Abschaffung der ehemännlichen Verwaltung
Die ehemalige Justizsenatorin Peschel-Gutzeit meint, die Gleichberechtigung von Mann und Frau habe zwar enorme Fortschritte gemacht. Eklatante Nachteile für Frauen wären allerdings vor allem in den Führungsebeben der Arbeitswelt festzustellen.
Liane von Billerbeck: … und wie das geschehen ist, darüber wollen wir jetzt mit Lore Maria Peschel-Gutzeit sprechen. Die Juristin war Richterin am Hamburger Oberlandesgericht, in Hamburg auch gleich zweimal Justizsenatorin, einmal war sie das auch in Berlin. Sie hat rechtspolitisch gearbeitet, insbesondere im Familienrecht, und gehörte als einzige Frau zu den 90 Autoren, die am Staudinger, dem großen rechtswissenschaftlichen Kommentarwerk zum Bürgerlichen Gesetzbuch mitgeschrieben hat. Die Lex Peschel trägt ihren Namen, die beamteten Richtern und Richterinnen Teilzeitarbeit ermöglicht. Frau Peschel-Gutzeit war Vorsitzende des Juristinnenbundes und ist jetzt bei Deutschlandradio Kultur zu Gast. Herzlich willkommen!
Peschel-Gutzeit: Ja, guten Tag!
Liane von Billerbeck: Artikel drei lautet: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. So steht’s in der Verfassung, aber die Wirklichkeit, die ist auch heute noch manchmal weit weg davon, wenn wir beispielsweise an die Unterschiede in den Löhnen zwischen Männern und Frauen hierzulande denken. Wie weit darf sich die Wirklichkeit von Verfassungsgrundsätzen entfernen?
Peschel-Gutzeit: Ich glaube, man muss es umgekehrt sehen: Zunächst einmal war ja die Wirklichkeit da, und der Gleichberechtigungsgrundsatz aus Artikel 3, Absatz 2 ist ja in eine Wirklichkeit hineingeboren worden, die gänzlich anders war. Das war – wir haben es eben gehört – so im Familienrecht, es war aber natürlich auch so im Arbeitsrecht oder im Arbeitsleben, eigentlich auf allen Gebieten. Und es war Aufgabe natürlich einerseits der Politik, aber andererseits auch der gesellschaftlichen Überzeugungen, diesen Gleichberechtigungsgrundsatz allmählich in einfaches Recht – so nennen das die Juristen – umzusetzen, aber auch in die Lebenswirklichkeit aufzunehmen.
Und wenn Sie davon sprechen, dass Frauen auf vielen Gebieten immer noch schlechter besoldet werden, dann ist das einerseits zutreffend, andererseits natürlich im höchsten Maße bedauerlich. Nur das ist ja durch einen Hinweis auf die Verfassung so ohne weiteres gar nicht zu beenden, weil die Entlohnung von Männern und Frauen im Arbeitsleben Aufgabe der Tarifparteien ist, also der Arbeitgeber und der Gewerkschaften. Soweit und solange der Gesetzgeber es ändern kann oder regeln kann, ist er natürlich verpflichtet, Artikel 3, Absatz 2 und tut es auch. Wir werden zum Beispiel keine Richterin erleben, die ein geringeres Gehalt hat als ein Richter in derselben Beförderungs- oder Gehaltsstufe. Also, dort herrscht absolute gleiche Einstellung und Einordnung und Besoldung.
Die Tarifparteien, die haben es in den letzten 60 Jahren nicht geschafft, dafür zu sorgen, dass faktisch Männer und Frauen gleich bezahlt werden. Es hat natürlich auch dort Fortschritte gegeben; so hat es eine lange Zeit sogenannte Leichtlohngruppen gegeben, die gering besoldet oder bezahlt wurden, und das Bundesarbeitsgericht hat das erstens bemerkt und zweitens entschieden, dass das verfassungswidrig ist, denn in diesen Leichtlohngruppen fanden sich – ich sagte es eben schon – fast nur Frauen. Das heißt, es wurde die Gruppe der Frauen diskriminiert. Wenn dort kaum ein Mann ist, dann ist es eben ein Frauentarif, und der ist ja so nicht zulässig, wenn er nur besonders gering ist. Der oder diese Leichtlohngruppen sind abgeschafft. Aber was bis heute geschieht, ist so eine indirekte Diskriminierung: Man ordnet zum Beispiel Frauen nicht in die Gehaltsgruppen oder in die Tarifgruppen ein, in die man Männer bei ähnlicher Tätigkeit einordnet, und das ist bis heute leider noch immer nicht geschafft, obwohl sich manches gebessert hat.
Liane von Billerbeck: Wenn wir noch mal zurückgehen in die Zeit der jungen Bundesrepublik, wie sah denn nun diese Bundesrepublik aus, wenn man den Anspruch auf Gleichberechtigung der Geschlechter betrachtet, also die 40er-, die 50er-Jahre?
Peschel-Gutzeit: Das war eine völlig andere Welt. Man muss sich vorstellen – ich beginne mal mit dem Familienrecht, das ist deswegen so wichtig, weil das Familienrecht ja die Rolle der Frauen in Familie und Gesellschaft vorschrieb und festschrieb. Man muss sich also vorstellen, dass in Deutschland seit dem 1. Januar 1900 das Bürgerliche Gesetzbuch galt, also das erste allgemeine deutsche Zivilgesetzbuch nach der Reichsgründung.
