Endlich eine echte christlich-jüdische Partnerschaft?
Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche in Deutschland haben sich inzwischen offiziell von der Judenmission verabschiedet. Was das für das jüdisch-christliche Verhältnis bedeutet, hat Brigitte Jünger Rabbiner und Theologen gefragt.
"Nach fast zwei Jahrtausenden der Feindseligkeit und Entfremdung, erkennen wir, orthodoxe Rabbiner, Leiter von Gemeinden, Institutionen und Seminaren in Israel, den Vereinigten Staaten und Europa, die sich uns darbietende historische Gelegenheit: Wir möchten den Willen unseres Vaters im Himmel tun, indem wir die Hand unserer christlichen Brüder und Schwestern ergreifen. Juden und Christen müssen zusammenarbeiten, um den moralischen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen."
So lautet der Anfang einer Erklärung, die mittlerweile 60 orthodoxe Rabbiner aus Israel, Europa und Nordamerika unterzeichnet haben. Jehoschua Ahrens, Rabbiner in Nürnberg, ist Mitinitiator und einer von zwei deutschen Rabbinern, die das Dokument mittragen. Wie die anderen Unterzeichner engagiert auch er sich schon seit langem im jüdisch-christlichen Dialog.
"Jetzt, glaube ich, sind wir an einem Punkt angekommen, indem wir zumindest mit den Mainstream-Kirchen - also natürlich gibt's immer noch andere Meinungen auch innerhalb der christlichen Kirchen - aber grundsätzlich mit den Mainstream-Kirchen auf einem Dialog sind auf Augenhöhe, indem eben eine gegenseitige Anerkennung da ist, indem eben auch zum Beispiel die Judenmission, was für uns natürlich ein ganz wichtiges Kapitel ist, auch abgelehnt wird, ganz kategorisch. Und entsprechend jetzt bietet sich eigentlich eine Möglichkeit, wie wir sie noch nie hatten, nämlich eine echte Partnerschaft zwischen Judentum und Christentum."
"Der Bund Gottes mit seinem Volk gilt uneingeschränkt weiter"
Dass diese Partnerschaft trotz aller gemeinsamen Projekte erst jetzt "echt" genannt werden kann, liegt aus Sicht der orthodoxen Rabbiner an zwei neuen Dokumenten von christlicher Seite. Beide erteilen der Lehre, dass mit Jesus Christus der Alte Bund Gottes mit dem Volk Israels hinfällig geworden und die Erwählung auf die Kirche übergangen sei, endgültig eine Absage. Die vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum ist damit zum 50. Jubiläum des grundlegenden Texts des Zweiten Vatikanischen Konzils, Nostra Aetate, im Hinblick auf die Eigenständigkeit der jüdischen Religion einen gehörigen Schritt weiter gegangen. 1965 hieß es noch, dass Christus Juden und Heiden durch das Kreuz versöhnt und beide in sich vereinigt habe. Die Erklärung von 2015 dagegen sagt bereits in ihrem Titel, der aus dem Römerbrief stammt:
"Unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt."
Ähnlich äußerte sich auch die Evangelische Kirche in Deutschland in einem von ihrer Synode im November verabschiedeten Papier:
"Wir bekräftigen: Die Erwählung der Kirche ist nicht an die Stelle der Erwählung des Volkes Israels getreten. Gott steht in Treue zu seinem Volk. Wenn wir uns als Christen an den neuen Bund halten, den Gott in Christus geschlossen hat, halten wir zugleich fest, dass der Bund Gottes mit seinem Volk uneingeschränkt weiter gilt."
Jehoschua Ahrens: "Ich finde das sehr sehr positiv. Also, natürlich der zentrale Satz aus der Erklärung, der uns sehr gefreut hat, ist natürlich: Daraus folgt für uns, Christen sind ungeachtet ihrer Sendung in die Welt nicht berufen, Israel den Weg zu Gott und seinem Heil zu weisen. Alle Bemühungen Juden zum Religionswechsel zu bewegen, widersprechen dem Bekenntnis zur Treue Gottes und der Erwählung Israels."
Evangelikale und Traditionalisten gegen Ende der Judenmission
"Ja, das ist natürlich grandios, also dieses ganz klare, einstimmige Wort gegen die Judenmission. Aber wir müssen natürlich auch ehrlich sein, dass es Gruppierungen gibt im protestantischen Bereich, teilweise auch im katholischen Bereich, die eben nicht mitgehen, die eben immer noch Judenmission fordern."
