wirklich zu kontrollieren und ernst zu nehmen!
Lottsiepen: Selbstverständlich. Die Bundesregierung und speziell das Bundesverkehrsministerium kuscheln seit Langem mit der Autoindustrie. Und man weiß ja inzwischen, dass das KBA, was für die Kontrolle der Daten zuständig ist, überhaupt nicht selbst gemessen hat, dass die nicht mal eine funktionierende Messstelle in Flensburg haben, sondern dass sie das immer von den Technischen Diensten machen lassen. Und da ist dann jemand dabei uns schaut, ob alles richtig ist, da gibt es viele, viele, viele Möglichkeiten zur Manipulation.
Kassel: Nun gibt es so viele Fälle inzwischen, es gibt noch den Fall aus Japan vom Automobilhersteller Mitsubishi, der vereinfacht ausgedrückt einfach den Reifendruck erhöht hat, damit der Kraftstoffverbrauch sinkt. Ziemlich simpler Trick, den man natürlich im Alltag eher nicht anwenden sollte. Muss man sich da nicht langsam fragen, ob die Messungen auch weltweit, aber auch in Deutschland, wie sie durchgeführt werden, nicht grundsätzlich Blödsinn sind, diese Laborbedingungen, wo ein Auto so gefahren wird, wie doch kein Mensch auf der Straße fährt?
Lottsiepen: Also, Tests unter Laborbedingungen sind nicht per se idiotisch und überflüssig. Aber was wir dringend brauchen, sind Messungen im Realverkehr. Und die sollten zukünftig auch für die Zulassung von Fahrzeugen vorgeschrieben sein. Und wichtig ist eben auch, dass unabhängige Institutionen beziehungsweise Behörden dafür zuständig sind und nicht eine Behörde, die so nachhaltig versagt hat wie das Kraftfahrt-Bundesamt.
Selbst Universitätsinstitute sind von der Autoindustrie abhängig
Kassel: Aber ganz ehrlich, gibt es überhaupt unabhängige Institutionen, die Autos prüfen?
Lottsiepen: Das ist schwierig. Ich kann mich an eine Fernsehsendung erinnern, als die Journalisten durch Deutschland fuhren und nach Möglichkeiten suchten, dass man messen lassen kann, weil alle Institutionen, die das machen – auch die Universitätsinstitute – heute zu stark von der Autoindustrie abhängig sind. Deshalb ist es ganz wichtig, dass der Staat das übernimmt. Der muss nicht unbedingt selber messen, aber der muss zum Beispiel Universitätsinstitute aufbauen, dafür sorgen, dass die regelmäßig Aufträge kriegen, dass die auch nicht abhängig sind von der Automobilindustrie. Das kann man alles machen, wenn man will.
Kassel: Nun wurde besonders, nicht nur – Mitsubishi war nicht Diesel –, aber besonders bei Dieselfahrzeugen offenbar manipuliert auf unterschiedliche Art und Weise. Müssen wir uns vielleicht auch von diesem Grundgedanken, der ja so traumhaft ist, weil auch noch der Dieselkraftstoff billiger ist, von diesem Grundgedanken verabschieden, dass Dieselmotoren wirklich richtig umweltfreundlich sein können?
Lottsiepen: Dieselmotoren werden ziemlich sicher bei kleineren Fahrzeugen verschwinden. Also, die werden in den kommenden Jahren zunehmend weniger angeboten. In der Stadt und für kürzere Strecken, wer also im Jahr nicht so viel fährt, ist dann eindeutig der Benziner die bessere Wahl. Sie brauchen richtig kleine Chemiefabriken beim Diesel, um den sauber zu bekommen. Also, theoretisch kann man auch den Diesel sauber bekommen, das ist aber sehr teuer.
Das Konsumentenvertrauen wird verspielt
Kassel: Aber ist nicht die Befürchtung berichtet, dass Verbraucher, Autofahrer sich sagen: Komm, das ist mir jetzt wurscht, ich kaufe jetzt das Auto, was mir am besten gefällt und was ich mir leisten kann, denn umweltfreundlich fahren kann ich nicht, denn ich weiß ja eh nicht, ob die Werte stimmen?
Lottsiepen: Die Gefahr ist zurzeit ziemlich groß, die Autoindustrie verspielt jedes Vertrauen. Je mehr bekannt wird, dass manipuliert wird, desto klarer ist auch eben das Unverständnis und das Misstrauen der Käufer.
Das, was Mitsubishi jetzt zugegeben hat und wofür der Vorsitzende des Konzerns eine tiefe Verbeugung der Entschuldigung gemacht hat, das regt bei uns ja keinen auf, dafür wird sich kein Autohersteller hinstellen und sich entschuldigen. Das mit dem Reifendruck, das ist bei uns eindeutig im halblegalen Bereich, also, da wird keiner zur Rechenschaft gezogen. Und das muss sich alles ändern.
Wir bekommen ja demnächst einen neuen Verbrauchstest, zunächst wird der auch noch im Labor ermittelt. Da muss ganz klar jetzt … Das ist jetzt noch möglich, dass da solche Schlupflöcher geschlossen werden, und dass ganz klare Regeln gesetzt werden. Und diese Messung auf der Straße ist ja auch schon beschlossen, zunächst allerdings nur für Stickoxid. Das ist gut, dass das gemacht wird, aber ergänzend müssen auch der Verbrauch, der CO2-Ausstoß, müssen real auf der Straße gemessen werden.
Kassel: Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland über Abgas- und andere Manipulationen und was daraus jetzt folgen müsste, sage ich mal als misstrauischer Mensch. Herr Lottsiepen, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Lottsiepen: Ja, ich auch!
Kassel: Schönen Tag noch!
Lottsiepen: Bis dann, tschö!
Kassel: Bis dann, bis zum nächsten Mal wahrscheinlich, bis zum nächsten Skandal.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.