"Abiball" am Düsseldorfer Schauspielhaus

Schule als Kaleidoskop der Gesellschaft

Ein rauschendes Fest muss es sein: Bei Abiturbällen werden weder Kosten noch Mühen gescheut - für den Theaterautor Lutz Hübner war das der Aufhänger für sein Stück "Abiball".
Bei Abiturbällen werden weder Kosten noch Mühen gescheut – für den Theaterautor Lutz Hübner war das der Aufhänger für sein Stück „Abiball“. © imago/allOver-MEV
Lutz Hübner im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Abiturfeiern werden heute zelebriert wie Großevents. Dort erfährt man aber auch eine Menge über die Gesellschaft, findet der Autor Lutz Hübner und hat daraus gleich ein Stück gemacht: "Abiball" hat jetzt in Düsseldorf Premiere.
Liane von Billerbeck: Erinnern Sie sich noch an Ihren Abi-Ball? Ein schönes Kleid, ein Anzug, Reden, die von "Jetzt ist es geschafft", "Das Leben beginnt", "selbst verantwortlich sein" und all so Zeugs schwadronieren, Tränen fließen – manchmal genauso viel wie der Alkohol.
"Abiball" heißt jetzt auch ein Stück, das morgen Abend am Düsseldorfer Schauspiel Uraufführung hat. Geschrieben hat es das erfolgreiche Autoren- und Ehepaar Lutz Hübner, Sarah Nemitz. Sie kennen vielleicht ihren höchst erfolgreichen Film "Frau Müller muss weg". War auch ein Stück, Sönke Wortmann hat es verfilmt. Den haben ja eine Million Menschen in den Kinos gesehen.
Oder Sie kennen auch eins der anderen oft preisgekrönten Theaterstücke der beiden, "Ehrensache Blütenträume" zum Beispiel. Lutz Hübner und Sarah Nemitz gehören zu den meistgespielten Gegenwartsdramatikern auf deutschen Bühnen, und Lutz Hübner gehörte 2015 auch der Jury des Berliner Theatertreffens an.
Jetzt also "Abiball", das Stück, inspiriert vom Abiball der eigenen Tochter. Und vor der Sendung habe ich mit Lutz Hübner gesprochen! Schönen guten Morgen!
Lutz Hübner: Guten Morgen!
von Billerbeck: Die Idee fürs Stück entstand, ich hab's gesagt, beim Abiball Ihrer Tochter. Was erschien Ihnen denn da so bühnenreif?
Hübner: Wenn man da so sitzt und sich die ganzen aufgeregten, emotional berührten Menschen anguckt, die da in großen Haufen viel trinken und das Gefühl haben "Jetzt ändert sich das Leben", da geht natürlich erst mal so professionell was los, wo man denkt, das ist eigentlich ein Setting, das nach Theater schreit. Das war eigentlich so der Effekt, dass wir sagten, da kann man eigentlich was draus machen, da kann man sehr viele Geschichten erzählen.
von Billerbeck: Sie haben ja mit "Frau Müller muss weg" gemeinsam mit Ihrer Frau schon ein wahres Bestsellerstück aus dem Schulkosmos geschrieben, jetzt mit "Abiball" erneut. Warum schildert Schule Ihnen so gute Stoffe fürs Theater?
Lutz Hübner und Sarah Nemitz am 18.01.2017 im Badischen Staatstheater Karlsruhe
Lutz Hübner und Sarah Nemitz haben zusammen das Stück "Abiball" geschrieben.© picture alliance / Uli Deck/dpa
Hübner: Schule ist natürlich einer der Orte, wo Leute zusammenkommen, sowohl bei den Eltern als auch bei den Schülern, die sich normalerweise nicht begegnen würden. Insofern kann man da immer sehr gut so ein Kaleidoskop von Gesellschaft zeigen, die oft Vereinzelten in einem gemeinsamen Wollen, wie beim Elternabend.
Und bei einem Abiball ist es natürlich das gemeinsame Gefühl von "Jetzt fängt ein neuer Lebensabschnitt an". Und da fließt sehr viel ein sozusagen, wo die Leute biografisch stehen, wo sie hinwollen, welche Ängste es gibt, welche Hoffnungen, und natürlich, wie feiert man zusammen, und wo gibt es Krach. Und das ist natürlich das, was Theater ist.