Und dieses Bürgerliche Gesetzbuch schrieb ganz bestimmte Rollen fest, zum Beispiel dass die Ehefrau Hausfrau zu sein hat und dass sie für den Haushalt allein verantwortlich ist, und es ist also ihre Verantwortung, a) dass alles funktioniert, und b) hatte sie auch die Pflicht, für die Kinder faktisch zu sorgen. Das heißt, in dieser Situation war sie schon nicht frei darin, erwerbstätig zu sein.
Sie durfte zwar erwerbstätig sein, aber nur mit Billigung des Mannes, und der Mann war berechtigt, dieses Arbeitsverhältnis jederzeit zu kündigen, und zwar ohne mit der Frau vorher zu sprechen. Es reichte, dass er zum Arbeitgeber ging und sagte: Morgen kommt meine Frau nicht mehr. Und wenn dann die Frau den nächsten Morgen kam, konnte der Arbeitgeber ihr nur sagen: Ihr Arbeitsverhältnis ist gekündigt durch Ihren Mann. Das heißt, die Frau war wirtschaftlich, aber auch gesellschaftlich abhängig vom Mann, und das drückte sich zum Beispiel im sogenannten gesetzlichen Güterstand aus, also das ist die Regelung des Vermögens während einer Ehe, wenn man keinen Ehevertrag schließt. Damals herrschte der Güterstand der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung, was so viel heißt – das ist ein schreckliches Wort: Der Mann verwaltete auch das Frauenvermögen allein, zum Beispiel auch deren Arbeitseinkommen, wenn sie denn eines hatte. Die Frau war nicht berechtigt, auch nur ein eigenes Konto zu begründen, sondern der Mann musste zustimmen. Der Mann war berechtigt, das Vermögen, das Einkommen der Frau zu verbrauchen, und zwar auch zur eigenen Nutzen, und dasselbe durfte er auch in Bezug auf Kindesvermögen.
Wenn man das alles weiß, dann erkennt man, dass die Frau, obwohl sie faktisch während des Krieges ja hier fast alle Aufgaben übernommen haben … hat und auch haben musste oder getan hat, weil eben die Männer im Krieg waren, dass sich an ihrer rechtlichen Position praktisch überhaupt nichts geändert hatte. Und so war es auch zu erklären, als die Männer aus dem Krieg zurückkamen, dass die Frauen, die alle möglichen Positionen bis dahin bekleidet hatten, sofort nach Hause geschickt wurden, und zwar ohne jede Diskussion: Jetzt ist der Mann wieder da, und jetzt gibt es diese Tätigkeit für Frauen nicht mehr.
Liane von Billerbeck: Wie ging denn die Adenauer-Regierung mit dem Artikel 3 um?
Peschel-Gutzeit: Na erstmal gar nicht. Also es war ja im Grundgesetz in weiser Voraussicht zwar einerseits dem ersten Deutschen Bundestag aufgegeben worden, das Familienrecht dem Gleichberechtigungsgrundsatz anzupassen, aber auf der anderen Seite war eine Frist gesetzt worden, nämlich das Ende der ersten Legislaturperiode, 31.3.1953, vier Jahre nach Gründung des ersten Bundestages. Bis dahin musste also ein Familienrecht geschaffen werden, gefunden werden, abgestimmt werden, verabschiedet werden im Bundestag, das dem Artikel 3 entsprach, das also die Diskriminierung der Ehefrau und Mutter beseitigte.
Das versuchte man zwar, es ist diskutiert worden, sogar sehr heftig diskutiert worden im ersten Bundestag, es gelang aber nicht. Das heißt, es setzten sich die konservativen Politiker durch, die sagten: Das können wir nicht machen, wir können die Frauen nicht gleichberechtigt machen, was das Vermögen angeht, was ihre Stellung im Haushalt angeht, was vor allen Dingen auch ihre Stellung den Kindern gegenüber angeht, weil sie diese Gaben nicht hat. Sie verfügt nicht über die Fähigkeiten. Sie kann zum Beispiel ein Kind nicht gesetzlich vertreten. Das ist ihr … das ist zu viel für sie. So …
Liane von Billerbeck: Unvorstellbar aus heutiger Sicht.
Peschel-Gutzeit: Ja, aber es ist eben erst ein halbes Jahrhundert her. Und so geschah es, dass der erste Deutsche Bundestag beendet wurde, und es kam die Neuwahl, es kam der zweite Deutsche Bundestag, und es gab kein Gesetz, das diesen Befehl aus Artikel 3, Absatz 2 umgesetzt hätte. Nun hatte ja aber das Grundgesetz gesagt: Wenn ihr das nicht schafft bis zum Ende der ersten Legislatur, dann treten alle Bestimmungen, die gegen das Grundgesetz verstoßen im Familienrecht, außer Kraft. Und so geschah es. Das heißt, wir hatten plötzlich im Familienrecht eine große Menge von Löchern. Ich sage manchmal etwas boshaft: Das Familienrecht wurde zu einem Schweizer Käse. So, und alles das, was gegen Artikel 3 verstieß, gab es nicht mehr, neues Recht gab es auch noch nicht …
Liane von Billerbeck: Also gab’s gar keins?
Peschel-Gutzeit: Ja, und nun ist ja in einer Demokratie – Gott sei Dank –, die ja auf Gewaltenteilung aufgebaut ist, immer eine Hilfsmöglichkeit Richterrecht. Das heißt, es trat das Richterrecht in Kraft: Jeder Richter musste ja nach der Verfassung richten, der ist er ja unterworfen. Eine konkrete Bestimmung gab es nicht mehr, also musste er dass tun, von dem er meinte, es entspricht der Verfassung. Und so entstand natürlich ein bunter Flickenteppich von Richterrecht; alle Richterinnen und Richter bemühten sich – vor allem die Richter, es gab ja kaum Richterinnen – bemühten sich, den Artikel 3, Absatz 2 umzusetzen.
