Abkehr von der Braunkohle

Leipzig will ein Zeichen setzen

17.12.2018, Sachsen, Espenhain: Das Kraftwerk Lippendorf ist mit seinen dampfenden Kühltürmen hinter dem Hainer See von Espenhain aus zu sehen. Anfang Dezember verkündete die Stadt Leipzig den Ausstieg aus der Fernwärmeversorgung mit Braunkohle zu planen. Ein Zukunftskonzept der kommunalen Stadtwerke komme zu dem Ergebnis, dass die Wärmeversorgung auch ohne Lieferungen aus dem Braunkohlekraftwerk Lippendorf machbar sei. In einem Positionspapier fordern nun mehrere Bürgermeister aus dem Südraum von Leipzig sowie der Landrat des Landkreises Leipzig die Stadt auf, das angekündigte Vorhaben zu überdenken. Ohne die Belieferung der Stadt Leipzig sei das Kraftwerk nicht rentabel und es stünden hunderte Jobs auf dem Spiel. Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Kraftwerk Lippendorf - an einem Wintertag bei Sonnenuntergang sieht es fast idyllisch aus. Doch Leipzig will raus aus der Braunkohlenutzung. © picture alliance/dpa/ZB
Von Bastian Brandau |
Leipzig kann zwar nicht allein die Welt retten, setzt aber auf Signalwirkung: Ein neues Gaskraftwerk soll die Stromproduktion aus Braunkohle ablösen. Oberbürgermeister Jung macht Ernst mit dem Klimaschutz. Das gefällt vielen im Landkreis nicht.
Wer auf den Turm des Leipziger Rathauses steigt, sieht es im Süden dampfen und rauchen. Rund 15 Kilometer vom Zentrum produziert das Kraftwerk Lippendorf aus Braunkohle Strom. Die dabei entstehende Wärme wird als Fernwärme zum Heizen genutzt. Etwa 60 Prozent der Leipziger Fernwärme kommen aus Lippendorf. Doch damit soll bald Schluss sein, denn die Stadt wird in Zukunft auf die Braunkohle-Abwärme verzichten, erklärt Oberbürgermeister Burkhard Jung, SPD:

"Der Stadtrat hatte uns den Auftrag gegeben, den schrittweisen Ausstieg vorzubereiten, Szenarien vorzulegen. Entweder 23 oder 30, so war der Stadtratsbeschluss und wir kommen nach Prüfung zu dem Ergebnis, es ist jetzt möglich. Jetzt ist ein ideales historisches Zeitfenster. Die Möglichkeiten der Unterstützung durch die Bundesgesetze sind gegeben und deswegen jetzt."
29.07.2018, Sachsen, Pödelwitz: Eine Radfahrerin fährt in der Nähe der vom Braunkohleabbau bedrohten Gemeinde südlich von Leipzig an einem Tagebau vorbei, im Hintergrund ist das Kraftwerk Lippendorf zu sehen. In Pödlwitz findet ein Klimacamp statt, zu dem bis zum 05.08.2018 bis zu 1000 Menschen erwartet werden. Foto: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Das Braunkohlekraftwerk Lippendorf bei Leipzig.© picture alliance/dpa/ZB
2022 oder 2023 soll der Leipziger Kohle-Ausstieg stattfinden, die Verträge sehen dann eine Ausstiegsmöglichkeit vor. Die Stadt Leipzig wird bis dahin ein Gaskraftwerk bauen, dort Strom produzieren und die Abwärme ins Fernwärmenetz einspeisen. Möglich wird das, weil die Bundesregierung den Bau von Kraft-Wärme-Kopplungskraftwerken subventioniert. Die Kraftwerke also, bei denen Strom und Wärme nutzbar gemacht werden.
"Gas ist ohne Zweifel eine Übergangsressource, die wir noch nutzen und brauchen werden. Aber eines ist klar, um es nochmal deutlich zu sagen. Der Ausstieg aus der Braunkohle ist unabwendbar. Die Frage ist wann. Da wird noch diskutiert. Und Sie wissen, die Braunkohlekommission ist noch nicht zu einem Ergebnis gekommen. Ob das jetzt 2030 oder 2040 ist, ist unerheblich. Ich glaube, wichtig ist, dass wir uns nicht gestalten lassen, sondern dass wir selbst versuchen, eine energiesichere Lösung für die Stadt Leipzig zu finden und deswegen jetzt."

Proteste vom Landrat

Lob für die Entscheidung kommt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. In Zeiten der Energiewende gehe Leipzig den richtigen Weg, sagt Claudia Kemfert vom DIW.
Braunkohle habe in Deutschland keine Zukunft. Die Kommunen müssen sich entscheiden. Lob auch von Umweltverbänden und den sächsischen Grünen. Kritische Stimmen kommen aus der Region um das Kraftwerk selbst.
Ein Bergmann kontrolliert das Fahrwerk eines Schaufelradbaggers im Braunkohletagebau Vereinigtes Schleenhain der MIBRAG bei Heuersdorf, südlich von Leipzig. Die hier geförderte Baunkohle wird an das benachbarte Kraftwerk Lippendorf geliefert. 
Braunkohle für Lippendorf: Braunkohletagebau Vereinigtes Schleenhain der MIBRAG bei Heuersdorf, südlich von Leipzig. © imago stock&people / Eckehard Schulz
Der Landrat des Landkreises Leipzig von der CDU, Bürgermeister und Betriebsräte haben einen Protestbrief geschrieben. Der Ausstieg sei weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll. Die Abwärme in Lippendorf werde ja weiter produziert, einen ähnlich großen Abnehmer wie die Stadt werde man nicht finden, sagt auch der CDU-Landtagsabgeordnete Georg-Ludwig von Breitenbuch, in dessen Wahlkreis das Kraftwerk liegt. Über die Entscheidung sei er entsetzt gewesen.
"Unser Ministerpräsident verhandelt gerade in Berlin um den Ausstieg der Kohle beziehungsweise um das, was danach kommt. Und dass wir jetzt selbst in der Region das Zeichen setzen, wir steigen selbst aus, das konterkariert natürlich all diese Bemühungen. Die eben auch die berechtigte Sorge hat, was wird dort mit diesen Industriearbeitsplätzen, was wird dort kommen als Ersatz, die natürlich auch die Wertschöpfung bei uns vor Ort lässt?"

