Wem hilft ein Heimatministerium?
Jugend weg, Sparkasse dicht, Bus gestrichen - in vielen ländlichen Regionen fühlen sich die Menschen "abgehängt". Die Union will dem mit einem Heimatministerium begegnen. Das wird jedoch kaum etwas bringen, meint die Stadtforscherin Kerstin Faber.
Keine andere Partei vermochte sich bei der Bundestagswahl mehr zur Stimme der "Abgehängten" zu machen als die AfD. Das hat ihr viel Zulauf beschert, unter anderem in strukturschwachen Gebieten auf dem Land. Kann ein Heimatministerium Antworten finden auf das Gefühl, den Anschluss zu verlieren? Kaum, sagt die Urbanistin und Mitherausgeberin des Buchs "Raumpioniere in ländlichen Regionen. Neue Wege der Daseinsvorsorge", Kerstin Faber.
Sehr unterschiedliche Herausforderungen
Die Herausforderungen im ländlichen Raum seien sehr heterogen, so Faber im Deutschlandfunk Kultur. "Ich weiß nicht, was ein Heimatministerium an der Stelle programmatisch befördern soll." Es sei sicher gut, eine starke Stimme für die ländlich peripheren Räume auf Bundesebene haben. "Eine Schablone über das Land zu ziehen", funktioniere jedoch nicht - dafür sei die Entwicklung der Räume zu unterschiedlich.
Verändern lasse sich das Gefühl des Abgehängtseins laut der Urbanistin beispielsweise, indem man Menschen, die diesen Raum aktiv mitgestalten wollten, unterstütze. Faber: "Es ist immer schwierig, wenn Menschen mit Ideen kommen, die ungewöhnlich sind und Verwaltungen keine Antworten - keine Schubladen - dafür haben." Man müsse deshalb dafür sorgen, "dass Verwaltungen mehr Mut und mehr Risiko mittragen".
Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Die besonders schlechten Wahlergebnisse der großen Parteien in ländlichen Gebieten haben diese, also die Parteien, jetzt zu der Erkenntnis kommen lassen, dass Menschen, die in Deutschland auf dem Land wohnen, in vielerlei Hinsicht benachteiligt seien – abgehängt, wie man heute ja gerne sagt – und, dass die Politik, auch die Bundespolitik, da mal etwas machen müsse. Konkret weiß man noch nicht so richtig was. Man hat ja nun gestern auch eher auf Unionsebene über andere Sachen diskutiert, aber ein Begriff ist sogar schon gefallen, eben bei CDU und vor allem CSU: der Begriff Heimatministerium.
Aber was könnte denn ein solches Ministerium überhaupt tun, oder viel konkreter gefragt, denn dieser Vorschlag ist so konkret bisher noch nicht: Wo liegen die Probleme des ländlichen Deutschlands wirklich? Wie kann man sie lösen, und welche davon sind vielleicht, ehrlich gesagt, unlösbar? Wir wollen darüber mit Kerstin Faber reden. Sie ist Urbanistin, Mitherausgeberin des Buches "Raumpioniere in ländlichen Regionen: Neue Wege der Daseinsfürsorge". Zurzeit ist sie außerdem auch noch Projektleiterin für die internationale Bauausstellung in Thüringen. Frau Faber, schönen guten Morgen!
Kerstin Faber: Guten Morgen!
Kassel: Wenn Sie sich mal ganz frei alles drunter vorstellen könnten, denn konkret wurde das noch nicht definiert: Könnte so ein Heimatministerium, also eine Bundeseinrichtung zur Förderung des ländlichen Raums, in irgendeiner Form sinnvoll sein?
Es gibt keine Schablone für "das Land"
Faber: Es ist schwierig, weil die Herausforderungen im ländlichen Raum oder generell in der räumlichen Entwicklung sehr heterogen sind, und ich weiß nicht, was programmatisch ein Heimatministerium an der Stelle genau befördern soll. Es ist gut, eine stärkere Stimme, gerade für die ländlich-peripheren Räume, auch auf Bundesebene zu haben, aber genau dieser Moment, eine Schablone über das Land zu ziehen und auf ein gleiches Problem, was nicht in jeden Räumen gleich ist, gleiche Antworten zu finden, funktioniert eben nicht, weil die Entwicklungen sehr heterogen sind. Das fängt schon dabei an, was ist eigentlich der ländliche Raum, und wie unterschiedlich entwickeln sich eigentlich unsere Räume. Deswegen bin ich mir nicht ganz so sicher, was so ein Heimatministerium genau an Antworten bringen soll.
Kassel: Wenn wir aber jetzt zum Beispiel generell hören, der ländliche Raum sei abgehängt – würden Sie sagen, je nachdem, von was er abgehängt sein soll, stimmen Sie dem zu oder sagen Sie dann auch, das ist auch schon wieder überall anders?
