Retten Bezahl-Newsletter den Journalismus?
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Mit einem Abo-Modell richtig Geld machen: Die Plattform Substack versucht das mit Newslettern und ist in den USA schon sehr erfolgreich. Unter den beliebtesten Anbietern finden sich auffällig viele Journalistinnen und Journalisten.
Seit knapp drei Jahren gibt es die Plattform Substack, auf der man Newsletter abonnieren kann – verfasst etwa von Autorinnen, Wissenschaftlern oder Journalistinnen. Die Geschäftsidee dahinter ist: Bei den zahlungspflichtigen Angeboten behält Substack einen Anteil von zehn Prozent.
Dass sich das richtig lohnen kann, zeigt das Beispiel des größten Newsletters "The Dispatch", der im März die Marke von einer Million Dollar Jahresumsatz knackte, wie das Blog "TechCrunch" schreibt. Journalisten wie der Asienexperte Bill Bishop und der Politik-Analyst Judd Legum, die Zehntausende Abonnenten haben, kommen auf einen sechsstelligen Betrag im Jahr, berichtet die "New York Times".
Persönliche Analyse als Kernstrategie
Auch hierzulande wird Substack bereits genutzt, allerdings werden in Deutschland die wenigsten der Newsletter gegen Geld angeboten. Mit dieser kostenlosen Variante experimentiert zum Beispiel die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Berit Glanz.
"Für mich ist der Substack-Newsletter tatsächlich etwas, was mich intellektuell interessiert", sagt sie, weil sie dort weniger ihren Alltag thematisiere: "Sondern ich schreibe über Phänomene, die ich online gesehen habe - und denke über die nach."
Dieses Prinzip einer persönlichen Analyse hat sich zumindest im US-amerikanischen Substack schon sehr professionalisiert und scheint die Kernstrategie der Gründer der Plattform zu sein. Durch die E-Mail im eigenen Postfach soll die Verbindlichkeit des Angebotes in den Vordergrund rücken. Es gehe um Beziehungen, bringt Chris Best, ein Mitgründer von Substack, die Grundidee auf den Punkt.
Und diese verbindlichere Beziehung hat Folgen. Die Autorin Berit Glanz sagt, sie erlebe bei Substack eine ganz andere Gesprächskultur als bei Social Media. "Da ist die Reaktion natürlich potenziell viel aggressiver und auch viel übergriffiger. Das erlebe ich bei diesem Substack-Newsletter momentan noch anders", erzählt sie.
So bieten persönliche Newsletter nicht nur die Möglichkeit, Geld zu verdienen, sondern auch die Chance, konstruktiver zu kommunizieren.
Große Freiheit beim Schreiben
Substack ist aber auch Teil einer größeren Entwicklung in den USA, wo Medien anhand ideologischer Trennlinien zwischen liberal und rechts-konservativ immer weiter auseinanderdriften. So finden sich unter den Top 25 der angebotenen Newsletter sehr viele Journalistinnen und Journalisten: Manche von ihnen, weil sie dort mehr Freiheit beim Schreiben haben.
Als letztes aber prominentestes Beispiel eröffnete vor einem Monat Glenn Greenwald, der Mitbegründer von "The Intercept", bei Substack einen Newsletter. Er betonte aber in einem Interview, dass er immer online publizieren konnte, ohne dass jemand ihm reinredete.
"Dieses Recht ist mir heilig. Die Möglichkeit, meine Ansichten ausdrücken zu können, ohne mit anderen über meinen Tonfall zu verhandeln oder ideologischen Befindlichkeiten gerecht werden zu müssen." Nur deshalb habe er über seine Recherchen berichten können, sagt er.
Eine Art zweiter Blogging-Boom
Es gibt noch weitere Faktoren, die den Erfolg von Substack ausmachen, erklärt der Kognitionspsychologe und "Spiegel"-Kolumnist Christian Stöcker. Seine Beobachtung ist, dass hier eigentlich alte Konzepte zusammenkommen: eine Art zweiter Blogging-Boom, diesmal in Form eines Geschäftsmodells, und das sehr alte Prinzip des Fans.
"Es ist ganz interessant, dass dieses Phänomen sich jetzt auch auf das lange Zeit schon sehr von Institutionen und Organisationen geprägte Feld des - im weitesten Sinne - journalistischen Arbeitens ausdehnt", sagt Stöcker.
Stars im Journalismus sind allerdings nicht völlig neu. Aber anders als die früheren TV-Größen treten sie nun als journalistische Marken auf, die an Influencer erinnern.
Bezahlen für Online-Inhalte wurde gelernt
Seit dem ersten Blogging-Boom vor zehn bis 15 Jahren hat sich einiges verändert. Im Vergleich zu 2008, dem Jahr der Finanzkrise, ist die Zahl der Angestellten von großen Medienhäusern in den USA um 23 Prozent zurückgegangen. Auch in Deutschland wird noch immer nach guten Bezahlmodellen für den Journalismus im Digitalen gesucht.
In dieser ganzen Zeit, das ist die These von Christian Stöcker, habe sich auch die Haltung dazu verändert, für Content im Internet zu bezahlen. "Vor zehn Jahren wäre diese Position total verpönt gewesen", sagt er.
Dass dieses Zahlen für Online-Inhalte gelernt wurde, ist auch den Streamingdiensten Netflix und Spotify zu verdanken. Diese Dienste waren sozusagen Teil eines Gewöhnungs- und eines Lernprozesses.
(hum)