Das war, wie gesagt, sehr unbefriedigend, aber anders ging es nicht. Und am Ende der zweiten Legislaturperiode, die ja von 53 bis 57 dauerte, hat man es dann schließlich geschafft, unmittelbar vor Toresschluss der zweiten Legislaturperiode ein Gesetz zu verabschieden, das die Gleichberechtigung umsetzen sollte im Familienrecht. Dieses Gesetz trägt den Titel "Gleichberechtigungsgesetz", was sicherlich eine sehr großmundige Bezeichnung ist, denn man könnte ja den Eindruck gewinnen, jetzt sei die Gleichberechtigung umgesetzt. Das war sie natürlich nicht, aber es waren immerhin einige Regeln gefunden, die alte und inzwischen nicht mehr geltende Regelungen ersetzten, zum Beispiel: Der Güterstand, der gesetzliche, den es ja nicht mehr gab, der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung, wurde ersetzt durch die sogenannte Zugewinngemeinschaft, die ja bis heute gilt.
Dieses Gesetz aus 1957 trat am 1. Juli 1958 in Kraft. Seither haben wir die Zugewinngemeinschaft. Es wurden auch einige andere Bestimmungen aus dem Familienrecht geändert, zum Beispiel bekam die Frau das Recht, erwerbstätig zu sein, immer noch aber drohte ihr, dass sie aus Verschulden geschieden wurde, wenn sie die Kombination nicht schaffte zwischen Haushalt und Berufstätigkeit.
Wir lebten ja nach dem sogenannten Schuldscheidungsrecht, und ein Scheidungsgrund war Vernachlässigung des Haushaltes. Das heißt also, es war immer noch ein großes Risiko für die Frau, beides zu tun. Natürlich hatte die Bestimmung, die da sagte, der Mann darf einfach das Arbeitsverhältnis der Frau kündigen, ohne mit ihr auch nur zu sprechen, verstieß eklatant gegen Artikel 3, Absatz 2, war ja mit 1953 vorbei und ist natürlich auch in dieser Form nie wieder ins Gesetz gekommen, nur bis die wirkliche Partnerschaft zwischen den Eheleuten hergestellt wurde, vergingen noch mal wieder Jahrzehnte. Erst mit dem ersten Eherechtsreformgesetz, das 1977 in Kraft getreten ist, haben wir die Regelung bekommen, die wir bis heute haben: Die Eheleute müssen sich einigen, wer was macht, beide sind berechtigt, erwerbstätig zu sein, und sie müssen sich die Hausarbeit aufteilen. Nur das ist ja auch überhaupt verfassungsgemäß.
Liane von Billerbeck: Nun haben wir ja zwei deutsche Staaten gehabt. Wenn Sie sich erinnern: Wie haben sich denn die Verhältnisse hinsichtlich der Gleichberechtigung der Geschlechter in der DDR entwickelt? Also, ich erinnere mich, ich hab mal etwas geschrieben über Hilde Benjamin. Von der wissen zwar viele ihre Urteile als Richterin in den Waldheim-Prozessen, aber viele wissen nicht, dass sie auch rechtspolitisch tätig war und am Familiengesetzbuch der DDR mit geschrieben hat, das 1965, glaube ich …
Peschel-Gutzeit: 1965, richtig.
Liane von Billerbeck: … in Kraft getreten ist. Das galt als sehr modern. Haben Sie das beobachtet, und wie ist das aufgenommen worden in der Bundesrepublik?
Peschel-Gutzeit: Das sind mehrere Fragen auf einmal. Ich beginne mal mit der ersten: Das Familiengesetzbuch der DDR von 1965 ist ja ein sehr kurzes Gesetz, gar nicht zu vergleichen mit den westdeutschen oder bundesdeutschen Gesetzen. Das ist sicher ein sehr modernes Gesetz gewesen, wobei ich an dieser Stelle zwei Einschränkungen machen muss: Erstens, ich hab ja nie gelebt unter der Geltung des Familiengesetzbuches, ich kann es also nur nachlesen, und es gab ja nur zwei Kommentare, das heißt, einen Kommentar, ein Lehrbuch dazu. Sodass ich auch die Rechtspraxis nicht wirklich kenne.
Also das Gesetz war recht modern, das ist die eine Einschränkung, und die zweite Einschränkung ist die, die mir DDR-Bürgerinnen und -Bürger gesagt haben. Die haben nämlich gesagt, das war alles wunderbar geregelt. Die Wirklichkeit sah jedenfalls zum Teil gänzlich anders aus. Mit "zum Teil" ist gemeint: Natürlich haben die Frauen in der DDR alle gearbeitet. Sie waren erwerbstätig, mussten es sein, weil man nicht genügend Arbeitskräfte hatte, und wir wissen inzwischen alle, dass die Bedingungen, um das zu ermöglichen, sehr viel besser und sehr viel umfangreicher waren als bei uns, in Westdeutschland, keine Frage.
Was aber nicht durchgehend geschehen ist und was man sich ja hätte vorstellen können bei einem sehr modernen, auch einer modernen Verfassung – sie hatten ja auch in ihrer Verfassung die Gleichberechtigung –, dass Frauen in gleicher Weise aufsteigen konnten wie Männer, davon war überhaupt keine Rede. Also, das ist die Einschränkung, die man aus dem Faktischen machen muss.
