Schausteller fühlen sich im Stich gelassen
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Leere oder gleich ganz abgesagte Weihnachtsmärkte: Für die Schaustellerbranche zerschlagen sich in diesen Tagen die letzten Hoffnungen auf ein glimpfliches Ende eines katastrophalen Geschäftsjahrs. Die staatlichen Hilfen seien nicht ausreichend, meinen einige.
Thilo Wollenschläger steht in der großen Lagerhalle, es riecht nach Lack und frischer Farbe. Eine große Weihnachtsmannfigur steht herum, daneben eine Losbude, die gerade neu angestrichen wird.
Thilo Wollenschläger leitet einen Brandenburger Schaustellerbetrieb in fünfter Generation. Ende November ist er normalerweise mit Buden auf dem Weihnachtsmarkt. Das ist die wichtigste Geschäftszeit im Winter, sie trägt das Unternehmen über die harten, ersten Monate des neuen Jahres.
"Wir sind hier in unserem Winterquartier. Normalerweise verbringen wir hier unsere Winterpause", sagt Wollenschläger. "Hier werden dann die dementsprechenden Fahrgeschäfte und Geräte, Imbiss- und Getränkestände, die Verlosungsbuden im Winter überholt. Aber mittlerweile sind wir schon das ganze Jahr hier."
"Der Geldbeutel ist leer"
Dieses Jahr lief alles anders. Die Großveranstaltungen mussten wegen Corona allesamt abgesagt werden. Die große Jolly-Joker-Losbude, die Schiffschau und die Walzerbahn sind unfreiwillig im Dornröschenschlaf.
"Wenn man sich den Geldbeutel anschaut, gibt es nichts zu tun. Der Geldbeutel ist leer. Auf der anderen Seite versucht man, sich in die Arbeit reinzustürzen, dass der Kopf etwas frei bleibt. Am besten von morgens um sieben bis abends um sieben."
Auf etwa 20 Veranstaltungen sind die Wollenschlägers normalerweise pro Jahr mit Losbuden, Bierzelt oder Fahrgeschäften vertreten. 15 davon organisieren sie selbst und laden andere Schaustellerbetriebe ein, dort ihre Buden aufzubauen. Doch schon seit Monaten gibt es für die Wollenschlägers nichts zu tun – wegen Corona. Die 15 Angestellten sind großteils in Kurzarbeit. Unter Normalbetrieb hat das Familienunternehmen laufende Kosten von etwa 30.000 Euro, die haben sie jetzt auf das nötigste reduziert.
"Ich würde mal sagen, wir haben das so runtergefahren auf 10.000 Euro. Man kann sich das dann ausrechnen: Wenn wir jetzt zehn Monate nicht am Start waren, ist man bei 100.0000 Euro. Und wenn es 9.000 Euro gab, dann ist das natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein."
Die Hoffnung ruhte auf den Weihnachtsmärkten
Die 9.000 Euro Soforthilfe der Bundesregierung konnten hier nicht viel ausrichten. Die Wollenschlägers leben momentan von Rücklagen. Die waren eigentlich für Investitionen gedacht und schwinden nun von Monat zu Monat. Das wichtige Weihnachtsgeschäft scheint nun auch komplett auszufallen.
"Wir hatten im Frühjahr die Situation, dass wir unsere Veranstaltungen vorbereitet haben und dann kam Corona. Im Sommer mit den sinkenden Zahlen hatten wir ganz groß auf die Weihnachtsmärkte gehofft. Dann haben wir wieder alles vorbereitet. Dann kam die zweite Welle und da ist das ganze Kartenhaus wieder zusammengefallen. Jetzt ist das Schlimme das Ungewisse. Wir wissen ja gar nicht, wie die Situation nächstes Frühjahr, an Ostern ist. Bisher wurden unsere Hoffnungen in letzter Zeit immer über den Haufen geworfen und wir wurden immer wieder massiv enttäuscht."
Die Coronakrise zwingt Wollenschläger zur Untätigkeit. Und noch weiß er nicht, wann er seine Geschäfte wieder aufnehmen kann. Wann er endlich wieder ausfahren kann mit Losbuden, Ständen und Bierzelten. Das zehrt an den Nerven.
