Absage des Fußball-Länderspiels

"Wir sollten ihnen nicht unsere Angst schenken"

Die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth
Die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth © dpa / picture-alliance / Britta Pedersen
Claudia Roth im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth wollte eigentlich gestern in Hannover beim Fußballspiel dabei sein. Sie äußerte "absolutes Vertrauen" in die Richtigkeit der Entscheidung. Zugleich warnte sie vor einer permanenten Einschränkung unseres Lebens.
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) hat die Absage des Fußball-Länderspiels in Hannover als richtige Entscheidung bezeichnet.
Sie habe absolutes Vertrauen in diese Entscheidung von Sicherheitsbeamten, Kanzleramt und Innenministerium, sagte Roth am Mittwoch im Deutschlandradio Kultur. Nach den Terroranschlägen von Paris sei die Situation auch in Deutschland extrem angespannt.
Roth hatte gestern Abend beim Fußball-Länderspiel in Hannover zusehen wollen, war aber bereits vor dem Betreten des Stadions von der Polizei unter Hinweis auf die Sicherheitslage zurück ins Hotel geschickt worden. Sie zeigte Betroffenheit, warnte jedoch zugleich vor einer "permanenten Einschränkung". Genau das sei nämlich die Absicht des Terrors. So seien die Pariser Terroranschläge auch ein Angriff "auf das freie Leben, auf die Offenheit, auf die Lebenslust und die Lebensfreude" gewesen:
"Dieses Dilemma zwischen Sicherheit und Freiheit, dieses Dilemma zwischen Angst und Mut, weiter zu leben, wie ich leben will – dem müssen wir uns stellen."
Die Absage des Länderspiels habe sie aber nicht mit einem "Gefühl der Niederlage" erlebt, äußerte Roth und beschrieb ihre Emotionen wie folgt:
"Ja, ich war traurig. Ich war sauer. Aber ich sage: Ich werde diesen Tätern, diesen Verrückten nicht meine Angst schenken. Und wir sollten ihnen nicht unsere Angst schenken. Wenn wir das getan haben, wenn sich Angst verbreitet, dann haben sie gewonnen."