Aber zum Beispiel auf einem Gebiet waren sie ganz deutlich moderner als die Bundesrepublik: Bereits 1950 gab es in der DDR ein Gesetz, das bestimmte, dass ein Kind, das außerhalb einer Ehe geboren wird – damals hießen die bei uns ja noch uneheliche Kinder –, der Mutter vollständig zugeordnet ist. Die Mutter hat die volle elterliche Gewalt, wie sie damals ja noch hieß, – inzwischen heißt sie elterliche Sorge – und ist also in jeder Weise für das Kind allein verantwortlich, ein Zustand, der bei uns ja über Jahrzehnte nicht zu erreichen war. Die nichteheliche Mutter galt ja über Jahrzehnte als nicht fähig, das Kind in allen Angelegenheiten selbst zu vertreten; sie bekam zuerst einen Amtsvormund, später einen Amtspfleger. Das alles ist überhaupt erst im Zuge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in Westdeutschland beseitigt worden.
Aber ich würde gern noch mal auf das Gleichberechtigungsgesetz zurückkommen, denn ein Punkt war ja ebenfalls wichtig, nicht nur das Verhältnis der Eheleute zueinander, sondern auch das Verhältnis der Eltern zu den Kindern. Und auch da galt es ja eine Gleichberechtigung herzustellen. Das gelang dem zweiten Deutschen Bundestag nicht. Sie haben es zwar versucht, aber wenn man die Protokolle von damals liest, dann kann man wirklich nur noch sich an den Kopf fassen: Die Frau wurde eben nicht für fähig gehalten, ein Kind zu vertreten, sie wurde nicht für fähig gehalten, eine Entscheidung wirklich so konsistent zu finden, dass es im Sinne des Kindes war.
Und deshalb stand in dem Gleichberechtigungsgesetz von 1957, dass im Streitfall der Mann entscheidet, der sogenannte Stichentscheid des Vaters, und es stand außerdem drin, dass der Vater die alleinige gesetzliche Vertretung hat; er bestimmte allein, welche Schule das Kind macht, und so weiter und so fort. Na, beides war natürlich ein eklatanter Verstoß gegen Artikel 3, Absatz 2, Grundgesetz, und also wurden diese Passagen aus dem Gleichberechtigungsgesetz schon ein Jahr später, 1959, vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben und für nichtig erklärt. Sodass wir auch in dem neuen Gesetz schon wieder Löcher hatten.
Es gab also keine Regelung, wie die Eltern nun eigentlich zu dem Kind standen, denn die im Gesetz war nichtig, und eine neue hatten wir nicht. Und erst 1980, durch ein neues Gesetz, Reformgesetz zur elterlichen Sorge wurden dann die Eltern formal gleichberechtigt, und beide sind seither gesetzliche Vertreter und keiner hat das letzte Entscheidungsrecht, sondern wenn sie sich wirklich nicht einigen können, dann müssen sie das Gericht anrufen.
Liane von Billerbeck: Wenn wir noch mal zurückkommen auf das Jahr der Wiedervereinigung 1990 und Sie mal so ein Fazit wagen, wo sind denn die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern besonders stark geblieben oder wo sind sie noch vorhanden, und wo ist unsere Gesetzeslage immer noch archaisch, reformbedürftig oder verfassungsrechtlich bedenklich, was die Gleichberechtigung betrifft?
Peschel-Gutzeit: Na, es geht um die Durchsetzung der Gleichberechtigung, das war ja auch der Grund, weshalb 1994 der Artikel 3, Absatz 2 ergänzt worden ist. Ich selbst war Mitglied in der Verfassungskommission; damals wurde ja eine Kommission gebildet, die versuchen sollte, die DDR-Verfassung, die von der frei gewählten Volkskammer noch verabschiedet war, und das Grundgesetz in wichtigen Punkten aneinander anzugleichen. Und damals wurden 16 Mitglieder des Bundestages und 16 Minister der Bundesländer Mitglieder dieser Verfassungskommission, und ich war eben auch dabei.
Und wir, das heißt, wir waren vier Ministerinnen, hatten die Aufgabe, und sie hatten sie uns auch selbst gestellt, im Grundgesetz nicht nur die Gleichberechtigung, die wir ja nun schon hatten seit vielen Jahrzehnten, sondern die Gleichstellung durchzusetzen, also die faktische Durchsetzung der Gleichberechtigung in der Gesellschaft.
Das war ein Kampf von mehreren Jahren in der Verfassungskommission, und dann ist schließlich, schließlich mit sehr, sehr großen Schwierigkeiten und erheblichem Widerstand aus den konservativen Kreisen in das Grundgesetz die Ergänzung aufgenommen, die wir eben jetzt erst seit 15 Jahren im Grundgesetz haben, die da lautet: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, nun also umgedreht, und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Das heißt, 1994, als sie schließlich vom Bundestag verabschiedet wurde und ins Grundgesetz kam, gab es erkennbar noch Nachteile, insbesondere für Frauen, sonst hätte man es nicht reingeschrieben, und es gab immer noch keine faktische Durchsetzung auf allen Gebieten.
Und bis heute kann man sagen, also ganz sicher ist man im Arbeitsleben noch nicht so weit, dass Frauen eine gleiche Position haben wie Männer, insbesondere, wenn es um Führungspositionen geht, davon kann ja überhaupt keine Rede sein. Die DAX-notierten Unternehmen, dort ist entweder keine einzige Frau im Vorstand oder immer mal eine, die dann auch irgendwann wieder verschwindet, das heißt, von Gleichstellung keine Rede. Dasselbe gilt für Aufsichtsgremien, es gibt gerade jetzt die Initiative "Frauen in die Aufsichtsräte", das heißt, überall dort, wo es um Führung, um Einfluss und um Macht geht, versucht man bis heute, 60 Jahre nach In-Kraft-Treten des Grundgesetzes, Frauen nach Möglichkeit nicht zu beteiligen.