Kritik an Subventionen für Gas

Auch der Kraftwerksbetreiber LEAG und das Bergbauunternehmen Mibrag – beide in den Händen des tschechischen Investors EPH - appellieren an die Stadt, die Entscheidung noch einmal zu überdenken. Denn die Abwärme in Lippendorf werde ja weiter produziert, einen ähnlich großen Abnehmer wie die Stadt werde man nicht finden. Und sowohl die CO2- als auch die Feinstaubbelastung würden sich durch ein neues Gaskraftwerk erhöhen. Dass ein neues Gaskraftwerk durch die große Koalition in Berlin subventioniert wird, findet auch der CDU-Politiker Georg von Breitenbuch falsch:
"Ein Wasserkocher in Form eines Extra-Gaskraftwerkes wird für viel Geld in Leipzig für Extra-Geld aufgebaut. Verbrennt Gas, also auch nicht CO2-neutral, sondern sogar, das gibt Herr Jung ja auch zu, eigentlich noch mehr Umweltbeeinträchtigung als das stattfinden würde wenn Lippendorf allein durchläuft. Also es passt alles nicht zusammen, ist völlig aus der Zeit und insofern ist es nur ideologisch zu erklären und das ist natürlich dann auch unvernünftig."

Ein wohlbegründete Entscheidung

Im Gegenteil, sagt Oberbürgermeister Jung. Die Entscheidung sei durchgerechnet und gut begründet. Und eben eine Entscheidung mit langfristiger Perspektive.
"Zunächst sparen wir kein CO2 ein. Die Wahrheit ist, dass wir übergangsweise sogar unterm Strich eine höhere Belastung haben werden. Aber perspektivisch und mittelfristig wird es natürlich eine enorme Einsparung bringen. Gas ist eindeutig der saubere Rohstoff. Aber auch der ist eine Übergangstechnologie. Und unser Ziel muss es sein, ist eine hohe Vision, dass wir für die Stadt Leipzig unabhängig werden von allen Außenlieferungen und wir in der Lage sind, autark und autonom in einem, wenn sie so wollen, in einem Flächenkraftwerk in unterschiedlichen Mix-Formen die Unabhängigkeit zu organisieren."

Und die Arbeitsplätze? Das Kraftwerk des Energieproduzenten werde ja weiterhin Strom produzieren, sagt Oberbürgermeister Jung.
"Es gibt also keinen direkten Bezug von unserem Fernwärmebezug zu Lippendorf und den Arbeitsplätzen. Aber perspektivisch wird es ohne Zweifel einen Abbau geben in diesem Bereich. Und deswegen einen schrittweisen, vernünftigen Ausstieg und Umstieg jetzt zu organisieren, den Einstieg in den Ausstieg zu beginnen ist, denke ich, eine richtige und notwendige Entscheidung."

Das rettet nicht die Welt, ist aber ein Signal

Anders könne die Stadt ihre Klimaziele langfristig nicht erreichen, sagt Jung. Leipzig hat sich wie viele andere Großstädte verpflichtet, den Ausstoß pro Bewohner auf 2,5 Tonnen CO2 pro Jahr zu verringern und will dieses Ziel 2030 erreichen.
"Ich weiß sehr wohl, dass wir in Leipzig mit unserer Entscheidung nicht die Welt retten. Aber es ist vielleicht für den einen oder anderen Entscheider auch ein Signal: Macht Euch jetzt auf, geht in diese Richtung!"
Chemnitz oder Cottbus haben zuletzt ähnliche Entscheidungen getroffen. Auch in der Braunkohlestadt schlechthin in Brandenburg wird ein Gaskraftwerk gebaut, beziehen die Stadtwerke ab 2022 keine Fernwärme mehr aus Braunkohleverbrennung. Öffentlichkeitswirksam hat Oberbürgermeister Jung die lange vorbereitete Entscheidung während der Klimakonferenz in Katowice im Dezember verkündet. Und ist sicher nicht unzufrieden damit, dass sein Wirken ein wenig an die USA erinnert, wo einzelne Bundesstaaten und Städte beim Klimaschutz vorangehen.
"Am Ende sind es sowieso die lokalen Lösungen, die die Zukunftslösungen sind. Stellen Sie sich vor, wie großartig es wäre, wenn vor Ort in den Regionen die Energieunabhängigkeit von russischem Gas genauso wie von heimischer Braunkohle möglich wird. Und wir sollten uns auf den Weg machen und nicht zuwarten. Sondern, das was wir vor Ort tun wollen, das wollen wir tun. Ich denke im Ergebnis ist es vielleicht der schnellste und beste Weg."
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