Abgeschleckt und abgeschoben
Die Tochter von Klaus Kinski beschreibt, wie sie missbraucht wurde: Sie blickt in einen menschlichen Abgrund, um den herum alles so schön schimmert. Hinter den stürmischen Schilderungen von Pola Kinski steckt das verratene Kind, das sich nach normaler Elternliebe sehnt.
"Kindermund": Schon der Titel ist eine direkte Anspielung auf den Vater, Klaus Kinski. Auf diesen tobenden, geifernden Mann, der für seine Ausbrüche bekannt war; mehr noch, der dafür gefeiert und bewundert wurde. Seine Autobiografie "Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund" war in den 1980er-Jahren Kultbuch für viele Intellektuelle. Jetzt also Pola Kinskis Gegenentwurf, in dem der alles beherrschende Vater vom Podest gestoßen wird: Sie zeigt einen Mann, der so von Macht und Kontrolle besessen war, dass er für sich keine Grenze akzeptierte – auch nicht die des eigenen Kindes.
Jetzt also holt dieses Kind zum Gegenschlag aus: ausdrucksstark. Da ist Pola Kinski ganz die Tochter des Vaters. Sie geht nie eine Treppe rauf, sondern sie stürmt. Tauben spritzen auseinander, sie fliegen nicht. Der Vater küsst nicht, er schleckt. Nichts ist normal. Alles wird wortgewaltig beschrieben. Das liest sich gut. Aber hinter all diesen Schilderungen steckt das verratene Kind, das sich bis heute nach normaler Elternliebe sehnt.
Pola Kinski wird in einer Art Wohlstandverwahrlosung groß: Vom Vater wird sie mit prachtvollen Geschenken und später auch mit immens hohen Geldzuwendungen überschüttet. Sie bekommt Klamotten, Schmuck, alles edel, alles teuer. Braucht sie einen Mantel, ruft sie den Vater an, der schickt ihr sofort Geld. Besucht sie ihn, lebt sie in grandiosen Villen, fährt in riesigen Luxusautos mit Chauffeur durch die Gegend und hat Dienstboten. Das Leben bei der Mutter hingegen ist gekennzeichnet von emotionaler Kälte. Sobald Pola stört, wird sie abgeschoben, später auch in Internate. Es ist der Schrecken einer Kindheit ohne Liebe. Pola Kinski wird zum Gegenstand degradiert. Zur Vorzeigepuppe – und eben auch zum Sexobjekt, wie sie an einer Stelle schreibt.
Es ist ein Blick in den menschlichen Abgrund, der umso tiefer scheint, weil alles drum herum so schön schimmert. Und so tut Pola Kinskis Buch dort am meisten weh, wo es deutlich macht: Die Sehnsucht, geliebt zu werden, hört nie auf. Denn obwohl sie Klaus Kinski als Täter offenbart, beschreibt sie auch die Liebe, die er ihr trotz allem als Vater entgegenbrachte. Anders als die Mutter, die erschreckend namenlos bleibt, und ihrer Tochter kalt bis zur Grausamkeit begegnet.
Zwei Szenen im Buch sind besonders bezeichnend für diese Beziehung: Als Pola Kinski mit 19 Jahren endlich den Missbrauch des Vaters in der Familie öffentlich macht, lautet die Reaktion der Mutter: Ich habe mir das ja schon immer gedacht. Du kamst jedes Mal so verstört nach Hause. Mehr nicht! Und als Klaus Kinski 1991 stirbt, ist sie es, die sagt: "Ach, ich bin ihm nicht böse, es war schon ein toller Kopf!" Das liest sich wie der ultimative Todesstoß.
Rezensiert von Kim Kindermann
Pola Kinski: Kindermund
Insel Verlag, Berlin 2013
267 Seiten, 19,95 Euro
Jetzt also holt dieses Kind zum Gegenschlag aus: ausdrucksstark. Da ist Pola Kinski ganz die Tochter des Vaters. Sie geht nie eine Treppe rauf, sondern sie stürmt. Tauben spritzen auseinander, sie fliegen nicht. Der Vater küsst nicht, er schleckt. Nichts ist normal. Alles wird wortgewaltig beschrieben. Das liest sich gut. Aber hinter all diesen Schilderungen steckt das verratene Kind, das sich bis heute nach normaler Elternliebe sehnt.
Pola Kinski wird in einer Art Wohlstandverwahrlosung groß: Vom Vater wird sie mit prachtvollen Geschenken und später auch mit immens hohen Geldzuwendungen überschüttet. Sie bekommt Klamotten, Schmuck, alles edel, alles teuer. Braucht sie einen Mantel, ruft sie den Vater an, der schickt ihr sofort Geld. Besucht sie ihn, lebt sie in grandiosen Villen, fährt in riesigen Luxusautos mit Chauffeur durch die Gegend und hat Dienstboten. Das Leben bei der Mutter hingegen ist gekennzeichnet von emotionaler Kälte. Sobald Pola stört, wird sie abgeschoben, später auch in Internate. Es ist der Schrecken einer Kindheit ohne Liebe. Pola Kinski wird zum Gegenstand degradiert. Zur Vorzeigepuppe – und eben auch zum Sexobjekt, wie sie an einer Stelle schreibt.
Es ist ein Blick in den menschlichen Abgrund, der umso tiefer scheint, weil alles drum herum so schön schimmert. Und so tut Pola Kinskis Buch dort am meisten weh, wo es deutlich macht: Die Sehnsucht, geliebt zu werden, hört nie auf. Denn obwohl sie Klaus Kinski als Täter offenbart, beschreibt sie auch die Liebe, die er ihr trotz allem als Vater entgegenbrachte. Anders als die Mutter, die erschreckend namenlos bleibt, und ihrer Tochter kalt bis zur Grausamkeit begegnet.
Zwei Szenen im Buch sind besonders bezeichnend für diese Beziehung: Als Pola Kinski mit 19 Jahren endlich den Missbrauch des Vaters in der Familie öffentlich macht, lautet die Reaktion der Mutter: Ich habe mir das ja schon immer gedacht. Du kamst jedes Mal so verstört nach Hause. Mehr nicht! Und als Klaus Kinski 1991 stirbt, ist sie es, die sagt: "Ach, ich bin ihm nicht böse, es war schon ein toller Kopf!" Das liest sich wie der ultimative Todesstoß.
Rezensiert von Kim Kindermann
Pola Kinski: Kindermund
Insel Verlag, Berlin 2013
267 Seiten, 19,95 Euro