Liane von Billerbeck: Lore Maria Peschel-Gutzeit war meine Gesprächspartnerin. Es ging um den Artikel 3, der die Gleichberechtigung von Männern und Frauen regelt, in dieser Woche, da das Grundgesetz 60 Jahre alt wird. Frau Peschel-Gutzeit, herzlichen Dank!
Peschel-Gutzeit: Danke Ihnen!
Peschel-Gutzeit: Ja, guten Tag!
Liane von Billerbeck: Artikel drei lautet: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. So steht’s in der Verfassung, aber die Wirklichkeit, die ist auch heute noch manchmal weit weg davon, wenn wir beispielsweise an die Unterschiede in den Löhnen zwischen Männern und Frauen hierzulande denken. Wie weit darf sich die Wirklichkeit von Verfassungsgrundsätzen entfernen?
Peschel-Gutzeit: Ich glaube, man muss es umgekehrt sehen: Zunächst einmal war ja die Wirklichkeit da, und der Gleichberechtigungsgrundsatz aus Artikel 3, Absatz 2 ist ja in eine Wirklichkeit hineingeboren worden, die gänzlich anders war. Das war – wir haben es eben gehört – so im Familienrecht, es war aber natürlich auch so im Arbeitsrecht oder im Arbeitsleben, eigentlich auf allen Gebieten. Und es war Aufgabe natürlich einerseits der Politik, aber andererseits auch der gesellschaftlichen Überzeugungen, diesen Gleichberechtigungsgrundsatz allmählich in einfaches Recht – so nennen das die Juristen – umzusetzen, aber auch in die Lebenswirklichkeit aufzunehmen.
Und wenn Sie davon sprechen, dass Frauen auf vielen Gebieten immer noch schlechter besoldet werden, dann ist das einerseits zutreffend, andererseits natürlich im höchsten Maße bedauerlich. Nur das ist ja durch einen Hinweis auf die Verfassung so ohne weiteres gar nicht zu beenden, weil die Entlohnung von Männern und Frauen im Arbeitsleben Aufgabe der Tarifparteien ist, also der Arbeitgeber und der Gewerkschaften. Soweit und solange der Gesetzgeber es ändern kann oder regeln kann, ist er natürlich verpflichtet, Artikel 3, Absatz 2 und tut es auch. Wir werden zum Beispiel keine Richterin erleben, die ein geringeres Gehalt hat als ein Richter in derselben Beförderungs- oder Gehaltsstufe. Also, dort herrscht absolute gleiche Einstellung und Einordnung und Besoldung.
Die Tarifparteien, die haben es in den letzten 60 Jahren nicht geschafft, dafür zu sorgen, dass faktisch Männer und Frauen gleich bezahlt werden. Es hat natürlich auch dort Fortschritte gegeben; so hat es eine lange Zeit sogenannte Leichtlohngruppen gegeben, die gering besoldet oder bezahlt wurden, und das Bundesarbeitsgericht hat das erstens bemerkt und zweitens entschieden, dass das verfassungswidrig ist, denn in diesen Leichtlohngruppen fanden sich – ich sagte es eben schon – fast nur Frauen. Das heißt, es wurde die Gruppe der Frauen diskriminiert. Wenn dort kaum ein Mann ist, dann ist es eben ein Frauentarif, und der ist ja so nicht zulässig, wenn er nur besonders gering ist. Der oder diese Leichtlohngruppen sind abgeschafft. Aber was bis heute geschieht, ist so eine indirekte Diskriminierung: Man ordnet zum Beispiel Frauen nicht in die Gehaltsgruppen oder in die Tarifgruppen ein, in die man Männer bei ähnlicher Tätigkeit einordnet, und das ist bis heute leider noch immer nicht geschafft, obwohl sich manches gebessert hat.
Liane von Billerbeck: Wenn wir noch mal zurückgehen in die Zeit der jungen Bundesrepublik, wie sah denn nun diese Bundesrepublik aus, wenn man den Anspruch auf Gleichberechtigung der Geschlechter betrachtet, also die 40er-, die 50er-Jahre?
Peschel-Gutzeit: Das war eine völlig andere Welt. Man muss sich vorstellen – ich beginne mal mit dem Familienrecht, das ist deswegen so wichtig, weil das Familienrecht ja die Rolle der Frauen in Familie und Gesellschaft vorschrieb und festschrieb. Man muss sich also vorstellen, dass in Deutschland seit dem 1. Januar 1900 das Bürgerliche Gesetzbuch galt, also das erste allgemeine deutsche Zivilgesetzbuch nach der Reichsgründung.
Und dieses Bürgerliche Gesetzbuch schrieb ganz bestimmte Rollen fest, zum Beispiel dass die Ehefrau Hausfrau zu sein hat und dass sie für den Haushalt allein verantwortlich ist, und es ist also ihre Verantwortung, a) dass alles funktioniert, und b) hatte sie auch die Pflicht, für die Kinder faktisch zu sorgen. Das heißt, in dieser Situation war sie schon nicht frei darin, erwerbstätig zu sein.