Das Interview im Wortlaut:
Frenzel: Aktuelle Informationen von Andreas Teska aus Paris, wo zur Stunde eine Razzia läuft gegen die Terroristen wahrscheinlich, die Terroristen, die man dort, verschanzt in einem Haus, vermutet. Das ist die Nachricht dieses Morgens.
Wir sind noch immer natürlich unter dem Eindruck der Nachricht von gestern Abend, als wir alle ein Fußballspiel sehen wollten, ein Fußballspiel, das ein Symbol sein sollte, Deutschland gegen die Niederlande, bewusst gesetzt nach dem Terror vom Freitag, der ja auch das Stade de France erreichte und die Deutschen und die Franzosen, die dort gegeneinander spielen.
Zehntausende waren unterwegs ins Hannoveraner Stadion zum Freundschaftsspiel. Unter ihnen war auch meine Gesprächspartnerin jetzt. Claudia Roth, Bundestagsvizepräsidentin und Grünen-Politikerin. Guten Morgen, Frau Roth!
Claudia Roth: Schönen guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Wie haben Sie das gestern erlebt in Hannover?
Roth: Ich bin nach Hannover gefahren. Weil ein Spiel Deutschland-Niederlande immer natürlich ein spannendes Fußballspiel ist, aber gestern es darum ging, die Mannschaft zu unterstützen, Gesicht zu zeigen und zu sagen, wir lassen uns unsere Freude, unser Leben nicht fremdbestimmen. Es gab eine Sitzung der DFB-Kulturstiftung, und ich bin dann kurz nach sieben Uhr mit Moritz Rinke zum Stadion gefahren.
Da war viel Verkehr, aber es war auffallend, dass schon sehr viel Sirenen laut waren. Es war unglaublich viel Polizei unterwegs. Und ich habe dann einen Polizisten gefragt, so einen Kilometer ungefähr vor dem Stadion oder ein paar Hundert Meter vor dem Stadion, und der hat sehr bestimmt und sehr deutlich gesagt: Sofort weiträumig das Gebiet verlassen, ins Hotel zurückkehren. Und der hat das so bestimmt gesagt, dass es gar keine Debatte darüber gab.
Extrem großer Polizeieinsatz
Frenzel: Frau Roth, ich wollte gerade fragen, was hat das bei Ihnen ausgelöst?
Roth: Ich habe ihm sofort vertraut, weil die Art und Weise, wie er es gesagt hat und wie deutlich war, dass es wirklich ein extrem großer Polizeieinsatz war, hat deutlich gemacht: Da gibt es eine Gefahrenwarnung, da gibt es eine Warnung, und da fange ich nicht an zu debattieren mit der Polizei, sondern da vertraue ich den Sicherheitskräften. Dann sind wir ins Hotel zurück, da waren dann viele Leute, da waren auch viele niederländische Fans, und es gab natürlich eine Traurigkeit, auch eine Beklommenheit. Das Wort "bitter" ist sehr oft gefallen seit den vergangenen Stunden.
Ja, so war es, aber es gab auch eine große Ruhe und ein großes Verständnis und Vertrauen in die Polizei. Denn wenn man auch weiß, dass es in solchen Situationen Trittbrettfahrer gibt, fürchterliche Trittbrettfahrer, muss man verstehen, dass unmittelbar nach Paris eine solche Warnung sehr ernst genommen werden muss. Und deswegen war es keine Debatte, ob das jetzt gerechtfertigt war oder nicht, sondern es gab großes Verständnis für die Polizeimaßnahme. Und es gab gleichzeitig dann aber auch natürlich viele Gespräche. Und wir haben dann gesagt, ja, es wird das nächste Spiel geben. Da haben die niederländischen Fans auch gesagt, es wird das nächste Spiel geben. Und wir werden es dann wieder versuchen, dieses Spiel gemeinsam zu erleben.
Der Terror in unseren Köpfen
Frenzel: Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister, hat ja gestern erklärt, warum es zu dieser Absage kam, oder vielmehr, er hat es nicht erklärt. Er hat gesagt, ich kann es Ihnen eigentlich nicht erklären, aus Sicherheitsgründen, geben Sie uns einen Vertrauensvorschuss. Wie lange kann eine Demokratie das erleben, dass wir uns darauf verlassen müssen, dass die Regierung weiß, was sie tut und wir gar nicht richtig hinterfragen können, was es ist?
Roth: Erst einmal glaube ich natürlich, ist jetzt nach Paris – und Paris ist ja noch gar nicht vorbei, wie wir gerade gehört haben - ist die Situation extrem angespannt. Und noch einmal: Wenn man dann hört, dass so wahnsinnige Verrückte Bombenattrappen dann in einem Zug hinterlassen – ein Freund von mir ist mit dem Zug nach Berlin zurückgefahren, da war, sagt er, im Abteil fast eine große Aufregung, weil ein Koffer da herumstand und die Leute das Abteil verlassen haben, der Zug dann in Wolfsburg nicht weiterfahren wollte. Also es gibt diese Verrückten, diese unverantwortlichen Spinner, die Trittbrettfahrer sind und die daraus sich einen Spaß machen, Leute zu bedrohen und so eine Situation eskalieren zu lassen. Ich glaube, es wird sich auch wieder beruhigen.
Aber wissen Sie, ich denke, wir müssen uns immer wieder vergegenwärtigen, was will Terror? Terror will Schrecken verbreiten, Terror will Angst verbreiten, Terror will unser Leben einschränken, unsere Freiheit einschränken, will, dass wir uns dominieren lassen und nicht mehr Normalität erleben können.
Und wenn der Terror in unseren Köpfen angekommen ist, dann ist ein Sieg errungen worden. Deswegen war das für mich nicht ein Gefühl von Niederlage gestern. Ja, ich war traurig, ich war sauer, aber ich sage, ich werde diesen Tätern, diesen Verrückten nicht meine Angst schenken. Und wir sollten ihnen nicht unsere Angst schenken. Wenn wir das getan haben, wenn sich Angst verbreitet, dann haben sie gewonnen.
Frenzel: Frau Roth, aber wie kriegen wir es hin, dass wir uns nicht verunsichern lassen? Wir sind es ja alle. Ich merke es auch an Ihren Worten, dass wir doch verunsichert sind.
Dilemma zwischen Freiheit und Sicherheit
Roth: Indem ich mir sage: Es ist gerade jetzt wichtig, Leben als Leben zu genießen. Und zu lieben anstatt zu hassen. Es nicht zuzulassen, dass uns unsere Freiheit genommen wird. Benjamin Franklin hat mal gesagt, wenn man Sicherheit will und Freiheit dabei einschränkt, wird man am Ende beides verlieren.
Ja, man muss sorgsam sein, ja, man muss bedacht sein. Und noch einmal, ich habe nicht die geringste Kritik an der Entscheidung. Auch wenn es sich herausstellt, dass es keine konkrete Bedrohung gegeben hat. Ich habe absolutes Vertrauen, wenn die Sicherheitsbeamten sagen, unter diesen Umständen, unter dem Tipp von einem fremden Geheimdienst muss eine solche Entscheidung getroffen werden, wenn das Kanzleramt, wenn das Innenministerium, der Innenminister aus Niedersachsen, Herr Pistorius diese Einschätzung hat, wenn Herr de Maizière diese Einschätzung hat - , dann habe ich Vertrauen.
Aber es kann nicht sein, dass wir unser Leben jetzt deswegen permanent einschränken, weil genau das will dieser Terror. Es war auch ein Angriff in Paris auf die Art von uns, zu leben, auf das freie Leben, auf die Offenheit, auf die Lebenslust und die Lebensfreude. Und dieses Dilemma zwischen Sicherheit und Freiheit, dieses Dilemma zwischen Angst und Mut, weiter zu leben, wie ich leben will, dem müssen wir uns stellen. Ich glaube, es wird sich hoffentlich wieder beruhigen, aber wir werden nie garantieren können, dass es keine Gefährdung gibt.
Frenzel: Die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Roth: Ich danke Ihnen, Herr Frenzel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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