Faber: Genau. Das ist auch schon wieder überall anders. Wir können das eben nicht alles so verallgemeinern. Es gibt auch tatsächlich ländlich-periphere Räume, die sind gar nicht abgehängt. Das hängt damit zusammen, wie sie sich kulturell über die Jahrzehnte entwickelt haben, wie sie sich auch wirtschaftlich über die Jahrzehnte entwickelt haben. Sie haben auch Räume, die sind näher an den Großstädten und haben trotzdem Probleme, Zuzug oder generell überhaupt ihre Bevölkerung auch vor Ort zu halten. Das ist wirklich extrem unterschiedlich.
Tatsache ist, dass wir von den Veränderungen her es auch in den letzten Jahrzehnten mit einer Urbanisierung der Lebensstile zu tun haben. Das heißt, die Bedürfnisse, die Menschen in größeren Städten haben, sind auch zunehmend die Bedürfnisse, die Menschen in ländlich-peripheren Räumen haben. Das hängt schon damit zusammen, dass sich unsere Arbeitsstile und unsere Arbeitsweisen verändert haben. Es arbeiten ja kaum noch mehr Leute im Primärsektor, also im landwirtschaftlichen Bereich. Das alles führt natürlich dazu, dass sich die Wünsche und die Vorstellungen, wie man lebt, wo man lebt, verändern, und das alles führt auch wiederum dazu, dass es verstärkt zu einer Abwanderung, gerade von jüngeren Menschen, aus verschiedenen ländlichen Räumen gibt.
Kassel: Aber wenn ich Sie jetzt doch dazu drängen kann – ich versuche das jetzt noch einmal, Frau Faber –, ein bisschen zu generalisieren, auch als Wissenschaftlerin: Was, würden Sie sagen, sind die Dinge, die auf dem Land – ich formuliere es mal sehr vorsichtig – viele Menschen doch den Eindruck haben lassen, wir sind ein bisschen abgehängt?
Faber: Das hat natürlich durchaus … Wir haben es mit einem Rückgang des öffentlichen Nahverkehrs zu tun. Das ist immer so der erste Punkt, der so oft angeführt wird. Man muss aber natürlich auch immer ein bisschen dabei betrachten, dass gerade Menschen, die auf dem Land leben, sowieso hochmobilisiert sind, weil sie flexibel sein müssen. Man kann ja auf dem Land eben nicht das gleiche Angebot tatsächlich in der Dichte ermöglichen, wie man es in einer Großstadt, gerade auch, was den öffentlichen Verkehr angeht. Wir haben es aber auch in den letzten 15, 20 Jahren mit einer Schließung von Schulen zu tun gehabt, gerade da, wo Menschen auch abgewandert sind, wo wenig junge Menschen, also Kinder geboren wurden, sind Schulen geschlossen worden.
Wir haben Kulturinstitutionen, die sich natürlich dann auch gerade – das betrifft jetzt den Osten von Deutschland –, Kulturinstitutionen, die im ländlichen Raum waren, sind sowieso schon vor 20, 25 Jahren teilweise geschlossen worden. Wir haben Nahversorger, kleine Geschäfte, die sich in den letzten 10, 15 Jahren zurückgezogen haben, also geschlossen wurden. Also wir haben im Prinzip so eine Infrastruktur, sowohl sozial wie auch technisch, die reduziert wurde, und das führt natürlich nicht unbedingt dazu, dass der ländlich-periphere Raum attraktiver für Zuzug wird, und genau da müssen im Grunde genommen Strategien entwickelt werden, wie es da wieder sein kann.
Verwaltungen fehlt oft der Mut neue Wege zu gehen
Kassel: Aber was für Strategien könnten das denn sein?
Faber: Das könnte zum Beispiel darin sein, dass man Menschen, die aktiv diesen Raum mitgestalten wollen, also wo es um gemeinschaftliche Projekte geht, wo es zum Beispiel darum geht, also Schulen, kleine Schulen neu zu eröffnen, wo es darum geht, vielleicht alternative Mobilitätsformen zu ermöglichen, gemeinschaftliche Projekte zu ermöglichen, dass diese Menschen vor Ort aktiv unterstützt werden in der Umsetzung dieser Projekte. Das bedeutet nicht, dass sie jetzt alle ehrenamtlich die Daseinsvorsorge stemmen sollen. Das ist damit überhaupt nicht gemeint, aber es geht schon darum zu überlegen, wie können Staat und Zivilgesellschaft und auch Markt vielleicht stärker zusammenarbeiten, um attraktivere Räume zu entwickeln.
Kassel: Höre ich da bei Ihnen raus, dass manchmal auch die kommunale Verwaltung oder auch die Landesverwaltung, wenn vielleicht manchmal auch nicht absichtlich, da noch Steine in den Weg legt, weil man sich da noch nicht umgestellt hat auf neue Anforderungen?