Sie durfte zwar erwerbstätig sein, aber nur mit Billigung des Mannes, und der Mann war berechtigt, dieses Arbeitsverhältnis jederzeit zu kündigen, und zwar ohne mit der Frau vorher zu sprechen. Es reichte, dass er zum Arbeitgeber ging und sagte: Morgen kommt meine Frau nicht mehr. Und wenn dann die Frau den nächsten Morgen kam, konnte der Arbeitgeber ihr nur sagen: Ihr Arbeitsverhältnis ist gekündigt durch Ihren Mann. Das heißt, die Frau war wirtschaftlich, aber auch gesellschaftlich abhängig vom Mann, und das drückte sich zum Beispiel im sogenannten gesetzlichen Güterstand aus, also das ist die Regelung des Vermögens während einer Ehe, wenn man keinen Ehevertrag schließt. Damals herrschte der Güterstand der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung, was so viel heißt – das ist ein schreckliches Wort: Der Mann verwaltete auch das Frauenvermögen allein, zum Beispiel auch deren Arbeitseinkommen, wenn sie denn eines hatte. Die Frau war nicht berechtigt, auch nur ein eigenes Konto zu begründen, sondern der Mann musste zustimmen. Der Mann war berechtigt, das Vermögen, das Einkommen der Frau zu verbrauchen, und zwar auch zur eigenen Nutzen, und dasselbe durfte er auch in Bezug auf Kindesvermögen.
Wenn man das alles weiß, dann erkennt man, dass die Frau, obwohl sie faktisch während des Krieges ja hier fast alle Aufgaben übernommen haben … hat und auch haben musste oder getan hat, weil eben die Männer im Krieg waren, dass sich an ihrer rechtlichen Position praktisch überhaupt nichts geändert hatte. Und so war es auch zu erklären, als die Männer aus dem Krieg zurückkamen, dass die Frauen, die alle möglichen Positionen bis dahin bekleidet hatten, sofort nach Hause geschickt wurden, und zwar ohne jede Diskussion: Jetzt ist der Mann wieder da, und jetzt gibt es diese Tätigkeit für Frauen nicht mehr.
Liane von Billerbeck: Wie ging denn die Adenauer-Regierung mit dem Artikel 3 um?
Peschel-Gutzeit: Na erstmal gar nicht. Also es war ja im Grundgesetz in weiser Voraussicht zwar einerseits dem ersten Deutschen Bundestag aufgegeben worden, das Familienrecht dem Gleichberechtigungsgrundsatz anzupassen, aber auf der anderen Seite war eine Frist gesetzt worden, nämlich das Ende der ersten Legislaturperiode, 31.3.1953, vier Jahre nach Gründung des ersten Bundestages. Bis dahin musste also ein Familienrecht geschaffen werden, gefunden werden, abgestimmt werden, verabschiedet werden im Bundestag, das dem Artikel 3 entsprach, das also die Diskriminierung der Ehefrau und Mutter beseitigte.
Das versuchte man zwar, es ist diskutiert worden, sogar sehr heftig diskutiert worden im ersten Bundestag, es gelang aber nicht. Das heißt, es setzten sich die konservativen Politiker durch, die sagten: Das können wir nicht machen, wir können die Frauen nicht gleichberechtigt machen, was das Vermögen angeht, was ihre Stellung im Haushalt angeht, was vor allen Dingen auch ihre Stellung den Kindern gegenüber angeht, weil sie diese Gaben nicht hat. Sie verfügt nicht über die Fähigkeiten. Sie kann zum Beispiel ein Kind nicht gesetzlich vertreten. Das ist ihr … das ist zu viel für sie. So …
Liane von Billerbeck: Unvorstellbar aus heutiger Sicht.
Peschel-Gutzeit: Ja, aber es ist eben erst ein halbes Jahrhundert her. Und so geschah es, dass der erste Deutsche Bundestag beendet wurde, und es kam die Neuwahl, es kam der zweite Deutsche Bundestag, und es gab kein Gesetz, das diesen Befehl aus Artikel 3, Absatz 2 umgesetzt hätte. Nun hatte ja aber das Grundgesetz gesagt: Wenn ihr das nicht schafft bis zum Ende der ersten Legislatur, dann treten alle Bestimmungen, die gegen das Grundgesetz verstoßen im Familienrecht, außer Kraft. Und so geschah es. Das heißt, wir hatten plötzlich im Familienrecht eine große Menge von Löchern. Ich sage manchmal etwas boshaft: Das Familienrecht wurde zu einem Schweizer Käse. So, und alles das, was gegen Artikel 3 verstieß, gab es nicht mehr, neues Recht gab es auch noch nicht …
Liane von Billerbeck: Also gab’s gar keins?
Peschel-Gutzeit: Ja, und nun ist ja in einer Demokratie – Gott sei Dank –, die ja auf Gewaltenteilung aufgebaut ist, immer eine Hilfsmöglichkeit Richterrecht. Das heißt, es trat das Richterrecht in Kraft: Jeder Richter musste ja nach der Verfassung richten, der ist er ja unterworfen. Eine konkrete Bestimmung gab es nicht mehr, also musste er dass tun, von dem er meinte, es entspricht der Verfassung. Und so entstand natürlich ein bunter Flickenteppich von Richterrecht; alle Richterinnen und Richter bemühten sich – vor allem die Richter, es gab ja kaum Richterinnen – bemühten sich, den Artikel 3, Absatz 2 umzusetzen.
