Abrechnung mit dem Web 2.0
Die Technik des Web 2.0 mache aus ihren Nutzern verarmte abstrakte Multiple-Choice-Identitäten, die nur mittelmäßige kulturelle Leistungen hervorbringen, warnt der Computerpionier Jaron Lanier. Helfen könnten alternative Designs, inspiriert von der Idee eines digitalen Humanismus.
"A manifesto" ist Laniers Buch in der amerikanischen Originalausgabe untertitelt, und genau so liest es sich auch: als kühne Abrechnung mit den "Herren der Computing-Clouds" sowie den Anhängern des "kybernetischen Totalitarismus", deren Ideologien aus Sicht des Autors das Web 2.0 dominieren – auf Kosten und zum Schaden der vielen Nutzer. Schwere Geschütze fährt Lanier dabei auf, das wird schon bei der Wortwahl deutlich. Doch als Computerpionier und Ureinwohner des Internets weiß er, wovon er spricht. Deshalb lohnt es, seiner Argumentation zu folgen.
Aus drei Perspektiven entwickelt Lanier seine Kritik am Zustand des Web 2.0: Er untersucht zunächst, wie die Nutzer sich darin entfalten können. Dann analysiert er die Geschäftsmodelle, mit denen im Netz Geld verdient wird. Und schließlich fragt er nach dem kulturellen Output, dem Originären, das im Internet produziert wird.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist immer das Design: Wie funktionieren Computerprogramme, die dazu gehörigen Benutzeroberflächen sowie die dahinter stehende Ideologie? Wie lenken sie menschliches Handeln, und welche Folgen hat dies? Sein Fazit ist vernichtend.
Anders als in den Anfangszeiten des Web, in denen sich die Nutzer noch stolz selbst darstellten, gehe das Individuum heute in der großen Masse auf, kritisiert Lanier. Eine "Designästhetik der beiläufigen Anonymität" – etwa im sozialen Netzwerk "Facebook" – führe dazu, dass die tiefe Bedeutung des einzelnen Menschen durch Illusionen der digitalen Welt ausgehöhlt werde: Volatile (Netz-)Identitäten nach den Vorgaben von Datenmasken in sozialen Netzwerken, blindes Vertrauen auf Suchmaschinen, das Kopieren und "Vermanschen" von fremdem Inhalt, ohne die Quellen zu nennen – so, ist sich Lanier sicher, wird dem Menschen ein individueller Ausdruck aberzogen.
Auch geschäftlich betrachtet, brächten die Ideologien der "Schwarmintelligenz" und "Open Culture", die da dahinter stünden, nur wenige Gewinner hervor: Geld fließe hauptsächlich an Monopolisten wie Google – für Werbung und nicht für Inhalte. Kein Wunder, so Lanier, dass dabei kaum noch Originäres entstehe: Das Design des Web 2.0 fördere nichts Authentisches.
Die Kritik Laniers hat Kraft, weil er sie mit seinen Kenntnissen als Informatiker und mit philosophischen Betrachtungen über das Wesen der Spezies Mensch verknüpft. Er erklärt an Beispielen, wie Computerprogramme entstehen, welche Eigendynamik sie annehmen können und wie sie unser Denken fast unbemerkt beeinflussen. Aus unserem Leben wegzudenken sind sie jedoch auch nicht mehr. Laniers Fazit deshalb: Es ist Zeit für bessere Designs!
Besprochen von Vera Linß
Jaron Lanier: Gadget. Warum die Zukunft uns noch braucht
Suhrkamp 2010
247 Seiten, 19,90 Euro
Aus drei Perspektiven entwickelt Lanier seine Kritik am Zustand des Web 2.0: Er untersucht zunächst, wie die Nutzer sich darin entfalten können. Dann analysiert er die Geschäftsmodelle, mit denen im Netz Geld verdient wird. Und schließlich fragt er nach dem kulturellen Output, dem Originären, das im Internet produziert wird.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist immer das Design: Wie funktionieren Computerprogramme, die dazu gehörigen Benutzeroberflächen sowie die dahinter stehende Ideologie? Wie lenken sie menschliches Handeln, und welche Folgen hat dies? Sein Fazit ist vernichtend.
Anders als in den Anfangszeiten des Web, in denen sich die Nutzer noch stolz selbst darstellten, gehe das Individuum heute in der großen Masse auf, kritisiert Lanier. Eine "Designästhetik der beiläufigen Anonymität" – etwa im sozialen Netzwerk "Facebook" – führe dazu, dass die tiefe Bedeutung des einzelnen Menschen durch Illusionen der digitalen Welt ausgehöhlt werde: Volatile (Netz-)Identitäten nach den Vorgaben von Datenmasken in sozialen Netzwerken, blindes Vertrauen auf Suchmaschinen, das Kopieren und "Vermanschen" von fremdem Inhalt, ohne die Quellen zu nennen – so, ist sich Lanier sicher, wird dem Menschen ein individueller Ausdruck aberzogen.
Auch geschäftlich betrachtet, brächten die Ideologien der "Schwarmintelligenz" und "Open Culture", die da dahinter stünden, nur wenige Gewinner hervor: Geld fließe hauptsächlich an Monopolisten wie Google – für Werbung und nicht für Inhalte. Kein Wunder, so Lanier, dass dabei kaum noch Originäres entstehe: Das Design des Web 2.0 fördere nichts Authentisches.
Die Kritik Laniers hat Kraft, weil er sie mit seinen Kenntnissen als Informatiker und mit philosophischen Betrachtungen über das Wesen der Spezies Mensch verknüpft. Er erklärt an Beispielen, wie Computerprogramme entstehen, welche Eigendynamik sie annehmen können und wie sie unser Denken fast unbemerkt beeinflussen. Aus unserem Leben wegzudenken sind sie jedoch auch nicht mehr. Laniers Fazit deshalb: Es ist Zeit für bessere Designs!
Besprochen von Vera Linß
Jaron Lanier: Gadget. Warum die Zukunft uns noch braucht
Suhrkamp 2010
247 Seiten, 19,90 Euro