"Der Mensch braucht Rituale"

von Billerbeck: Im Stück sagt der Musiklehrer, der so eine Art Alt-Punkrocker-Attitüde hat, in einer kleinen Rede an seine Abiturienten: "In zehn Jahren werdet Ihr merken, was für unglaubliche Möglichkeiten ihr hattet, und dass ihr fast alle nicht genutzt habt. 90 Prozent aller guten Anlagen werden nicht genutzt, eure Begabungen verflüchtigen sich, verkümmern oder fallen eurer Faulheit und Feigheit zum Opfer. Ich weiß, wovon ich spreche."
Ist so ein Abiball letztlich auch ein Punkt rein simulierter Bedeutung, simulierter Wichtigkeit? Das Abi hast du, aber wie das Leben tatsächlich verläuft, das hängt von ganz anderen Dingen ab?
Hübner: Ich glaube, der Mensch braucht Rituale, also Momente, wo quasi das, was sich eigentlich so nach und nach verändert, irgendwie gebündelt ist. Ob das jetzt irgendwie auch so im Leben, wo man jetzt sagt, es ist die Taufe, oder jetzt ist Konfirmation, also immer ein Punkt von "Jetzt wird etwas anders". Und ich glaube, man braucht das, dass man mit solchen großen Sachen – in diesem Fall, die Kinder verlassen das Haus, was Neues fängt an – nicht allein ist.
Und ich glaube, deswegen konnte sich so was wie der Abiball – was ja eigentlich ein importierter College-Ball ist, den es auch zu meiner Zeit noch nicht gab –, dass man mit sehr viel anderen Leuten zusammen eine Affektansteckung erlebt und das Gefühl hat, so, ab jetzt. Das ist so ein bisschen, dass die meisten Leute versuchen, das Rauchen zu stecken zu Silvester und nicht am 28. Dezember.
Man muss so Momente haben, wo man sich quasi zusammenreißt und guckt, was ist der Stand der Dinge. In so was kann das hilfreich sein, aber es kann natürlich auch nach hinten losgehen.
von Billerbeck: Affektansteckung ist ja ein schönes Wort. Heute hat man ja auch oft das Gefühl, das soll alles immer so besonders und perfekt sein, da wird auch jedes überwundene kleinste Steinchen in der Schullaufbahn schon als Meilenstein gefeiert gern, mit der Klasse und gleich noch mit der Verwandtschaft. Also, Einschulungen sind halbe Hochzeiten, Lehrerwechsel, Jahresabschlussfest, Wechsel auf die weiterführende Schule.
Eigentlich gab es den Abiball vorher schon fünfmal, bevor die Kinder dann tatsächlich da ankommen. Haben wir zu hohe Erwartungen, zu viel Perfektionsdruck an die Schule und auch an die Schüler?

"Übermaß an Gefeiere"