Das war, wie gesagt, sehr unbefriedigend, aber anders ging es nicht. Und am Ende der zweiten Legislaturperiode, die ja von 53 bis 57 dauerte, hat man es dann schließlich geschafft, unmittelbar vor Toresschluss der zweiten Legislaturperiode ein Gesetz zu verabschieden, das die Gleichberechtigung umsetzen sollte im Familienrecht. Dieses Gesetz trägt den Titel "Gleichberechtigungsgesetz", was sicherlich eine sehr großmundige Bezeichnung ist, denn man könnte ja den Eindruck gewinnen, jetzt sei die Gleichberechtigung umgesetzt. Das war sie natürlich nicht, aber es waren immerhin einige Regeln gefunden, die alte und inzwischen nicht mehr geltende Regelungen ersetzten, zum Beispiel: Der Güterstand, der gesetzliche, den es ja nicht mehr gab, der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung, wurde ersetzt durch die sogenannte Zugewinngemeinschaft, die ja bis heute gilt.
Dieses Gesetz aus 1957 trat am 1. Juli 1958 in Kraft. Seither haben wir die Zugewinngemeinschaft. Es wurden auch einige andere Bestimmungen aus dem Familienrecht geändert, zum Beispiel bekam die Frau das Recht, erwerbstätig zu sein, immer noch aber drohte ihr, dass sie aus Verschulden geschieden wurde, wenn sie die Kombination nicht schaffte zwischen Haushalt und Berufstätigkeit.
Wir lebten ja nach dem sogenannten Schuldscheidungsrecht, und ein Scheidungsgrund war Vernachlässigung des Haushaltes. Das heißt also, es war immer noch ein großes Risiko für die Frau, beides zu tun. Natürlich hatte die Bestimmung, die da sagte, der Mann darf einfach das Arbeitsverhältnis der Frau kündigen, ohne mit ihr auch nur zu sprechen, verstieß eklatant gegen Artikel 3, Absatz 2, war ja mit 1953 vorbei und ist natürlich auch in dieser Form nie wieder ins Gesetz gekommen, nur bis die wirkliche Partnerschaft zwischen den Eheleuten hergestellt wurde, vergingen noch mal wieder Jahrzehnte. Erst mit dem ersten Eherechtsreformgesetz, das 1977 in Kraft getreten ist, haben wir die Regelung bekommen, die wir bis heute haben: Die Eheleute müssen sich einigen, wer was macht, beide sind berechtigt, erwerbstätig zu sein, und sie müssen sich die Hausarbeit aufteilen. Nur das ist ja auch überhaupt verfassungsgemäß.
Liane von Billerbeck: Nun haben wir ja zwei deutsche Staaten gehabt. Wenn Sie sich erinnern: Wie haben sich denn die Verhältnisse hinsichtlich der Gleichberechtigung der Geschlechter in der DDR entwickelt? Also, ich erinnere mich, ich hab mal etwas geschrieben über Hilde Benjamin. Von der wissen zwar viele ihre Urteile als Richterin in den Waldheim-Prozessen, aber viele wissen nicht, dass sie auch rechtspolitisch tätig war und am Familiengesetzbuch der DDR mit geschrieben hat, das 1965, glaube ich …
Peschel-Gutzeit: 1965, richtig.
Liane von Billerbeck: … in Kraft getreten ist. Das galt als sehr modern. Haben Sie das beobachtet, und wie ist das aufgenommen worden in der Bundesrepublik?
Peschel-Gutzeit: Das sind mehrere Fragen auf einmal. Ich beginne mal mit der ersten: Das Familiengesetzbuch der DDR von 1965 ist ja ein sehr kurzes Gesetz, gar nicht zu vergleichen mit den westdeutschen oder bundesdeutschen Gesetzen. Das ist sicher ein sehr modernes Gesetz gewesen, wobei ich an dieser Stelle zwei Einschränkungen machen muss: Erstens, ich hab ja nie gelebt unter der Geltung des Familiengesetzbuches, ich kann es also nur nachlesen, und es gab ja nur zwei Kommentare, das heißt, einen Kommentar, ein Lehrbuch dazu. Sodass ich auch die Rechtspraxis nicht wirklich kenne.
Also das Gesetz war recht modern, das ist die eine Einschränkung, und die zweite Einschränkung ist die, die mir DDR-Bürgerinnen und -Bürger gesagt haben. Die haben nämlich gesagt, das war alles wunderbar geregelt. Die Wirklichkeit sah jedenfalls zum Teil gänzlich anders aus. Mit "zum Teil" ist gemeint: Natürlich haben die Frauen in der DDR alle gearbeitet. Sie waren erwerbstätig, mussten es sein, weil man nicht genügend Arbeitskräfte hatte, und wir wissen inzwischen alle, dass die Bedingungen, um das zu ermöglichen, sehr viel besser und sehr viel umfangreicher waren als bei uns, in Westdeutschland, keine Frage.
Was aber nicht durchgehend geschehen ist und was man sich ja hätte vorstellen können bei einem sehr modernen, auch einer modernen Verfassung – sie hatten ja auch in ihrer Verfassung die Gleichberechtigung –, dass Frauen in gleicher Weise aufsteigen konnten wie Männer, davon war überhaupt keine Rede. Also, das ist die Einschränkung, die man aus dem Faktischen machen muss.
Aber zum Beispiel auf einem Gebiet waren sie ganz deutlich moderner als die Bundesrepublik: Bereits 1950 gab es in der DDR ein Gesetz, das bestimmte, dass ein Kind, das außerhalb einer Ehe geboren wird – damals hießen die bei uns ja noch uneheliche Kinder –, der Mutter vollständig zugeordnet ist. Die Mutter hat die volle elterliche Gewalt, wie sie damals ja noch hieß, – inzwischen heißt sie elterliche Sorge – und ist also in jeder Weise für das Kind allein verantwortlich, ein Zustand, der bei uns ja über Jahrzehnte nicht zu erreichen war. Die nichteheliche Mutter galt ja über Jahrzehnte als nicht fähig, das Kind in allen Angelegenheiten selbst zu vertreten; sie bekam zuerst einen Amtsvormund, später einen Amtspfleger. Das alles ist überhaupt erst im Zuge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in Westdeutschland beseitigt worden.
