Abgehobener Machtmensch

Von Peter Philipp |
Mubarak wird gehen müssen. Heute, morgen oder übermorgen. Ob dies in geordneter und kultivierter Form geschieht, hängt von ihm ab. Wartet er zu lange, könnte der Ruf nach Rache aufkommen.
Es sollte der "Tag des Abgangs" werden, aber selbst die meisten der Demonstranten von Kairo und Alexandria dürften nicht ernsthaft geglaubt haben, dass Noch-Präsident Hosni Mubarak sich an ihren Fahrplan halten würde. Besonders nicht, nachdem er gegenüber einer amerikanischen Fernsehreporterin erklärt hatte, er habe ja eigentlich genug, bleibe aber, weil sonst das große Chaos ausbreche. Wenn es auch Taktik war, so hatte Mubarak nun selbst von der Möglichkeit eines Rücktritts gesprochen. Nicht jetzt freilich und schon gar nicht unter dem Druck des Massenprotests. Aber eben doch: Das Ende seiner Amtszeit erscheint auch dem Mann plötzlich als Möglichkeit, der sich vor wenigen Wochen noch anschickte, bei den Präsidentschaftswahlen im September erneut zu kandidieren. Zum "Tag des Abgangs" wenigstens der Ansatz zu einem "gefühlten Abgang".

Mubarak musste zu dieser Erkenntnis förmlich getrieben werden. Wie zuvor der inzwischen vertriebene tunesische Präsident Ben Ali und das jemenitische Staatsoberhaupt Saleh ist auch Mubarak überzeugt, dass er doch das ganze Leben dem Dienst an Volk und Vaterland geopfert habe. Und wie die anderen beiden versteht er nicht, warum ihm dies nun mit solchen Undank gelohnt wird. Verständnislosigkeit eines kranken alten Mannes, aber ebenso die Abgehobenheit eines Machtmenschen, der in den drei Jahrzehnten an der Spitze längst den Draht zum Volk verloren hat.

Es wären nie 30 Jahre geworden, wenn Mubarak es nicht immer wieder aufs Neue verstanden hätte, seine Machtposition abzusichern und zu stärken. Dies versuchte er auch jetzt, indem er nach den ersten Protesten einige enge und zuverlässige Weggefährten in Schlüsselstellungen des Machtapparates brachte. Vor allem den bisherigen Geheimdienstchef Omar Suleiman, dem er den neu geschaffenen Posten des Vizepräsidenten übertrug. Für viele war dies bereits ein erster Hinweis, dass Mubarak hier einen Nachfolger aufzubauen versuchte, der sich bereits des Öfteren in heiklen Missionen bewährt hatte, nun aber eben als Mitglied des Regimes in den Augen der Opposition diskreditiert ist.

Dies gilt jedoch nicht für US-Präsident Barack Obama: Nach erstem Zögern scheint er entschlossen, den "Abgang" Mubaraks nun mit Nachdruck zu verfolgen. Und da kommt ihm Suleiman gelegen. Schon jetzt führt dieser weitgehend die Amtsgeschäfte, er soll nun nach Meinung Washingtons zumindest bis zur Wahl den Interims-Präsidenten abgeben. Und in der Zwischenzeit versuchen, die politischen Strömungen und Parteien zu einer breiten Zusammenarbeit zu überreden, deren Ziel es ist, Wahlrechts-, Verfassungs- und andere Reformen vorzubereiten, damit die Weichen gestellt sind für den "Übergang" in eine neue Zeit.

"Übergang" statt "Abgang" also? Nein, Mubarak wird gehen müssen. Heute, morgen oder übermorgen. Der von ihm neu berufene Ministerpräsident, Ahmed Shafiq, plädiert aber dafür, dass dies nicht unter dem Druck der Straße, sondern in geordneter und kultivierter Form geschieht. So, wie man einst auch den gestürzten König "in Ehren" verabschiedet habe. Den Demonstranten muss dieser Vorschlag wie Hohn klingen. Besonders denen, die von der Polizei oder organisierten Schlägertrupps des Regimes zusammengeschlagen worden waren. Noch fordern sie nur, dass Mubarak das Land verlässt. Wartet er zu lange, könnte der Ruf nach Rache aufkommen.

Die Amerikaner setzen bei ihren Bemühungen um Kontinuität auf ihre Verbindungen zur ägyptischen Armee. Eine Beziehung, die viele Jahre lang sehr eng war. Washington muss sich allerdings hüten, den Ägyptern – auch der Armee – eine Lösung zu diktieren. Solch ein Versuch könnte auch die beste Freundschaft ruinieren. Die Zahl ihrer Freunde in der Region – das wissen die Amerikaner sicher genau – ist gerade dabei, weiter zu schwinden: Entweder, weil die bisherigen Verbündeten sich im Stich gelassen fühlen oder weil USA-Kritiker ihre Nachfolge antreten könnten. Nicht nur in Ägypten, sondern in weiten Teilen der arabischen Welt.

Angesichts solcher Probleme kann man sich über die Reaktion der Europäer eigentlich nur wundern: Jahrelang wollten sie zwar einen Mittelmeer-Dialog führen, gegenüber den jüngsten Entwicklungen in Tunis und Kairo erscheinen sie aber rat- und hilflos: Die Tunesier sind ganz ohne europäische Ratschläge ausgekommen und die Ägypter brauchen keine Aufforderung Brüssels nach sofortigem Übergang. Den können und werden sie wahrscheinlich selbst schaffen. Vielleicht ohne die USA, ohne die EU aber allemal.