Hübner: Das hat zum einen natürlich auch, muss man sagen, einfach knallharte kommerzielle Interessen. Es gibt bei Abibällen auch wirklich Agenturen, die organisieren das. Und das ist extrem kosten- und vorbereitungsintensiv. Das ist so der eine Aspekt des Ganzen, dass man sagt, das kommt natürlich auch von außen, und das wird dann mitgemacht, wie Baby-Welcome-Partys. Es gibt ja doch ein gewisses Übermaß an Gefeiere.
von Billerbeck: Wie viel haben Sie denn da so angelegt beim Abiball Ihrer Tochter?
Hübner: Das war – ich weiß nicht mehr genau den Betrag, das war, glaube ich, im unteren Bereich. Das geht ja wirklich bis zu Stretchlimos, die vorfahren, und ich weiß nicht, was alles. Das war sozusagen immer noch im Berliner Rahmen einigermaßen gedeckelt. Aber natürlich war es ein Aufmarsch von Abendkleidern und große Blumengestecke wie von Diktatorenbegräbnissen. Es war schon wesentlich mehr als der Kasten Bier, den ich zu meinem Abi auf dem Lehrerparkplatz hatte mit den anderen Abiturienten.
Ich würde nicht sagen, man kann nie genug feiern, also je mehr Feste es gibt. Aber die Frage ist natürlich, wie weit glaubt man hier, dass sich wirklich was ändert. Im Prinzip ist das ja ein willkürlich gesetzter Punkt, und ich denke, man sollte auch sagen, wenn man das Gefühl hat, man will da nicht mitmachen bei diesen ganzen Feiern, die das Leben durchziehen, dann sollte man sich da auch zurückziehen. Man darf da, glaube ich, keinen sozialen Druck aufbauen.

"Ein Bereich, wo so eine soziale Schere viel zu früh auseinandergeht"

von Billerbeck: Wie wichtig finden Sie Schule eigentlich, wie wichtig war die für Sie selbst und wenn Sie das jetzt aus der Sicht als Vater betrachten?
Hübner: Es war einerseits eine ganz gute Lehre im Widerstand. Ich glaube, ich war als Schüler so ein bisschen anstrengend. Das haben mir später auch Lehrer gesagt. Das wurde mir dann verziehen, als ich Autor war. Das wurde dann quasi damit begründet.
Aber natürlich ist es ein Punkt, dass, wenn Schule irgendwie Freiräume lässt, ist das eine wahnsinnig gute Vorbereitung, wenn es, wie jetzt, wahnsinnig auf Leistung getrimmt wird und sehr früh entschieden wird, ist das natürlich auch ein Bereich, wo so eine soziale Schere viel zu früh auseinandergeht. Ich habe das Gefühl, Schule müsste eigentlich wieder ein bisschen entspannter gesehen werden, auch wirklich als Freiraum und Spielraum.
von Billerbeck: Nun gibt es ja auch andere wichtige Dinge im Leben. Das erste Mal "Nein" zu den Eltern gesagt zu haben, den ersten Kuss, das erste große Wagnis, die erste Scheidung, die erste künstliche Hüfte. All das feiern wir dagegen nicht. Dafür aber Einschulung, Abiball, Taufe, Heirat, Goldene Hochzeit. Feiern wir eigentlich zu lebenslauforientiert und verpassen dadurch das, was wirklich wichtig ist?
Hübner: Ich glaube, das ist ganz individuell. Das ist, glaube ich, die Frage, wie lädt man es auf. Ich finde, dass Leute, die zur Scheidung eine Riesenparty machen und sagen, jetzt ist so viel, was neu ist – das kann ja irgendwie auch helfen. Da, glaube ich, muss jeder selbst entscheiden, wie er das mit sich in Einklang bringt.
Aber ich glaube, die wirklich wichtigen Entscheidungen im Leben sind natürlich nicht gekoppelt an das, was da so zwischen Blumen und Bar und Tanzfläche passiert. Das ist, glaube ich, nun ein völlig eigenes Ding, was jeder mit sich ausmacht, und bis zu einem gewissen Grad finde ich das auch ganz gut.
von Billerbeck: Der Dramatiker und Autor Lutz Hübner, mit dem wir vor der Sendung über sein neues Stück "Abiball" gesprochen haben, das er zusammen mit Sarah Nemitz geschrieben hat. Morgen, am 19. Oktober, hat es am Schauspiel Düsseldorf seine Uraufführung. Herr Hübner, ich danke Ihnen!
Hübner: Danke auch Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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