"An das Geschäft verliert man nicht den Glauben. Man verliert eigentlich so den Glauben an die Politik, die einem helfen sollte in so einer Krise. Und wir fühlen uns da ganz schön alleine gelassen. Wie man so schön sagt: Man lässt uns am steifen Arm verrecken. Da muss man natürlich auch überlegen, ob man in so einer Krise noch mit dem Gedanken spielt, das an die nächste Generation weiterzugeben."
Aufgeben ist keine Option
Tochter Paula ist heute auch in den Lagerhallen unterwegs. Sie ist 20 Jahre alt, studiert Eventmanagement und möchte das Unternehmen trotz Krise einmal übernehmen. Da ist sie sich sicher. Seit sie acht Jahre alt ist, hilft sie auf den Veranstaltungen tatkräftig mit.
"Also dadurch, dass man da total reingeboren ist, weil ich das ja auch von Geburt an mitbekommen habe. Ich war immer mit auf den Rummelplätzen. Das ist einfach ein ganzes Leben, da kann man nicht sagen, das möchte ich nicht werden, denn das steckt so in einem."
Und deshalb ist für sie klar: Sie wird um ihren Betrieb kämpfen, Aufgeben ist keine Option.
"Für mich ist das einfach so ein einzigartiger Beruf und mir macht es einfach Freude, anderen Menschen Freude bereiten zu können."
Aber wie lange noch? Die Coronakrise trifft die Schausteller härter als viele andere Branchen. Die Pandemie hat ihr Geschäftsmodell über Nacht in Frage gestellt.
"Manche Kollegen haben sich natürlich nach dem Weihnachtsmarkt 2019 in der Wintersession neue Fahrgeschäfte bauen lassen, wie zum Beispiel ein Riesenrad. Das ist eine Millionenanlage. So ein Riesenrad kostet so drei Millionen oder sogar mehr und das Geld nimmt man ja normalerweise nicht aus der Portokasse. Um diese Kredite abzubezahlen, laufen natürlich die ganzen Raten weiter. Wenn jetzt gesagt wird: Man kann ja das Anlagevermögen verkaufen – keiner will momentan ein Riesenrad haben. Es ist einfach wertlos."
Die Eventbranche hat eine schwierige Perspektive
Wenn keine Veranstaltungen stattfinden, kauft niemand ein Riesenrad, Investitionen verlieren an Wert, das Betriebsvermögen schrumpft. Und die Perspektiven für Veranstaltungsfirmen wie die Wollenschlägers sind schwierig, räumt auch Konjunkturexperte Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ein.
"Also die Branchen, die in diesem Eventbetrieb tätig sind, haben es jetzt prinzipiell schwer."
Trotzdem ist seiner Einschätzung nach Besserung in Sicht. Die jetzt von der Bundesregierung beschlossenen Ausgleichszahlungen würden die Betriebe wirksamer entlasten als die Soforthilfe im vergangenen Frühjahr. Auch Schausteller wie die Wollenschlägers würden davon profitieren, meint Michelsen:
"Bis in den Herbst hinein gab es eben keine gezielte Unterstützung dieser Branchen, sondern eine pauschale Unterstützung. Wer es bis jetzt geschafft hat – so ist vielleicht die positive Nachricht – der kann jetzt damit rechnen, dass diese doch relativ großzügige Kompensation stattfindet. Immerhin gibt es ja Dreiviertel dessen, was normalerweise erwirtschaftet worden, wäre durch den Staat erstattet. Das ist etwas, was für mein Dafürhalten für den allergrößten Teil der Betriebe auch reichen sollte, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten."
Darauf hofft auch Thilo Wollenschläger. Er steht in seiner Lagerhalle und blickt auf die frisch lackierte Losbude, auf Marktstände und Zelte, die jetzt erstmal eingemottet werden – auf unbestimmte Zeit. Eine zermürbende Situation. Doch Wollenschläger will sich nicht entmutigen lassen:
"Generell muss man als Schausteller erstmal Berufsoptimist sein. Ich gucke trotz allem positiv in die Zukunft. Wir sind jetzt schon wieder dabei, unsere Veranstaltungen für das Frühjahr zu organisieren. Wir organisieren hier unser Leben täglich aufs Neue und wir hoffen, dass sich Corona dann irgendwann wieder weitgehend verzogen hat."