Abnehmen in dünner Luft

Von Udo Pollmer |
Schon wieder haben sich Mediziner am Übergewicht versucht und sind dabei in ziemlich dünne Luft geraten. Die "Ärzte Zeitung" verkündete "Abnehmen ohne Anstrengung" - und weckte damit große Hoffnungen bei der Fachwelt wie bei den Kunden.
Anlass für die Meldung war ein Versuch auf Deutschlands höchstem Berg, der Zugspitze. Dort machten sich 20 gewamperte Münchner einen faulen Lenz und nahmen dabei im Schnitt glatt zwei Kilo ab. Sport oder gar Bergwanderungen waren tabu. Mit einem Schrittzähler wurde genau aufgepasst, dass sie sich nicht mehr bewegten als in ihrer Wohnung auch. Zu Essen gab's sogar die Lieblingsgerichte der Teilnehmer.

Vielleicht macht die Höhe ja schlank, wohlmöglich facht sie ja die Verbrennung an. Dafür braucht es Sauerstoff. Mit Sauerstoff gewinnt der Körper Energie, er verbrennt damit die Nährstoffe aus der Nahrung zu Kohlendioxid und Wasser. Daher die Kalorien. Ohne Sauerstoff ersticken die Flammen von Kerzen so wie die Menschen. Ein hübscher Ansatz für Abnehmprogramme in Lungenkliniken. Wie wäre es mit einer neuartigen Atemkur: Wer schneller atmet, verbrennt schneller sein Fett und wird schneller schlank. Hecheln statt Kalorienzählen! Atemlos wird die Gemeinde der Abnehmwilligen den Worten ihrer neuen Meister lauschen.

Zurück auf die Zugspitze. Denn hier findet die Theorie ihr klägliches Ende. Dummerweise ist da oben weniger Sauerstoff da und deshalb ist auch der Sauerstoffgehalt des Blutes geringer. Wie aber kann die Verbrennung zunehmen, wenn weniger Sauerstoff da ist? Theoretisch hätten die Probanden in luftiger Höhe sogar zunehmen müssen. Genau das Gegenteil ist passiert. Denn der Körper passt sich an, sowohl von der Atmung wie vom Stoffwechsel.

Wie aber kam es zum "Abnehmen ohne Anstrengung"? Zunächst waren die Versuchspersonen nicht nur dick, sondern sie litten obendrein auch noch am metabolischen Syndrom. Das bedeutet ein erhöhtes Risiko für Altersdiabetes, für Herzinfarkt und für morsche Gelenke. Genau diese Symptomatik lässt sich auch mit einem bekannten Medikament erzielen: Mit dem Cortison, das beispielsweise bei rheumatischen Erkrankungen verordnet wird. Dann spricht die Therapeuten-Szene aber nicht vom metabolischen Syndrom, dann heißt das Cushing-Syndrom. Das metabolische Syndrom entsteht bei dauerhaftem Ärger durch die Ausschüttung des körpereigenen Hormons Cortisol. Cortisol und Cortison sind zwei Seiten ein- und dergleichen Medaille.

Und was hat das mit der Zugspitze zu tun? Der Aufenthalt im Gebirge war für die Probanden eine Woche Urlaub vom Alltag und seinen Sorgen. Es gab sogar die Leibspeisen der Teilnehmer! Da ließ der Stress nach und mit ihm sank auch das Cortisol. Und damit auch das Gewicht. Als die Studienteilnehmer wieder zu Hause waren, stieg ihr Gewicht allmählich wieder an. Und das obwohl sie daheim – vermutlich um ihr Gewicht zu halten – deutlich weniger aßen als vorher. Wer weiß, vielleicht haben sie ja anders geatmet.

Was folgt daraus? Erstens: Höhenluft hat mit der Gewichtsabnahme herzlich wenig zu tun. Und zweitens - und das ist die eigentliche Erkenntnis: Urlaub ist gesund! Was Abspeckkliniken versprechen, das schaffen unsere Ferienhotels viel preiswerter. Statt Blutabnahmen und Ergometer gibt's Wellness und Lunchpakete! Auch das Personal in den Hotels ist zuvorkommender – eine nette Bedienung hilft natürlich dem gefürchteten metabolischen Syndrom vorzubeugen. Endlich mal eine rationale Therapie. Mahlzeit!

Literatur:
Lippl FJ et al: Hypobaric hypoxia causes body weight reduction in obese subjects. Obesity 2010, online first.