Faber: Es ist immer schwierig, wenn Menschen mit Ideen kommen, die ungewöhnlich sind und Verwaltungen natürlich keine Antworten, keine Schubladen darauf haben, wie sie damit umgehen sollen. Es sind auch Risiken teilweise dann damit verbunden, dass man nicht weiß, welche Auswirkungen bestimmte Maßnahmen haben könnten. Das heißt, man muss eher dafür sorgen, dass Verwaltungen mehr Mut und mehr Risiko mittragen, dass natürlich die Politik so etwas motiviert, dahingehend auch bestärkt, solche Aktivitäten, wenn es zum Beispiel darum geht… Also die Bürgerbusse sind immer das einfachste Beispiel, um das zu erklären. Das sind im Grunde genommen alternative Gemeinschaftsmobilitätsformen, wo Bürger Bürger befahren. Es gibt in Deutschland über 200 Bürgerbusvereine, davon alleine in Nordrhein-Westfalen 100, und das hat den Grund, dass dort die Landespolitik erkannt hat, dass dieses System durchaus zu einer Unterstützung der Entwicklung des ländlichen Raums beiträgt und hat dort eine Unterstützung in Form einer Organisationspauschale von 5.000 Euro zugesichert jedem Bürgerbusverein und Unterstützung in der Anschaffung der zumeist Kleinbusse, also das sind diese Neunsitzer. Und die …
Kassel: Ist es nicht vielleicht auch …
Faber: Ja?
Kassel: Entschuldigung, reden Sie erst mal weiter.
Wichtige Rolle der Zivilgesellschaft
Faber: Diese Busse fahren im Prinzip Strecken, die das normale Verkehrsunternehmen, was auch in diesen Regionen immer noch unterwegs ist, nicht mehr bedient. Also sie sind keine Konkurrenz zu dem normalen ÖPNV, sondern eine Ergänzung, und genau darum geht es. Es geht um eine Ergänzung, also eine Attraktivierung des ländlichen Raums, der vielleicht mit Unterstützung der Zivilgesellschaft vor Ort dann geleistet werden kann, aber ganz wichtig ist, dass es von unten kommt, also dass es von den Menschen selbst kommen muss. Man kann es nicht praktisch befehligen, dass so etwas passiert.
Kassel: Und vielleicht auch deshalb nicht, weil oft Zusammenhänge nicht klar erkannt werden. Nehmen wir das Beispiel Ärztemangel auf dem Land. Haben Sie noch nicht angesprochen, aber lassen Sie uns einen bestimmten Aspekt noch besprechen. Da heißt es immer, die Krankenkassen müssen vielleicht Sonderetats haben, die Praxen müssen billiger vermietet werden, wir müssen günstigere Kredite … Aber ein Arzt will doch vielleicht auch deshalb nicht aufs Land, weil etwas anderes dort problematisch ist, was Sie schon erwähnt haben, nämlich dass er keine Schulen findet für seine Kinder und ähnliches. Also wird vielleicht manchmal auch vergessen, wie sehr die einzelnen Probleme alle zusammenhängen?
Faber: Das mag schon sein, aber sehen Sie, wenn Sie Medizin studieren, studieren Sie das in der Regel auch in der Großstadt, wie viele andere Studiengänge, und es ist heute nun mal so, dass man überlegt, möchte man dann aus dieser Großstadt dann wieder sofort in den ländlich-peripheren Raum ziehen, und Arzt zu sein heißt natürlich auch, in eine Praxis und eine Selbstständigkeit zu investieren, und das muss man sich auch als junger Mensch dann erst mal überlegen, wo man das genau macht.
Ich finde zwei Systeme, was den Ärztemangel angeht, ganz interessant: Das sind einmal die medizinischen Versorgungszentren, die im Grunde genommen die Möglichkeit haben, Ärzte, auch junge Ärzte, erst mal anzustellen, um sie dann im Grunde genommen zum Beispiel zur Versorgung des ländlichen Raumes dann natürlich auch zu befähigen, was ich ein ganz interessantes Modell finde, weil man dadurch auch erst mal reinschnuppern kann, auch in die Räume selbst, oder ich kenne auch schon Beispiele, wo sich Arztpraxen, verschiedene, zusammenschließen, die dann gemeinsam eine Praxis dann auf dem Land betreiben und sich dort abwechseln im Prinzip. Dann ist der eine aus der Stadt mal dann vor Ort und der andere dann aus der Stadt jeweils einen Tag in der Woche. Das sind diese Systeme, die dann im Grunde genommen auch schon entwickelt werden, dass man nicht unbedingt dann gleich noch eine neue Praxis immer mit einem Risiko – was ja mit einem Risiko verhaftet ist – eröffnen muss.
Kassel: Ich habe so ein bisschen das Gefühl, ich muss einfach nur ein Problem erwähnen, und Sie haben zumindest einen Vorschlag, wie man das lösen könnte, beschlossen.
Faber: Ja, das ändert nichts an der Entwicklung des ländlichen Raums, das sind natürlich auch alles erst mal so Situationen, die an den Symptomen rumdoktern. Ich glaube, wo …
Kassel: Das ist richtig. Deshalb wollte ich gerade sagen – ich habe das aber auch beschlossen –, ich werde Sie – und ich verspreche Ihnen das – in Zukunft öfter fragen. Für heute ist unsere Zeit rum, aber ich komme gerne noch mal drauf zurück! Kerstin Faber war das, Urbanistin. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Faber: Ich danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.