Aber ich würde gern noch mal auf das Gleichberechtigungsgesetz zurückkommen, denn ein Punkt war ja ebenfalls wichtig, nicht nur das Verhältnis der Eheleute zueinander, sondern auch das Verhältnis der Eltern zu den Kindern. Und auch da galt es ja eine Gleichberechtigung herzustellen. Das gelang dem zweiten Deutschen Bundestag nicht. Sie haben es zwar versucht, aber wenn man die Protokolle von damals liest, dann kann man wirklich nur noch sich an den Kopf fassen: Die Frau wurde eben nicht für fähig gehalten, ein Kind zu vertreten, sie wurde nicht für fähig gehalten, eine Entscheidung wirklich so konsistent zu finden, dass es im Sinne des Kindes war.
Und deshalb stand in dem Gleichberechtigungsgesetz von 1957, dass im Streitfall der Mann entscheidet, der sogenannte Stichentscheid des Vaters, und es stand außerdem drin, dass der Vater die alleinige gesetzliche Vertretung hat; er bestimmte allein, welche Schule das Kind macht, und so weiter und so fort. Na, beides war natürlich ein eklatanter Verstoß gegen Artikel 3, Absatz 2, Grundgesetz, und also wurden diese Passagen aus dem Gleichberechtigungsgesetz schon ein Jahr später, 1959, vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben und für nichtig erklärt. Sodass wir auch in dem neuen Gesetz schon wieder Löcher hatten.
Es gab also keine Regelung, wie die Eltern nun eigentlich zu dem Kind standen, denn die im Gesetz war nichtig, und eine neue hatten wir nicht. Und erst 1980, durch ein neues Gesetz, Reformgesetz zur elterlichen Sorge wurden dann die Eltern formal gleichberechtigt, und beide sind seither gesetzliche Vertreter und keiner hat das letzte Entscheidungsrecht, sondern wenn sie sich wirklich nicht einigen können, dann müssen sie das Gericht anrufen.
Liane von Billerbeck: Wenn wir noch mal zurückkommen auf das Jahr der Wiedervereinigung 1990 und Sie mal so ein Fazit wagen, wo sind denn die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern besonders stark geblieben oder wo sind sie noch vorhanden, und wo ist unsere Gesetzeslage immer noch archaisch, reformbedürftig oder verfassungsrechtlich bedenklich, was die Gleichberechtigung betrifft?
Peschel-Gutzeit: Na, es geht um die Durchsetzung der Gleichberechtigung, das war ja auch der Grund, weshalb 1994 der Artikel 3, Absatz 2 ergänzt worden ist. Ich selbst war Mitglied in der Verfassungskommission; damals wurde ja eine Kommission gebildet, die versuchen sollte, die DDR-Verfassung, die von der frei gewählten Volkskammer noch verabschiedet war, und das Grundgesetz in wichtigen Punkten aneinander anzugleichen. Und damals wurden 16 Mitglieder des Bundestages und 16 Minister der Bundesländer Mitglieder dieser Verfassungskommission, und ich war eben auch dabei.
Und wir, das heißt, wir waren vier Ministerinnen, hatten die Aufgabe, und sie hatten sie uns auch selbst gestellt, im Grundgesetz nicht nur die Gleichberechtigung, die wir ja nun schon hatten seit vielen Jahrzehnten, sondern die Gleichstellung durchzusetzen, also die faktische Durchsetzung der Gleichberechtigung in der Gesellschaft.
Das war ein Kampf von mehreren Jahren in der Verfassungskommission, und dann ist schließlich, schließlich mit sehr, sehr großen Schwierigkeiten und erheblichem Widerstand aus den konservativen Kreisen in das Grundgesetz die Ergänzung aufgenommen, die wir eben jetzt erst seit 15 Jahren im Grundgesetz haben, die da lautet: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, nun also umgedreht, und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Das heißt, 1994, als sie schließlich vom Bundestag verabschiedet wurde und ins Grundgesetz kam, gab es erkennbar noch Nachteile, insbesondere für Frauen, sonst hätte man es nicht reingeschrieben, und es gab immer noch keine faktische Durchsetzung auf allen Gebieten.
Und bis heute kann man sagen, also ganz sicher ist man im Arbeitsleben noch nicht so weit, dass Frauen eine gleiche Position haben wie Männer, insbesondere, wenn es um Führungspositionen geht, davon kann ja überhaupt keine Rede sein. Die DAX-notierten Unternehmen, dort ist entweder keine einzige Frau im Vorstand oder immer mal eine, die dann auch irgendwann wieder verschwindet, das heißt, von Gleichstellung keine Rede. Dasselbe gilt für Aufsichtsgremien, es gibt gerade jetzt die Initiative "Frauen in die Aufsichtsräte", das heißt, überall dort, wo es um Führung, um Einfluss und um Macht geht, versucht man bis heute, 60 Jahre nach In-Kraft-Treten des Grundgesetzes, Frauen nach Möglichkeit nicht zu beteiligen.
Liane von Billerbeck: Lore Maria Peschel-Gutzeit war meine Gesprächspartnerin. Es ging um den Artikel 3, der die Gleichberechtigung von Männern und Frauen regelt, in dieser Woche, da das Grundgesetz 60 Jahre alt wird. Frau Peschel-Gutzeit, herzlichen Dank!
Peschel-Gutzeit: Danke Ihnen!