Abgeschminkt

Von Johannes Halder |
Körperliche Schönheit war schon in der Antike beherrschendes Thema in der Kunst. Wie sich der Kult um makellose Leiber als ästhetischer Maßstab in der aktuellen Kunst manifestiert, untersucht die Ausstellung "bildschön". Zu sehen sind Arbeiten von fast vierzig Künstlerinnen und Künstlern wie Marlene Dumas, Cindy Sherman oder Rosemarie Trockel.
Eine Frau kämmt sich. Beidhändig fährt sie mit Kamm und Bürste durch ihre schwarze Mähne, sie kämmt und strähnt und striegelt wie besessen und steigert sich in einen verzweifelten Wahn, in dem sie schließlich keucht und stöhnt und immer wieder die gleichen Sätze hervorstößt, eine Dreiviertelstunde lang:

"Die Kunst muss schön sein. Die Künstlerin muss schön sein."

1975 hat die serbische Künstlerin Marina Abramovic das Schwarzweißvideo gedreht, eine Performance, die weibliche Körperpflege wie eine schmerzhafte Gewalttat erscheinen lässt. Die Künstlerin ist schön und jung, mit geschminkten, vollen Lippen, manchmal sieht man ihre nackten Brüste, und ihr Blick verrät, dass sie mit einer gewissen Lust am Exhibitionismus bei der Sache ist.

Schönheit ist anstrengend, so die Botschaft der Selbstdarstellerin. Sie ist ein Zwang, dem die Frauen unterworfen sind, und wenn eine Frau damals in der Kunst was werden wollte, war sie besser bedient, wenn sie auch schön war.

Marina Abramovic hatte Glück, sie brachte es mit ihrer erotisch betonten Körperkunst zu internationalem Renommee, und am Erfolgsrezept ihrer Kunst hat sich nichts geändert: Zeigefreudige Frauen und onanierende Männer gehören bis heute zum Repertoire ihrer Videos.

Ihre frühe Arbeit markiert die historische Eckposition in der Karlsruher Schau, gleich gefolgt von Valie Export, die den Schönheitskult mit feministischer Ironie als lächerliche Illusion entlarvt, 1976 mit der großformatigen Fotoserie von einer Hausfrau, die in der Kittelschürze posiert als wäre sie ein Supermodel.

Dabei ist die Sehnsucht nach körperlicher Perfektion nicht nur eine anthropologische Konstante. Schönheit ist längst so etwas wie eine gesellschaftliche Pflicht, bestätigt Kuratorin Melanie Ardjah:

"Es ist eben dieser soziale Faktor der Schönheit. Also was für eine Macht strahlt das natürlich auch aus. Und wenn man durch die ganze Geschichte hindurch schaut, dann ist es natürlich auch was, was mit Prestige, mit Anerkennung, mit Zuneigung, mit all diesen Dingen zu tun hat, die einem Menschen natürlich auch gut tun und ihn zu einem sozialen Status verhelfen."

In der bürgerlichen Gesellschaft war Schönheit noch ein Privileg der Frauen, schöne Männer hatten eher ein Problem, sagt Galerieleiterin Brigitte Baumstark:

"Das hat sich erst so in den 1980er Jahren geändert. Ein schöner Mann war früher eher suspekt. Aber heute öffnen sich die Männer diesem Thema auch und sind damit aber auch demselben Stress unterworfen wie Frauen."

Dennoch: Von drei Dutzend gezeigten Künstlerinnen und Künstlern sind nur sieben Männer. Einer hat einem muskulösen Schönling das Wort "Gott" auf die Brust tätowiert, einer anderer veralbert Michelangelos "David", und Ottmar Hörl verkitscht eine Venusfigur zu einem billigen Massenprodukt aus Plastik.

Frauen tragen die Problematik persönlicher aus, als Identitätskonflikt, und sie beziehen, ganz direkt betroffen, Gegenpositionen. Während sich die Polin Patrycja German in einem Video mit der Pinzette langsam alle Augenbrauen auszupft - ein verstörender Akt der Selbstverstümmelung - und Yvonne Thein in ihrer Fotoserie "32 Kilo" magersüchtige Modelle züchtet, entlarvt die amerikanerische Fotokünstlerin Nan Goldin das seelische Elend ihrer Geschlechtsgenossinnen hinter den kosmetischen Fassaden mit geradezu soziologischem Scharfblick: Nichts als Maske, Tünche und Verstellung - und Goldin hat sie gründlich abgeschminkt.

Auch Pippilotti Rist pfeift auf die Pflicht zum Schönsein: Genüsslich drückt sie in ihrem Video ihr Gesicht gegen eine Glasscheibe, bis sich das Make-up zu grotesken Grimassen verschmiert, und die Verwandlungskünstlerin Cindy Sherman probt den Rollentausch ohne Scheu vor Hässlichkeit.

"Es gibt keine hässlichen Frauen. Nur faule", zitiert der wie ein Modemagazin gestylte Ausstellungskatalog die Kosmetikproduzentin Helena Rubinstein. Wer nicht schön ist, ist selber schuld, suggeriert der zynische Spruch: Schönheit ist käuflich und machbar, und nicht nur Frauen werden so zum Opfer unrealistischer Ideale und computergenerierter Schönheitsnormen, wie sie die manipulierten Fotos von Rosemarie Trockel oder Marie-Jo Lafontaine exemplarisch zeigen.

Daniele Buetti brennt seinen glattgesichtigen Models die Logos großer Modemarken wie Narben auf die Wange, und dass in einer auf Schönheit fixierten Gesellschaft auch politische Parteien schön und sexy sein müssen, demonstrieren auf einem Großfoto von Josephine Meckseper zwei Hochglanzmodels namens CDU und CSU.

Sie tun ja fast alle so, die kritischen Künstler, als wäre Schönheit eine Sünde, als wäre ihr Genuss verboten und die Lust daran verpönt. Die kalifornische Künstlerin Julie Allen immerhin hat aus Wachspapier, Klarsichtfolien und Klebeband eine witzige Kollektion transparenter Reizwäsche gebastelt, und ihre Kollegin Gabriela Oberkofler hat gar ein echtes Nagelstudio eingerichtet. Kuratorin Melanie Ardjah:

"Sie können kommen und sich ein Kunstwerk der Kunstgeschichte aussuchen. Das sind dann zum Beispiel die Seerosen oder der Dürer-Hase, von Fontana der Schlitz, wie Sie wollen. Sie können das dann auf den Nagel sich aufmalen lassen und gehen mit einem Stück der Kunstgeschichte nach Hause."

Gleich nebendran gibt es übrigens noch eine duftende Wellness-Oase fürs Wohlbefinden des Besuchers, und wenn die Schau mit etlichen Exponaten auch eine Menge Klischees bedient, dann liegt das wohl am Thema.

Wir wollen trotzdem etwas mäkeln. Dass eine Kosmetikfirma als Sponsor auftritt - na schön, das passt. Dass sie im Katalog ihre Pflegephilosophie verkaufen darf, als wäre diese ein künstlerisches Statement, ist eher etwas peinlich. Aber es wäre ein Wunder, wenn die Schau nicht ein paar Schönheitsfehler hätte.