Pater Elias H. Füllenbach, Prior des Dominikanerordens in Düsseldorf, meint damit sowohl traditionalistische Strömungen unter den Katholiken als auch evangelikale Kreise innerhalb der Evangelischen Kirche, denen auch die kleine Gruppe der Messianischen Juden zuzurechnen sind. Diese verstehen sich als Juden, erkennen aber Jesus als Messias an.
Jehoschua Ahrens: "Die so genannten Messianischen Juden sind für uns problematisch, weil sie eben das, was für uns den Dialog ausmacht, nämlich eine gegenseitige Anerkennung und dass man eben sagt, der Bund bleibt weiter bestehen und eine Judenmission muss es nicht mehr geben, dem steht das natürlich diametral entgegen. Weil die sagen ja, nur wenn man eben Jesus als den Christus annimmt, kann man wirklich Jude sein. Und damit hat sich das eigentlich erledigt, also, da kann man ja keinen Dialog führen darüber."
Rabbiner Ahrens hält die Messianischen Juden insgesamt jedoch für zu unbedeutend, als dass sie den Dialogprozess wirklich beeinflussen könnten. Mit den neuen Erklärungen zur gegenseitigen Anerkennung sieht er den jüdisch-christlichen Dialog am Anfang eines neuen Kapitels. Sein evangelischer Kollege Volker Haarmann, Kirchenrat, Pfarrer und Dezernent für christlich-jüdischen Dialog in der Evangelischen Kirche im Rheinland, kann dem nur zustimmen und würdigt im Gegenzug auch die Weitsicht der orthodoxen Rabbiner.
"Das ist eben das Wunderbare auch an der Erklärung der orthodoxen Rabbiner, dass sie ein sehr weitgehendes Eingehen auch auf christliches Selbstverständnis sogar mitgehen kann, ohne dass es zu einem Einheitsbrei werden müsste. Aber dass man sich in der Unterschiedenheit auch respektiert. Und das war vorher noch ein Desiderat – jetzt haben wir es endlich."
"Das Christentum ist gottgewollt"
Längst nicht die gesamte jüdische Orthodoxie kann sich jedoch dem Statement anschließend, dass das Christentum gottgewollt und ein Geschenk an die Völker sei, wie es in der jüdischen Erklärung heißt. Die 60 Unterzeichner sind nämlich nur ein Bruchteil aller Rabbiner, die sich der orthodoxen Glaubensrichtung zurechnen.
Jehoschua Ahrens: "Wir haben immer gesagt: Das ist tatsächlich noch eine Minderheitenmeinung in der Orthodoxie, das ist so. Aber es deckt eben die verschiedenen Spektren und Facetten innerhalb der Orthodoxie ab, wirklich von Links bis Ultraorthodox gibt es jetzt keine Facette, oder keine Strömung, die innerhalb der Orthodoxie jetzt da nicht dabei wäre."
Wichtig für Rabbiner Ahrens ist jetzt, ebenso wie für seine katholischen und evangelischen Kollegen, der Blick nach vorne.
Seite an Seite für den Frieden
Pater Elias H. Füllenbach: "Also, ich denke, ein ganz wichtiger Anstoß ist das gemeinsame Arbeiten. Ziel müsste sein, dass wir als Christen und Juden gemeinsam uns für bestimmte Dinge einsetzen. Für Gerechtigkeit, für Frieden, für Bewahrung der Schöpfung. Dass wir auch gemeinsam einer zunehmend säkularen Welt deutlich machen, dass der Glaube etwas Positives und Zusammenführendes ist."
Jehoschua Ahrens: "Was natürlich auch noch wir gemeinsam haben und was vielleicht auch noch stärker in den Fokus kommen muss, sind wirklich auch praktische Dinge, die uns verbinden, wie zum Beispiel die Frage von leeren Kirchen, leeren Synagogen, die Frage, wie man noch Werte vermittelt in einer säkularen oder zunehmend säkularen Gesellschaft, wie man vielleicht auch Jugendarbeit machen kann, das heißt, die Religion weitergibt an die kommende Generation, was wollen die eigentlich noch, wie erreicht man die?"
Volker Haarmann: "Ein amerikanischer Rabbiner Heschel hat einmal gesagt: 'actions teach'. Das, was wir miteinander tun, wird uns auch wieder auf neue Gedanken miteinander bringen. Und ich glaube, in dem Sinne ist das was sehr Verheißungsvolles, auch über dieses gemeinsame Handeln noch mal den Dialog neu zu befeuern und neu zu bestärken. Insofern sehe ich da eine große Chance bei allen Herausforderungen, die da vor uns liegen."